Reisen ohne Navi und Google Maps: Es war ein Abenteuer

Mit 50 gibt es eine ganze Menge Anzeichen dafür, dass man alt wird. Zum Beispiel: dass man jüngeren Menschen von Dingen erzählt, die denen unvorstellbar vorkommen. Von einem Telefon mit Wählscheibe beispielsweise. Oder auch davon, wie wir uns früher im Urlaub in fremden Ländern zurechtfanden, ohne Navigationssystem im Auto oder Google Maps auf dem Handy.

Wobei – nicht immer fanden wir uns zurecht. Wenn ich von „wir“ spreche, meine ich in den späten Siebziger- und in den Achtzigerjahren meine Eltern, meine beiden älteren Geschwister und mich, die ich zusammengepfercht auf dem undankbaren Mittelplatz der Rückbank saß und im sommerlich heißen Spanien oder im komplett verregneten Königreich mit Unruhe beobachtete, wie die Suche ausuferte.

Dieser Text stammt aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.



Einige Jahre später, grob ab Mitte der Neunziger, bezog sich „wir“ dann auf meinen Freund und mich. Auf meinen ersten eigenen Reisen erlebte ich, was ich früher bei meiner Mutter beobachtet hatte. Ich hantierte mit dem internationalen Autoatlas, einem dicken Buch, in dem man nach einem bestimmten System blätterte, das ich leider nicht durchschaute. Manchmal ging alles glatt. Aber oft sagte ich auch Sätze wie: „Laut der Karte müsste hier jetzt eine Straße rechts abgehen.“ Aber da ging keine Straße ab. Für die Stimmung war das nicht von Vorteil.

Einmal ging uns der Sprit aus

Mein Freund, eigentlich ein Lamm, schaute mit zunehmender Ungeduld zu mir herüber, während ich versuchte, den Atlas in Fahrtrichtung zu drehen. „Pflaum mich nicht an“, sagte ich nicht selten in solchen Situationen. Einmal hatten wir uns so verfahren, dass uns in der Pampa der Sprit ausging. Davon trug ich ein Trauma davon. Steige ich heute in ein Auto, das nicht mein eigenes ist, geht mein erster Blick zur Tankanzeige. Wahrscheinlich waren wir damals knapp ein paarmal an einer rettenden Tankstelle vorbeigefahren. Heute würde das Navi sie anzeigen.

Als Kind hätte ich die Stimme aus dem Off sofort engagiert

Wir kamen letztlich immer an, wir als Familie, wir im Duo, das schon. Aber hätte ich als Kind schon ausreichend Phantasie gehabt, um mir eine Stimme aus dem Off auszudenken, die lange vor dem Ministichweg zum Ferienhaus in ruhigem und sachlichem Ton sagt: „In 400 Metern rechts abbiegen“ – ich hätte diese Stimme sofort engagiert. Was für ein Luxus, was für eine Erleichterung!

Doch jede Medaille hat zwei Seiten. Die an sich erfreuliche Tatsache, dass ich mich heute auch zu Fuß dank des sich über das Handydisplay schiebenden Punktes in fremden Städten gut zurechtfinde, hat auch dazu geführt, dass der Zufall keine Chance mehr bekommt. Wer reist heute noch in eine Stadt und schaut sich einfach nur um – nach einem guten Restaurant oder schönen Geschäften (oder einer Tankstelle)? Wer kommt auf einer Insel an – und akzeptiert, vielleicht erst am vorletzten Urlaubstag den besten Spot für den Sonnenuntergang zu entdecken? Alles wird vor oder während des Aufenthalts gecheckt und entsprechend geplant, in der gar nicht so selten irrigen Annahme, eine hohe Anzahl an Sternchen sage tatsächlich etwas über die Güte eines Erlebnisses aus. Wir berauben uns unseres Entdeckungsdrangs, der Lust auf ein kleines bisschen Abenteuer, das wir früher erlebten – und von dem ich heute noch erzähle. Vielleicht lasse ich beim nächsten Urlaub mein Handy zu Hause. Vielleicht.

Wo haben Sie sich mal so richtig verfahren? Oder urlauben Sie auch heute noch ohne Smartphone im Anschlag? Schreiben Sie uns an navigation@faz.de. Eine Auswahl der Zuschriften veröffentlichen wir online.