Rentenpolitik: Eine kluge Rentenpolitik sollte niemals Klientelpolitik sein

Bundesarbeitsministerin Bärbel Bas regt für die geplante Rentenreform an, das Renteneintrittsalter an die Dauer
der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung zu koppeln. Einige Ökonomen
und Politikerinnen begrüßen den Vorschlag. Was auf den ersten Blick als fair
erscheinen mag, entpuppt sich jedoch als Klientelpolitik und als Fortsetzung
der Rente mit 63 in neuem Gewand. Die Lösungen liegen woanders.

Nach dem Vorschlag von Bas sollen alle Menschen idealerweise gleich viele
Jahre arbeiten, bevor sie die wohlverdiente Rente genießen können. Warum also darf
ein Akademiker, der erst mit 28 Jahren ins Berufsleben startet, genauso früh in
Rente gehen wie jemand, der bereits mit 15 die Schule verlässt, eine Lehre
macht und so im Schnitt 13 Jahre länger in die Rentenkasse einzahlt—und häufig
körperlich oder psychisch belastendere Tätigkeiten ausübt?

Vielen Leserinnen und Lesern mag
dies logisch und fair erscheinen. Ähnlich argumentierte vor rund zehn Jahren
die damalige Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles, als sie die sogenannte Rente
mit 63 durchsetzte. Sie ermöglicht es Menschen mit 45 Beitragsjahren, zwei
Jahre früher abschlagsfrei in Rente zu gehen. Bas’ Vorschlag wäre insofern eine Fortsetzung
und Ausweitung dieser Logik.

Doch die Fakten belegen etwas
anderes: Wie eine Studie des DIW Berlin zeigt, ist die sogenannte Rente mit 63 keinesfalls eine Umverteilung von
Reich zu Arm und von weniger zu stärker belasteten Beschäftigten, sondern das
Gegenteil. Die deutlich größere Gruppe derer, die heute nicht auf 45
Beitragsjahre zum Renteneintritt kommt, sind nicht Akademiker, sondern Frauen,
die wegen Kinderbetreuung und Pflege von Angehörigen längere Auszeiten haben
und zudem häufig nur in Teilzeit arbeiten.

Belohnung für Beitragsjahre? Gibt es doch schon

Die Studie zeigt zudem, dass nicht
die körperlich und psychisch stark belasteten Berufsgruppen am stärksten von
der Rente mit 63 profitieren, sondern primär Beschäftigte mit vergleichsweise
geringer Belastung. Menschen mit besonders anspruchsvollen Tätigkeiten – etwa
in Gesundheit oder Pflege – erreichen aufgrund dieser Belastungen häufig
gerade nicht 45 Jahre Erwerbstätigkeit.

Mit anderen Worten: Die Rente mit
63 ist eine Klientelpolitik zugunsten einer privilegierten Gruppe von Männern
in der Industrie, die überdurchschnittlich gut bezahlt sind und eine geringere
Arbeitsbelastung hatten. Eine Kopplung des Renteneintrittsalters an die
Beitragsjahre würde erneut von Arm zu Reich, von Frauen zu Männern und von
stärker zu weniger stark belasteten Berufsgruppen umverteilen.

Auch aus anderen Gründen greift
das Argument der Fairness nicht: Die Belohnung für mehr Beitragsjahre besteht
im deutschen Rentensystem bereits darin, dass diese zu einer höheren
Rentenzahlung führen. Es ist nicht nachvollziehbar, weshalb eine weitere
Belohnung in Form eines früheren Renteneintrittsalters hinzukommen sollte.