Reha und Urlaub: Tipps von Physiotherapeut Jan Frieling in München – Sport

SZ: Herr Frieling, bei vielen löst nach einer Verletzung allein das Wort „Reha“ Beklemmungen aus. Können Sie dieses Unbehagen verstehen?

Jan Frieling: Absolut. Eine Reha-Phase ist immer ein Einschnitt, den viele noch nie erlebt haben. Eine Verletzung und die Reha reißen einen immer aus dem gewohnten Leben. Für manche entscheidet sich in dieser Phase auch, ob man wieder richtig gesund wird und ob man seinen geliebten Sport weiterbetreiben kann. Es geht um viel. Das Gute: Es hat sich viel getan in der Medizin und Therapie.

Was meinen Sie damit?

Früher bedeutete zum Beispiel ein Kreuzbandriss im Grunde fast immer ein Karriereende für einen Sportler. Das ist heute anders. Mental bleibt die Reha eine Herausforderung, vor allem wenn sie bei schwereren Verletzungen sechs Monate oder länger beträgt.

In der SZ-Reihe „Sportlich bleiben“ spricht die Redaktion mit Spezialisten für Fitness und Freizeitsport. Dies ist der siebte Serienteil. (Foto: Imago/Collage: SZ)

Ex-Fußballnationalspielerin Kim Kulig gestand, sie sei in der Reha unausstehlich geworden. Sie verriet auch, sie sei nicht richtig vorbereitet gewesen auf die neue Extremsituation, und regte mehr psychologische Begleitung an. Wie sehen Sie das?

Das ist ein sehr wichtiger Punkt. Die psychische Verfassung ist ein wichtiger Faktor, um die Reha zu bewältigen. In einer Reha gibt es immer Höhen und Tiefen. Und je nach Sportler und Typ kann es immer ratsam sein, psychologische Hilfe mit an Bord zu holen. Solange man spürt, dass es vorangeht, kommen die Leute klar. Aber es gibt Phasen, in denen man Rückschritte erfährt und das Gelenk nicht so mitmacht, wie es sollte. Dann fallen viele ins Loch. Dann kann man in einen Teufelskreislauf geraten. Man ist nicht gut drauf, privater oder beruflicher Stress kommt dazu, schon läuft eine Reha schlechter.

Wie vermeidet man, dass man am liebsten aufgeben möchte?

Die Patienten sollen einfach mal die Routinen in der Reha ändern oder unterbrechen. Man kann den Ort wechseln, fährt irgendwohin und setzt die Reha dort für eine Woche fort. Es geht um einen mentalen Wechsel. Den Kopf durchzupusten. Ich finde es auch wichtig, in der Reha-Phase genügend Regeneration zu machen.

Behandelt Hobby- sowie Spitzensportler: der Münchner Physiotherapeut Jan Frieling. (Foto: privat/oh)

Klingt, als raten Sie zu Urlaub?

Exakt! Ich rate immer: Fahren Sie mal unbedingt in den Urlaub! Und auch nicht erst, wenn man im Tief ist, sondern präventiv. Quasi als Zwischenetappe, nach dem Motto: Belohnen Sie sich mit einem Urlaub, wenn Sie dies oder das Ziel erreicht haben! Man kann auch mit Freunden etwas unternehmen, ins Kino gehen, eine Party machen, was auch immer einen auf andere Gedanken bringt. Man verliert nichts, wenn man mal vier, fünf Tage nicht wirklich trainiert. Und meist nimmt der Körper nach einer Erholungsphase das neue Training wieder viel besser an.

Die Reha kann furchtbar öde sein. Was tun gegen die Monotonie des Hamsterrads?

Man kann anfangen, Musik zu hören oder Podcasts während der Übungen, aber besonders hilfreich ist es, soziale Kontakte zu pflegen und Gemeinsamkeiten zu spüren. Das können Gespräche mit anderen Patienten sein, mit Sportlern im Fitnessklub, man tauscht sich aus und kann sich auf diese Weise gegenseitig unterstützen. Das Gefühl des Alleinseins ist nun mal für viele eine Belastung. Das alte Sprichwort „Geteiltes Leid ist halbes Leid“ stimmt ja immer noch.

Sollte man die Reha dann auch spielerischer gestalten?

Definitiv. Wenn ein Fußballer einen Fußball sieht, fängt er zu strahlen an. Und geht die Reha auch motivierter an. Viele nervt es, zu viele Übungen zu machen, die wegführen von ihrem eigentlichen Sport. Eine Profifußballerin sagte mal: Ich will doch nicht zur Tour de France! Weil sie jeden Tag von Trainern aufs Rad gesetzt wurde. Ein guter Physiotherapeut sucht gezielt nach Übungen, die einem Patienten individuell besser liegen. Wobei manche Übungen natürlich sein müssen. Wichtig ist grundsätzlich, positiv an die Sache ranzugehen und Chancen zu erkennen.

Worin können Chancen liegen, wenn man weiß, man muss sich monatelang schinden?

Man kann sich sagen: Ich drücke jetzt die Reset-Taste und überprüfe mich, geistig, körperlich. Manche sprechen von Psychohygiene. Auch wenn es schwerfällt: Es bleibt einem nichts anderes übrig, als zu versuchen, das Beste aus der Situation nach einer Verletzung zu machen. Manche sagen sich auch: Ich werde jetzt fitter denn je. Ich nehme ab. Ich baue Muskeln auf. Ich ernähre mich besser. Ich regeneriere. Viele kommen auf diese Weise tatsächlich stärker zurück. Weil sie kapieren, dass sie sich mehr um sich selbst kümmern müssen. Jeder reift in einem Reha-Prozess auch.

Das leuchtet ein. Doch wenn man allein die Übungen machen muss, wird es schnell wieder zäh, oder?

Natürlich, umso wichtiger ist, sich Ärzte und Therapeuten zu suchen, die einen mitnehmen, die einem das Gefühl geben, dass sie sich kümmern, die einen positiv, aber auch ehrlich durch diesen Prozess führen. Ein Patient, der zu hören bekommt, die Verletzung sei schnell kuriert, und dann dauert es doch Monate, wird Frust entwickeln. Der Sportler soll Bescheid wissen, was auf ihn zukommt. Dann kann man sich auf diese Phase besser einstellen.

Welchen Anteil hat die Reha im gesamten Verlauf daran, wie schnell man wieder gesund wird?

Mal auf das Beispiel Kreuzbandriss bezogen, sagt man: Die Operation entscheidet zu 50 Prozent darüber, dass man wieder richtig gesund wird. Und die Reha ebenfalls zu 50 Prozent. Deshalb ist es wichtig, sowohl einen guten Operateur zu haben als auch einen guten Therapeuten.

Als Nicht-Profisportler kann man nur leider oft staunen, wie schnell etwa Kreuzbandrisse bei Profis heilen. Warum geht das bei ihnen so schnell?

In der Summe liegt es an den Abläufen, die ganz anders sind als bei einem normalen Sportler. Verletzt sich ein Fußballer bei einem Champions-League-Spiel, ist nach 30 Sekunden ein Mediziner beim Verletzten und fängt im Grunde mit der Therapie an. Das kann auch mal nur ein Kühlen sein. Der Arzt kann sofort erste Versorgungsmaßnahmen einleiten. Der Spieler geht dann, wenn es sein muss, sofort vom Stadion weg in die Röhre. Es wird ein MRT durchgeführt, eine Magnetresonanztomografie. Dann haben wir schon die Diagnostik, wofür Otto Normalverbraucher ein paar Tage braucht. Weil er erst am Montag zum Arzt gehen kann. Vielleicht hat er Glück und kann am Dienstag die MRT machen – da ist der Profi schon operiert worden. Und später hat der Profi auch mehrmals Therapien am Tag, die der Amateur so wahrscheinlich nicht hat.

Klingt entmutigend für den Hobbysportler!

Ja, der Leistungssportler ist da deutlich im Vorteil. Wir haben aber auch für Hobbysportler eine gute Versorgung hierzulande, und man muss auch sagen, wenn sich ein normaler Sportler verletzt, hängt in den meisten Fällen nicht gleich seine berufliche Karriere davon ab.

Unterscheidet sich die Reha eines Profisportlers von der eines Amateursportlers?

Im Prinzip nicht, aber ein Unterschied ist deutlich: Bei den Profisportlern geht es nicht darum, ob etwas gesund ist oder nicht. Es geht darum: vertretbar oder nicht vertretbar. Es ist sicher nicht gesund, mit einer Nasenbeinfraktur und Maske gleich wieder Fußball zu spielen. Aber der Profisport geht an Grenzen, weil der Spieler wichtig ist, weil ein wichtiges Spiel oder Turnier ansteht. Er soll oder muss unter allen Umständen spielen. Dann wird medizinisch mehr ins Risiko gegangen.

Was ist schlimmer: zu ehrgeizig in der Reha zu sein? Oder zu faul?

Viele wollen tatsächlich zu schnell gesund und fit werden und überreizen Muskeln oder Gelenke. Wenn es zu früh ist, ist es zu früh. Der Körper gibt einem rasch die Quittung. Die große Challenge für den Amateursportler ist zu erkennen: Wann ist es zu viel? Trainier ich in den Schmerz rein auf Dauer? Dann ergibt es so keinen Sinn. Dann muss ich weniger oder andere Übungen machen. Trainiert man dauerhaft zu wenig, kann das zu anderen Problemen führen. Die Gefahr besteht, dass ein Gelenk steif wird, wenn es nicht durchbewegt wird. So entstehen Folgeschäden wie ein Streckdefizit im Knie, oder man kann die Arme nicht mehr über die Schulter heben. Oder man trainiert sich Schonhaltungen an.

Was heißt das?

Man merkt kleine Kompensationen wie unbewusste Gewichtsverlagerungen, um bestimmte Körperstellen zu entlasten, nicht immer selbst. Auch für das geschulte Auge ist nicht alles identifizierbar. Aber es gibt gute Messmethoden zum Thema Schonhaltung. Man kann jemanden auf ein Fahrrad setzen und auswerten: Wie viel Watt tritt er mit dem rechten Fuß und wie viel Watt mit dem linken? Manchmal hat man auf der linken Pedale 60 Prozent Belastung, auf der anderen nur 40. Ein, zwei Prozent Unterschied sind im tolerierbaren Bereich, aber bei zehn Prozent Unterschied darf man das nicht ignorieren.

Ein Problem für viele ist, seinem Körper nach einer Verletzung wieder zu vertrauen. Wie überwindet man das Trauma?

Vielen, ob Profis oder Amateuren, hilft ein Aha-Erlebnis. Ein Erfolgserlebnis, bei dem sie plötzlich wieder Vertrauen in ihren Körper schöpfen und nicht mehr groß über Bewegungen nachdenken. Sie haben einfach wie früher den schönen Schmetterball im Tennis gespielt oder den Fußball wie früher weggegrätscht. Selbst kleinste Erfolgsmomente können mental viel bewirken.

Was aber macht man, wenn die Verletzung schwer war und man Angst vor Bewegungen in seinem Sport hat?

Da wäre es ratsam, sich auch mentale Hilfe zu holen. Ich habe zuletzt einen Fußballer aus der ersten Liga begleitet, der etwas an der Bandscheibe hatte. Er konnte relativ früh wieder spielen. Aber bis bei ihm das Vertrauen da war, einen Kopfball zu machen, hat das unglaublich lange gedauert. Für mich war das auch spannend zu sehen, wie man dieses Vertrauen wieder zurückerlangt. Die ersten Kopfbälle, die er machte, waren mit dem Luftballon. Inzwischen spielt er wieder frei und voll belastbar. Man muss klar sagen: Wenn sich etwas nicht richtig anfühlt, dann ist etwas nicht richtig. In sich reinzuhorchen, ist extrem wichtig. Und man muss dann auch offen mit seinem Arzt oder Physiotherapeuten reden.

Umso wichtiger ist das Vertrauensverhältnis zu seinem Physiotherapeuten. Nur: Wie findet man als Laie den richtigen Fachmann oder die richtige Fachfrau?

Es gibt viele gute Physiotherapeuten, daher würde ich sagen: Man muss sich wohlfühlen und Vertrauen haben zu einer Person. Ich vergleiche dieses Thema gerne mit Essengehen in Restaurants. Dem einen schmeckt es hier besser, der andere geht lieber dort essen. Und man darf oder sollte sich auch jederzeit eine Zweitmeinung einholen, wenn man Zweifel hat.

Gibt es für eine Reha eine Abkürzung?

Definitiv nicht. Eine Reha muss man ganz durchziehen. Ohne Training wird sie nicht funktionieren. Ich sage immer: Jede Einheit, jede Therapie muss einen weiterbringen. Und wenn ich spüre, nach einer Übung geht es voran, geh ich gerne wieder hin. Man darf sich aber auch nicht immer mit anderen vergleichen. Das setzt viele zu sehr unter Druck. Wenn ich als Amateursportler lese, der Profi war nach acht Wochen wieder fit, und denke mir dann, mit mir stimmt was nicht, ist man sich selbst gegenüber ungerecht. Jeder hat seine eigene Reha-Geschichte.