
Russlands Präsident Wladimir Putin hat vor Kurzem eine Botschaft an westliche Konzerne gesendet, die über eine Rückkehr nach Russland nachdenken. Zusammengefasst lautet sie: Die Rückkaufoptionen, die sich einige Unternehmen bei ihrem Weggang im Zuge des Angriffskriegs gegen die Ukraine gesichert haben, sind nichts mehr wert. Und Unternehmen sollen nur dann zurückkommen dürfen, wenn kein russisches Unternehmen unter der wiedergewonnenen Konkurrenz leidet.
Als Szenerie für Putins Aussagen hatte der Kreml ein ungewöhnliches Treffen organisiert. Statt wie üblich mit den Chefs der großen Staats- und Rohstoffkonzerne, sprach Putin mit bisher kaum bekannten Vertretern mittelgroßer Firmen – etwa der Fast-Food-Kette Wkusno i Totschka (Lecker und Punkt), die nach dem Weggang von McDonald’s deren Infrastruktur übernommen hatte, oder von IT-Firmen, die Ersatz für westliche Importe herstellen.
Die Unternehmer klagten dem Präsidenten ihre Sorge vor einer Wiederkehr der Wettbewerber aus dem Westen: Oleg Parujew von Wkusno i Totschka sagte, falls McDonald’s zurückkehre, wäre all die harte Arbeit, um die eigene Marke aufzubauen, umsonst gewesen: Selbst die Küchengeräte würden dann wieder amerikanisch. Putin fragte, ob McDonald’s sich ein Rückkaufrecht auf seine Aktiva gesichert habe. Als Parujew bejahte, gab Putin zurück: „Erinnern Sie sich an den berühmten Witz: Nur Feiglinge zahlen Schulden! So ist es auch hier!“ Damit meinte er offenbar, wie aus späteren Äußerungen klar wurde, dass Wege gefunden werden sollen, die vertraglich festgelegten Rückkaufoptionen zu umgehen.
Keine Öffnung des Marktes
Schon Mitte Mai hatte Putin gesagt, dass ausländische Unternehmen nur dann zurückkehren dürfen sollten, wenn der Markt sie brauche und es keine russische Alternative für sie gebe. Andernfalls sollte man „tausend Gründe“ finden, um die Rückkehr zu verweigern, so Putin. Von diesen Gründen würden „999 genau den Anforderungen der WTO“, der Welthandelsorganisation, entsprechen; über den einen, der das nicht tue, „werden wir vor Gericht streiten“, und zwar etwa 15 Jahre lang, witzelte der Präsident.
Putin propagiert seit Jahren einen protektionistischen Ansatz, so im Rahmen der „Importsubstitution“, mit der schon seit Beginn der Aggression gegen die Ukraine im Jahr 2014 wegfallende Einfuhren durch häufig staatlich geförderte russische Alternativen ersetzt werden sollen. Doch hatte es in diesem Frühjahr Anzeichen dafür gegeben, dass sich die russische Führung wegen der Annäherung zwischen Putin und dem amerikanischen Präsidenten Donald Trump auf eine Wiederkehr westlicher Konzerne vorbereitete. So wurden von der Regierung Regeln für Rückkehrer ausgearbeitet.
Doch das sorgte offenbar für großen Unmut unter den Unternehmern, die die Nischen inzwischen besetzt haben. Viele dürften die westliche Konkurrenz wirtschaftlich nicht überleben: Häufig haben sie viel Geld investiert, um ihr Geschäft aufzubauen, außerdem kämpfen sie mit komplizierten Lieferketten wegen der Sanktionen und hohen Kreditkosten bei einem Leitzins von aktuell 20 Prozent. Für dieses Jahr erwartet die Zentralbank zudem eine deutliche Verlangsamung des Wachstums auf nur noch 1 bis 2 Prozent, nach 4,3 Prozent im vergangenen Jahr.
Im Kreml-Narrativ der Niedergang des Westens
In dieser Lage will Putin offensichtlich keine Öffnung des Marktes. Auch in Richtung amerikanischer Konzerne schlug er aggressive Töne an: Als der Manager eines IT-Konzerns sich bei dem Treffen Ende Mai, von dem der Kreml ein Video veröffentlicht hat, über die Konkurrenz der „nicht vollständig aus Russland weggegangenen“ Konzerne wie Microsoft und Zoom beschwert und darum bittet, sie „ein wenig einzuschränken“, antwortet Putin: „Wir müssen sie erdrosseln.“ Man habe „niemanden ausgewiesen“, sondern „die günstigsten Bedingungen geschaffen, damit sie auf unserem Markt arbeiten können, und sie versuchen, uns zu erdrosseln – wir müssen es ihnen gleichtun“, sagte Putin.
Die Duma, das Unterhaus des Parlaments, befasst sich bereits mit einem Gesetzentwurf, der es russischen Unternehmen und Behörden erlauben würde, den ausländischen früheren Eigentümern russischer Aktiva ihr Rückkaufrecht zu verweigern. Grund dafür können „unfreundliche Handlungen des Landes des Aktionärs gegenüber Russland“ sein, oder dass der im Vertrag vereinbarte Preis unter dem aktuellen Marktwert liegt. Im Falle einer Ablehnung soll die Regierung eine Entschädigung festlegen. Eine Rückkaufoption hatten sich wie McDonald’s mehrere Konzerne bei ihrem Weggang aus Russland gesichert, darunter der französische Autobauer Renault und der deutsche Konsumgüterhersteller Henkel , der eine Anfrage der F.A.Z. dazu bis Redaktionsschluss unbeantwortet ließ.
Die neuen Maßnahmen dürften indes nicht nur westliche Firmen von Rückkehrplänen abbringen, sondern auch Investoren aus „freundlichen“ Staaten, die keine Sanktionen verhängt haben, verunsichern. Dabei bemüht sich Russland aktiv um Partnerschaften mit Ländern Asiens und Lateinamerikas, was auch auf dem an diesem Mittwoch beginnenden „Sankt Petersburger Internationalen Wirtschaftsforum“ deutlich wird, das in diesem Jahr unter dem Motto steht: „Gemeinsame Werte: Die Grundlage für Wachstum in einer multipolaren Welt.“ Damit sind im Kreml-Narrativ ein Niedergang des Westens und der Aufstieg Chinas sowie von Schwellenländern wie Russland gemeint.
Das Forum, zu dem früher viele westliche Staatsführer und Manager großer Konzerne anreisten, ist seit dem Überfall auf die Ukraine 2022 zu einer hauptsächlich innerrussischen Symbolveranstaltung geworden. Die wenigen westlichen Teilnehmer werden meist besonders hervorgehoben. In diesem Jahr ist zum wiederholten Mal der ungarische Außenminister Péter Szijjártó angekündigt, der an einer Diskussion über den Energiemarkt teilnimmt, wohl weil sein Land weiterhin russisches Öl importiert. Doch schicken die meisten Länder nicht die erste Riege ihrer Manager oder Politiker nach Sankt Petersburg. So nimmt an einer Diskussion zum Thema Russland – China kein wichtiger chinesischer Wirtschaftsvertreter teil, obwohl China für Russlands inzwischen der mit Abstand größte Handelspartner ist.
Investitionen in Russland sind nicht nur wegen der Gefahr von Sekundärsanktionen unattraktiv geworden, sondern auch weil der Kreml in den vergangenen Jahren Vermögenswerte russischer und ausländischer Geschäftsleute faktisch enteignet hat. Einem aktuellen Bericht des Forschungsinstituts der finnischen Notenbank, BOFIT, zufolge, ist der Gesamtwert der ausländischen Portfolioinvestitionen in Russland von 190 Milliarden Dollar im ersten Halbjahr 2021 auf nur noch 50 Milliarden Dollar in der ersten Hälfte des vergangenen Jahres gesunken. Der Rückgang chinesischer Investitionen ist BOFIT zufolge ähnlich deutlich.