Rektoren-Umfrage: Wenn Schulen nur noch dank Seiteneinsteigern und Lehramtsstudenten funktionieren

Eine Umfrage unter Rektoren zeigt einige positive Tendenzen an deutschen Schulen – etwa beim Lehrermangel. Allerdings hat das maßgeblich damit zu tun, dass immer mehr Seiteneinsteiger und Studenten statt regulär ausgebildeter Lehrkräften aktiv sind. Bildungsgewerkschafter warnen vor Scheinlösungen.

Lehrergewerkschaften müssen sich gelegentlich den Vorwurf gefallen lassen, den eigenen Beruf schlechtzureden. Die stetigen Klagen über Kollegenmangel, Überlastung, unwillige Schüler und übergriffige Eltern, so heißt es dann, trügen mit dazu bei, dass Nachwuchskräfte vor dem Arbeitsplatz Schule zurückschreckten.

Ein Anwurf, den Tomi Neckov, Vizevorsitzender des Verbands Bildung und Erziehung (VBE), nicht stehen lassen möchte. „Aufgabe eines Gewerkschafters ist es, die Situation vor Ort zu zeigen“, entgegnet Neckov solchen Kritikern aus der Politik. Schließlich sei es ein „Grundparadoxon“, dass die Entscheidungen mit den größten Auswirkungen für die Schulen vor Ort ausgerechnet von denjenigen getroffen würden, die am weitesten davon entfernt seien. Auch deshalb müssten die Gewerkschaften ihr „Ohr am Puls der Zeit“ und bei den „Sorgen der Schulverantwortlichen“ haben.

Letztere lässt der VBE Jahr für Jahr in einer großen Schulleiter-Befragung durch das Meinungsforschungsinstitut Forsa ermitteln. 1311 Rektorinnen und Rektoren wurden im September und Oktober dieses Jahres befragt, das Ergebnis präsentierte der Verband am Freitag auf dem Schulleitungskongress in Düsseldorf.

Und siehe da: Nach den Alarmbotschaften, die sich vor allem seit der Corona-Pandemie gehäuft hatten, gibt es jetzt erstmals so etwas wie Entwarnung. Nach den organisatorischen Zumutungen der Pandemiezeit ist die Arbeitsmotivation der Schulleiter wieder deutlich gestiegen. 84 Prozent üben ihren Beruf derzeit „eher gerne“ oder sogar „sehr gerne“ aus, nur 14 Prozent „eher“ oder „sehr ungern“. Auf dem Höhepunkt der Pandemie 2020/21 war mehr als ein Viertel von ihnen nur noch ungern zur Arbeit gekommen.

Auch die gefühlte Unterstützung durch das Kollegium hat sich verbessert, 88 Prozent der Schulleiter empfinden diese als gut. „Nach dem immensen Organisationsaufwand, den zahlreichen Vorgaben aus den Ministerien und den verschiedenen Aufholprogrammen wurde es diesbezüglich an den Schulen wieder ruhiger“, sagt Neckov.

Und noch eine positive Entwicklung bringt die Umfrage zutage: In puncto Lehrkräftemangel gibt es erste Entspannungstendenzen. 47 Prozent der Rektoren melden eine Vollbesetzung an ihren Schulen, im Schnitt fehlen derzeit bundesweit 1,2 Lehrkräfte pro Schule. Vor zwei Jahren waren es noch 1,6. Damals konnte lediglich ein Drittel der Schulen Vollbesetzung melden. Nach wie vor sind es vor allem Förder- und Sonderschulen, denen Lehrkräfte fehlen (im Schnitt 2,9).

Allerdings – und damit ist es auch schon vorbei mit den positiven Nachrichten – beruht die Entspannung vor allem auf dem Einsatz von Seiteneinsteigern. Mehr als zwei Drittel der Befragten geben an, dass an ihrer Schule mindestens eine Lehrkraft beschäftigt ist, die kein originäres Lehramtsstudium abgeschlossen hat. Dieser Anteil ist seit 2018 von 37 Prozent kontinuierlich auf nunmehr 68 Prozent gestiegen. Überdurchschnittlich hoch ist er bei Haupt-, Real- und Gesamtschulen: In rund acht von zehn Schulen arbeiten Seiteneinsteiger. Diese Lehrkräfte haben in der Regel eine fachliche Grundqualifikation und werden dann für den Lehrbetrieb pädagogisch nachqualifiziert.

Fast die Hälfte der betroffenen Schulen setzt auch Lehramtsstudenten als reguläre Lehrkräfte ein. Für den VBE ist dies der falsche Weg. Die Studierenden hätten bisher nicht den ausreichenden theoretischen Unterbau und das pädagogische Gespür, um zu unterrichten, kritisiert Verbandsvize Neckov: „Ohne Lehrpersönlichkeit sind sie vielleicht ‚die Coolen’, aber leider nicht diejenigen, die für einen nachhaltigen Lernprozess sorgen können.“ Aus Sicht des Gewerkschafters ist der Lehrkräftemangel nicht besiegt, er spricht von „Scheinlösungen“ für den Moment: „Was das auf lange Sicht für die pädagogische Qualität von Unterricht bedeutet, ist noch nicht klar.“

Kritik an der Distanz von Politik zum Schulalltag

Auch in anderen Bereichen offenbart die Schulleitungsumfrage noch Baustellen. Weit mehr als 90 Prozent der Schulleiter empfinden sich belastet von steigenden Verwaltungsarbeiten, dem wachsenden Aufgabenspektrum und der Anspruchshaltung, dass Schule im Grunde alle Probleme lösen sollten. 92 Prozent sagen insbesondere, dass bei politischen Entscheidungen der tatsächliche Schulalltag nicht ausreichend beachtet werde.

Beispiel Ganztagsausbau: Im Schuljahr 2026/27 soll der Rechtsanspruch auf einen Platz in Kraft treten. Doch noch immer glaubt ein Drittel aller Schulleitungen nicht, dass es bis dahin gelingen wird, allen Kindern ein Angebot zu machen – vor allem wegen fehlender Fachkräfte und Räume. Jeder zweite Befragte beklagt bürokratischen Hürden, unklare Regeln sowie eine zu langsame Politik und Verwaltung.

Ebenso geht es laut VDE bei der Digitalisierung nicht ausreichend schnell voran. Die Ausstattung mit Laptops oder Tablets ist seit 2020 zwar enorm verbessert worden. 2020 hatten noch 63 Prozent aller Schulleiter angegeben, nicht einmal einen einzigen Klassensatz an digitalen Endgeräten zu haben. Heute sagen das nur noch zehn Prozent.

Doch das findet die Bildungsgewerkschaft inakzeptabel. Neckov kritisiert vor allem, dass nach dem Auslaufen des Digitalpakts noch keine Anschlussfinanzierung bereitgestellt worden ist: „Viele Kommunen haben kein Geld, um die Digitalisierung auf eigene Rechnung voranzutreiben. Es braucht die Unterstützung aus dem Bund.“

Darauf aber, das ahnt auch der Gewerkschafter, müssen die Schulträger nun wohl noch eine geraume Zeit warten. Schon als Bettina Stark-Watzinger (FDP) noch Bundesbildungsministerin war, gestalteten sich die Verhandlungen zwischen Bund und Ländern um den Digitalpakt 2.0 zäh. Nach dem Ampel-Aus dürften so schnell keine Entscheidungen fallen.

Politikredakteurin Sabine Menkens ist bei WELT zuständig für die Themen Familien-, Gesellschafts- und Bildungspolitik.