Regierungsbildung in Ostdeutschland: Unter Schmerzen

Wie notwendig ein Kompromiss war, kann man auch daran erkennen, dass die Beteiligten ihn trotz großer Schmerzen tragen. Wenn alle zu Opfern bereit sind, ist das ein Zeichen dafür, dass die Alternativen wohl noch schmerzhafter gewesen wären.

So ist es auch bei den Koalitionen, die dieser Tage in Brandenburg und Thüringen entstehen, an denen erstmalig das BSW beteiligt ist. In Erfurt präsentierte die sogenannte Brombeerkoalition aus CDU, BSW und SPD am vergangenen Freitag ihren Regierungsplan. In Brandenburg könnte der amtierende Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) noch in dieser Woche das Ergebnis der Verhandlungen mit dem BSW verkünden. Eine Partei, die es vor einem Jahr noch nicht gab, könnte bald in zwei Ländern mitregieren. Dies sind, man kann es nicht anders sagen, historische Tage.

Es sind aber auch schmerzhafte Tage für alle Beteiligten. In Thüringen musste der CDU-Chef Mario Voigt direkt mit Sahra Wagenknecht verhandeln, die in seiner Partei in vergangenen Wahlkämpfen noch als marxistisches Schreckgespenst herhalten musste. In Brandenburg hat die SPD ihren Wirtschaftsminister verloren, weil der eine Koalition mit dem BSW nicht verantworten wollte. Und auch dort musste man Positionen aufgeben, im Kurs gegenüber der Ukraine und den USA konnten die drastischsten Forderungen dann doch nicht ganz durchgesetzt werden. Die Landesverbände trotzten ihrer Berliner Parteichefin.

Nun müssen die Parteien über Koalitionsverträge in Thüringen und Brandenburg abstimmen. Aber allein der Umstand, dass es Einigungen gibt, ist Grund zur Erleichterung. Er zeigt: Die Demokratie funktioniert. Es lebe der Kompromiss! Was hätte Brandenburg und Thüringen gedroht, wenn die Koalitionen nicht zustande gekommen wären? Neuwahlen mit Ergebnissen, die nichts ändern, Zweifel säen an der Demokratie? Oder doch eine irgendwie geartete Öffnung gegenüber der AfD seitens der CDU, um ein Regieren zu ermöglichen?

Natürlich sind die Ursachen für die komplizierten Regierungsbildungen mit den Koalitionsverträgen nicht gelöst: die Unzufriedenheit vieler Menschen mit den etablierten Parteien, die Zweifel mancher am demokratischen System, die Vorstellung, der Krieg in der Ukraine höre auf, wenn man in Deutschland nur laut genug „Frieden“ ruft. Außerdem ist das BSW nicht immer verlässlich bei der Abgrenzung zu den extremen Rändern. So hielt ein sächsischer BSW-Abgeordneter jüngst eine Rede bei einer Demonstration in Görlitz, organisiert von einem Bündnis, das eng mit den rechtsextremen Freien Sachsen zusammenarbeitet.

Und die mühsam ausgehandelte Präambel des Thüringer Koalitionsvertrages zeugt von tiefen weltanschaulichen Differenzen zwischen CDU und SPD auf der einen und BSW auf der anderen Seite. Die „Tradition von Westbindung und Ostpolitik“ von CDU und SPD steht dort einem „kompromisslosen Friedenskurs“ des BSW gegenüber in einem sehr wörtlichen, also gegensätzlichen Sinn. Damit macht der Vertrag Putin-Propaganda regierungsfähig, koalitionsvertraglich beglaubigt. Das ist ein Sieg für Wagenknecht.

Schön ist das nicht. Aber Außenpolitik wird glücklicherweise nicht in Thüringen oder Brandenburg gemacht. Landes- und Innenpolitik dafür schon. Und da sind diese Koalitionen eine Chance und auch eine Verantwortung. Sie haben verhindert, dass die AfD nun (mit)regiert. Jetzt müssen sie gute Arbeit machen, damit das auch in Zukunft nicht passiert. Diese Aufgabe ist komplizierter und kleinteiliger, als Sahra Wagenknechts Textbausteine aus Koalitionsverträgen herauszuhalten. Die neuen Regierungen müssen nicht nur die ohnehin drängenden Probleme lösen, also Demografie, Infrastruktur, Bildung. Sie müssen auch die Menschen vor Ort für jene Prozesse begeistern, mit denen man diese Probleme in einer Demokratie löst. Und dort liegt die Lösung eben in der Schönheit des Kompromisses.

Funktionieren kann das nur, wenn die ersten Kompromisse nach diesen Wahlen, nämlich die eigentlich sehr unwahrscheinlichen Koalitionsverträge, als das bewertet werden, was sie sind: konstruktive politische Leistungen. Zudem haben es die Leute vom BSW aus dem Stand in Regierungen geschafft. Nun kann wirklich keiner mehr sagen, dass sich demokratisches Engagement nicht lohnt.