

Die Wut der Demonstranten in Bulgarien richtet sich vor allem gegen zwei Männer. Der Regierung, die am Donnerstag wegen der größten Proteste seit dreißig Jahren zurückgetreten ist, haben sie gar nicht angehört. Aber die beiden gelten ihren Gegnern als die eigentlichen Strippenzieher des Bündnisses, das in Bulgarien seit Anfang des Jahres an der Macht ist – und sie stehen aus ihrer Sicht für ein System, in dem nicht die Wähler bestimmen, was im Land geschieht, sondern Korruption und illegitime Einflussnahme.
Die beiden sind keine Freunde, sondern Konkurrenten oder gar Gegner, sie unterscheiden sich in ihrem Auftreten und ihrer Handlungsweise stark. Der eine sucht die Öffentlichkeit und verdankt seinen Aufstieg der Fähigkeit, als Volkstribun aufzutreten; der andere hat die meiste Zeit seiner Laufbahn im Hintergrund gewirkt, wo er seine Kontakte und seine erheblichen Geldmittel – deren Ursprung nicht ganz klar ist – spielen lässt.
Die Namen der beiden Männer sind Bojko Borissow und Deljan Peewski. An Borissow führt in der bulgarischen Politik kein Weg vorbei, seit er vor zwanzig Jahren zum Bürgermeister der Hauptstadt Sofia gewählt wurde. Zwischen 2009 und 2021 war er insgesamt neun Jahre Ministerpräsident. Seine Partei „Bürger für ein Europäisches Bulgarien“ (GERB) ging in den vergangenen 16 Jahren aus den meisten Parlamentswahlen als stärkste Kraft hervor.
Nach einer mehr als ein halbes Jahr andauernden Welle von Protesten gegen die Korruption im Land trat er im Frühling 2021 vom Amt des Ministerpräsidenten zurück, blieb aber an der Spitze der Partei. Dass er der Regierung nicht mehr angehört, ist der Preis für den Erhalt der Macht. Denn andere Parteien sind nur dann zu Koalitionen mit GERB bereit, wenn Borissow dem Kabinett nicht angehört.
Peewskis Name war schon früh mit Skandalen verbunden
Borissows Weg in die Politik begann in der Partei des früheren bulgarischen Zaren Simeon Sakskoburggotski, die im Sommer 2001 nur wenige Wochen nach ihrer Gründung triumphal in der Parlamentswahl siegte. In dieser Partei begann auch Peewskis Aufstieg. Er war erst 21 Jahre alt war, als der frühere Monarch im Gewand eines bürgerlichen Politikers Ministerpräsident wurde und den Bulgaren Wunder versprach.
Peewski wurde in dessen Regierung Staatssekretär im Verkehrsministerium. In den folgenden Jahren hatte er unterschiedliche Ämter in Regierung und Justiz inne. Sein Name fiel im Zusammenhang mit mehreren Skandalen, in denen es um staatliches Geld und Privatisierungen ging, erregte in der an Affären reichen bulgarischen Politik aber kein übermäßiges Aufsehen.
US-Sanktionen wegen Einflussnahme und Bestechung
Das änderte sich im Sommer 2013, als die sozialistische Regierung ihn zum Chef des Inlandsgeheimdienstes machen wollte. Unmittelbar vor seiner Ernennung waren im Eilverfahren die gesetzlichen Anforderungen an die Qualifikation für den Posten an Peewskis Lebenslauf angepasst und die Vollmachten des Dienstes erweitert worden. Das Ergebnis war eine Protestwelle, die jener ähnlich ist, die gerade durch Bulgarien rollt: Vor allem gut ausgebildete junge Menschen protestierten wochenlang gegen den Einfluss korrupter Kräfte auf den bulgarischen Staat.
Peewski verzichtete „im Interesse des Landes“, wie er schrieb, schon nach einem Tag auf das Amt. Seinen persönlichen Interessen hat das nicht geschadet. Unterhalb der Schwelle öffentlicher Aufmerksamkeit wuchs sein Einfluss seither. Die Konturen seiner wirtschaftlichen Aktivitäten blieben dabei stets verschwommen. Er wird mit verschiedenen Unternehmen in Verbindung gebracht, ohne dass es Beweise für seine Beteiligung gäbe.
Unbemerkt blieb Peewski freilich nicht. Im Jahr 2021 verhängten die USA und Großbritannien Sanktionen gegen ihn. Das amerikanische Schatzamt schrieb zu Begründung, Peewski nutze „Einflussnahme und Bestechungsgelder, um sich vor öffentlicher Kontrolle zu schützen und Kontrolle über wichtige Institutionen und Sektoren der bulgarischen Gesellschaft auszuüben“. Peewski habe Politiker mit Geld unterstützt, um Schutz vor Strafverfahren zu bekommen. In dem US-Dokument wird auch beschrieben, wie Peewski indirekt Einfluss auf die Sicherheitskräfte nimmt.
Der Aufstieg zum Königsmacher
Die amerikanischen Sanktionen veranlassten Peewski zur Flucht nach vorne. Mit dem Ziel, sie loszuwerden, ging er in die öffentliche Politik. Er errang die Macht über die vor allem von der türkischen Minderheit unterstützte Bewegung für Rechte und Freiheiten (DPS); diese Partei hat für ihn den Vorteil, dass sie über klientelistische Netzwerke in den ärmsten Regionen des Landes eine sichere Wählerbasis garantieren kann.
Seit Russlands Überfall auf die Ukraine positioniert sich Peewski als entschieden prowestlich. Die politische Instabilität seit Bojko Borissows Abschied von der Regierungsmacht vor vier Jahren mit sieben Parlamentswahlen ließ seinen politischen Einfluss immer weiter wachsen – bis er Anfang dieses Jahres zum Königsmacher einer Minderheitsregierung wurde. Als Partner einer Dreier-Koalition ohne eigene Mehrheit gewann Peewski Einfluss, ohne Verantwortung übernehmen zu müssen. Borissow und Peewski wurden in der bulgarischen Öffentlichkeit als Tandem wahrgenommen – in dem Peewski zunehmend die Richtung vorgab.
Ablesbar wurde das an jenem Haushaltsentwurf, der nun die Proteste auslöste: Während den Bürgern höhere Steuern und Sozialbeiträge aufgebürdet wurden, gab es für die Staatsbediensteten in den Institutionen, auf die Peewski Einfluss hat, vor allem in den Sicherheitskräften, üppige Lohnerhöhungen.
