Junge Menschen radikalisieren
sich politisch zunehmend. Die AfD war bei den Europawahlen und den drei
ostdeutschen Landtagswahlen die mit Abstand stärkste Partei unter den jungen
Menschen. In Thüringen erreichte die AfD bei Wählern unter 24 Jahren einen
Stimmenanteil von fast 40 Prozent – mehr als bei jeder anderen Altersgruppe.
Besonders junge Männer stimmen weitaus häufiger für die AfD als junge Frauen.
Ein Grund für diese Radikalisierung ist die mangelnde Chancengleichheit in der
Bildung.
Vieles deutet darauf hin, dass
Männer bei den Bildungschancen deutlich schlechter dastehen als Frauen: Junge
Männer machen inzwischen seltener Abitur (45 Prozent im Vergleich zu 55 Prozent
der jungen Frauen), müssen öfter eine Klassenstufe wiederholen, brechen häufiger die Schule ab und
erreichen, wenn sie ihren Abschluss machen, schlechtere Noten. Zudem beginnen weniger
junge Männer ein Studium und mehr von ihnen bleiben ohne Berufsabschluss.
Nun könnte man einwenden, dass
Männer zwar einen schlechteren Start in Bezug auf Bildung und Berufschancen
haben, diese Nachteile jedoch später ausgleichen und Frauen überholen. Die
Erwerbsquote von Männern ist deutlich höher, ebenso wie Einkommen und Stundenlöhne
(der Gender-Pay-Gap in Deutschland beträgt immer noch 18 Prozent und ist einer
der höchsten in Europa, der bereinigte Gender-Pay-Gap stagniert seit Jahren bei sechs Prozent). Männer haben auch bessere Karrierechancen – die große
Mehrheit der Spitzenpositionen in Politik, Wirtschaft und Wissenschaft ist nach
wie vor von Männern besetzt.
Dieses Argument greift jedoch zu
kurz. Was für Männer im Durchschnitt zutreffen mag, gilt für viele junge Männer
nicht: Sie werden die Nachteile der ersten 20 Jahre ihres Lebens nie wieder
aufholen. Die Arbeitslosigkeit unter jungen Männern ist höher. Männer sind zwar
überproportional häufig am oberen Ende der Verteilung in Bezug auf Einkommen
und Karrierechancen vertreten, sie befinden sich jedoch auch überproportional
häufig am unteren Ende, etwa in den Bereichen Gesundheit und
Lebenszufriedenheit. Die Ungleichheit in Einkommen, Arbeit und Chancen ist für
junge Männer heute sehr viel größer – und zwar im Vergleich zu ihren Vätern und
Großvätern sowie im Vergleich zu jungen Frauen.
Männer genießen auch heute noch
zahlreiche Vorteile – im Arbeitsleben, in der Familie und in der Gesellschaft.
Sie werden im Durchschnitt besser bezahlt, haben bessere Karrieremöglichkeiten,
beteiligen sich weniger an der Sorgearbeit und sind im Schnitt zufriedener als
Frauen. Ein Abbau von Privilegien bedeutet lediglich, dass diese Vorteile
kleiner werden und Männer sich zunehmend an Aufgaben beteiligen, die
bisher typischerweise von Frauen übernommen wurden. Damit müssen sie sich dem
Wettbewerb mit Frauen stellen. Viele Männer empfinden den Verlust dieser
Privilegien subjektiv als Benachteiligung. Objektiv ist er das jedoch nicht.
Die AfD ist stark, wo junge Frauen abwandern
Die AfD ist nicht nur unter
jungen Männern stärker als unter jungen Frauen, sondern auch unter Menschen ohne
höheren Bildungsabschluss, in strukturschwachen Regionen und bei Beschäftigten
in Tätigkeiten ohne Ausbildung. Eine Studie des DIW Berlin zeigt, dass fehlende
Chancen und Perspektiven eine der wichtigsten Erklärungen für den Aufstieg der
AfD sind: Die Partei ist dort besonders stark, wo junge, gut qualifizierte
Menschen abwandern – und dies sind vor allem junge Frauen.
Es ist daher dringend notwendig,
das Fehlen von Chancengleichheit für junge Männer stärker in den Fokus zu
rücken. Eine weitere Studie des DIW Berlin belegt, dass sich Jungen in der
Schule langsamer entwickeln. Dies führt dazu, dass Mädchen im Durchschnitt über
die gesamte Schulzeit hinweg bessere Ergebnisse erzielen – auch in Mathematik
und Naturwissenschaften. Das Bildungssystem muss diese Unterschiede daher
stärker berücksichtigen.
Der schnelle technologische
Wandel erfordert mehr Flexibilität und Mobilität, vor allem in typischen
Männerberufen im Handwerk und verarbeitenden Gewerbe. Deshalb ist eine gute
Ausbildung und Qualifizierung wichtiger denn je. Im Laufe ihres Arbeitslebens
werden sich fast alle Menschen weiterbilden oder sogar ganz neu orientieren
müssen. Wer nur eine geringe Bildung und Qualifizierung hat und sich an
veralteten Privilegien festklammert, wird es schwer haben, sich in der neuen
Arbeitswelt zurechtzufinden. Besonders junge Männer sind davon betroffen.
Echte Chancengleichheit ist die
Grundlage unserer Demokratie und unseres wirtschaftlichen Wohlstands. Es sind in
der Regel Frauen und Minderheiten, denen wichtige Chancen vorenthalten werden.
Politik und Gesellschaft müssen aktiv gegen Diskriminierung und Benachteiligung
vorgehen. Ein blinder Fleck bleibt jedoch: Viele junge Männer schneiden im Bildungs-
und Ausbildungssystem schlechter ab. Dieses Defizit muss dringend angegangen
werden. Denn sonst wächst die Gruppe der jungen Männer weiter an, die man durchaus als verloren ansehen kann – und das schwächt auch die Demokratie. Die soziale und wirtschaftliche Teilhabe
sollte daher auch für junge Männer verbessert werden.