Manchmal ist der Prolog eines Fußballspiels interessanter als die Partie selbst. Besonders bemerkenswert war, dass dies am Mittwoch auch für eine Partie mit sieben Toren galt: für den 4:3-Sieg von Real Madrid in der Champions League bei Olympiakos Piräus.
Den Prolog hatte das Gerede um die erste Krise der Ära von Trainer Xabi Alonso gebildet. Und dieses Vorspiel war auch nach Reals erstem Europacup-Sieg auf griechischem Boden präsent – obwohl der französische Angreifer Kylian Mbappé vier Tore in einem Spiel des wichtigsten Klubwettbewerbs der Welt erzielt hatte, als erst vierter Real-Spieler nach Alfredo Di Stéfano (1958 und 1959), Ferenc Puskás (1960 und 1965) und Cristiano Ronaldo (2015). Und obwohl Spaniens Tabellenführer mit dem 4:3 eine Serie beenden konnte, die vorab als alarmierend galt. Denn drei Spiele nacheinander ohne Sieg führen in Madrid dazu, dass die Trompeten der Apokalypse entstaubt werden.
Dass die auch nach dem Sieg in Piräus griffbereit bleiben, liegt am Alpha und Omega dieser schrägen Partie. Real hatte durch einen Treffer von Olympiakos-Mittelfeldspieler Chiquinho früh 0:1 zurückgelegen und blickte in den Schlussminuten bang auf die Uhr, um die Restspielzeit quälend langsam verrinnen zu sehen. Das Spiel der Madrilenen sei weitgehend „Dreck“ gewesen, urteilte die Zeitung Marca.
Tatsächlich wirkte Real erneut so verwundbar wie in den Spielen, die zuletzt in Liverpool in eine Niederlage (0:1) sowie bei Rayo Vallecano (0:0) und in Elche (2:2) in Unentschieden gemündet waren. Zwar schlug Real gegen die ausnehmend abwehrschwachen Griechen zurück; Mbappé fabrizierte dabei in 6:43 Minuten sogar den zweitschnellsten Hattrick der Champions-League-Geschichte (nur Liverpools Mo Salah war 2022 in 6:12 Minuten gegen die Glasgow Rangers schneller). Aber um ein Haar hätte nicht einmal das vierte Tor gereicht, das Mbappé auch noch schoss (59.). Denn Olympiakos kam zweimal zum Anschlusstreffer: in der 52. Minute durch Mehdi Taremi und in der 81. Minute durch Ayoub El Kaabi.
Kolportiert wird, dass Xabi Alonso die Spieler durch intensive Taktik-Schulungen nerven soll
Am Ende herrschte bei Real dennoch Erleichterung. „Ich werte das Wichtigste: die drei Punkte“, sagte Alonso. Die Zähler seien „nicht nur mit Blick auf die Tabelle vital“, erläuterte der Trainer, dessen Team nun bei drei ausstehenden Spielen mit zwölf Punkten Fünfter ist, „sondern auch um die Dynamik aus drei Spielen ohne Sieg zu durchbrechen“. Es wurde tatsächlich Zeit dafür. Schon vor dem 2:1-Sieg im Clásico gegen den FC Barcelona von Ende Oktober hatte es Geraune über das Betriebsklima gegeben. Danach wurde der Herbstblues der Hauptstädter kontinuierlich schlimmer.
Auslöser war im Oktober ein spektakulärer Ausraster von Vinícius Jr., der Flügelstürmer hatte im Clásico gegen seine Auswechslung durch Alonso vor aller Augen aufbegehrt. Wenige Wochen zuvor hatte schon Federico Valverde gemurrt; ihn plagt schon länger, dass er sich für den natürlichen Erben des (am Donnerstag im Bernabéu-Stadion von Bundespräsident Steinmeier mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichneten) Toni Kroos hält, während Alonso ihn aus nachvollziehbaren Gründen nicht als Organisator sieht. In der Folge erhöhte sich die Frequenz, mit der die Medien der spanischen Hauptstadt unter Berufung auf anonyme Quellen versicherten, dass die Zahl der Spieler zunehme, die mit Alonso fremdeln würden.
Unter anderem streuten Klubquellen, dass Xabi Alonso seinen Fußballern mit langen Taktiksitzungen gehörig auf die Drähte gehen soll. Was auch darauf zurückgeführt wird, dass sich die Real-Profis tatsächlich umstellen mussten: Alonsos Vorgänger Carlo Ancelotti, seit Sommer Nationaltrainer Brasiliens, gilt als Ausgeburt eines Bauchentscheidungstrainers ohne allzu komplexe Lehre.

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Parallel dazu erhielten Gerüchte Nahrung, dass Präsident Florentino Pérez der Alonso-Verpflichtung eher widerwillig zugestimmt haben soll – und dass er Geschäftsführer José Ángel Sánchez dazu anhalten soll, periodisch bei Jürgen Klopp nachzufragen, ob er sich nicht doch ein Comeback als Trainer vorstellen und den Job als „Global Head of Soccer“ eines Getränke-Konzerns aus Österreich aufgeben könne. Vor diesem Hintergrund drohte vor der Partie in Piräus alles aus den Fugen zu geraten. Alonso berichtete in der Pressekonferenz, mit Pérez über dies und das gesprochen zu haben. Ein Medium, das Pérez nahesteht, jazzte dies umgehend zu einer demonstrativen Unterstützung Alonsos durch den Präsidenten hoch. In Wahrheit dürfte der Kontakt einen profanen Hintergrund gehabt haben: Alonso beging am Dienstag seinen 44. Geburtstag.
Kylian Mbappé wiederum stellte sich am Mittwoch vor den Coach: „Im Leben ist nie alles perfekt“, sagte er, „und es ist nur normal, dass sich Dinge ändern, wenn ein neues Projekt anfängt. Aber das heißt nicht, dass gerechtfertigt wäre, was um uns herum passiert.“ Mbappé versicherte auch, dass in der Kabine „große Einigkeit“ herrsche. Und dass es die Aufgabe der Spieler sei, „den Trainer zu verteidigen“. Alonso selbst ließ zumindest äußerlich alles an sich abperlen: Er sei nicht der erste Real-Coach, der derlei ertragen müsse.
Dass das Geraune nun vorbei ist, muss man nicht erwarten. Denn objektiv lässt Reals Performance zu wünschen übrig. Die Defensive funktioniert nicht, allein in der Champions League hat man bisher 5,6 Torschüsse pro Partie hinnehmen müssen. Das Aufbauspiel ist dürftig. Und die Produktivität in der Offensive hängt derzeit exzessiv an Mbappé: Von den 40 Toren, die Real wettbewerbsübergreifend erzielt hat, gingen 22 auf das Konto des Franzosen.
Den daraus resultierenden Vorhalt der Mbappé-Abhängigkeit wies der Angreifer selbst zurück: „Jede Mannschaft hat Spieler, die ihre Arbeit für das Team leisten müssen. Meine besteht halt darin, Tore zu erzielen“, sagte Mbappé. Auch in den kommenden Tagen wird er gefordert bleiben. Am Sonntag reist Real zum FC Girona und am Mittwoch zu Athletic nach Bilbao. Danach stehen zwei Spiele an, die ebenfalls herausfordernd sein dürften: Erst gastiert Celta de Vigo im Bernabéu, danach reist Pep Guardiola mit Manchester City an.
