
Bei der Präsidentschaftswahl in Chile liegt die linke Regierungskandidatin Jeannette Jara ersten Zwischenergebnissen zufolge vorn. Nach Auszählung von mehr als der Hälfte der Stimmen kam sie am Sonntag auf 27 Prozent. Ihr folgte der Rechtsaußen-Politiker José Antonio Kast mit 24 Prozent. Weil sich damit für keinen der beiden Kandidaten eine absolute Mehrheit abzeichnet, dürften sich beide einer Stichwahl am 14. Dezember stellen.
Jara wäre die erste Kandidatin der Kommunistischen Partei Chiles, die es in eine Stichwahl schafft. Meinungsforscher sehen dann jedoch Kast im Vorteil. Sie erwarten, dass sich die konservativen Kräfte hinter dem Gründer der rechtsgerichteten Republikanischen Partei sammeln und ihm zum Sieg verhelfen. Der libertäre Kongressabgeordnete Johannes Kaiser hat am Sonntag bereits seine Unterstützung für Kast angekündigt.
Sehr unterschiedliche Prioritäten
Jara hat im Wahlkampf eine Verschärfung der Waffengesetze, eine stärkere technologische Überwachung der Grenzen und die Aufhebung des Bankgeheimnisses zur Verfolgung organisierter Kriminalität vorgeschlagen. Kast hingegen will hart gegen Kriminalität und Einwanderung vorgehen und hat den Bau einer Grenzmauer mit Gräben, die Abschiebung aller Migranten ohne Papiere und den Einsatz des Militärs in Problemvierteln angekündigt.
Der Wahlkampf war von Sorgen der Wähler über Kriminalität und Einwanderung geprägt. Dies ist eine deutliche Veränderung im Vergleich zur vorigen Wahl, bei der die Menschen sich progressive Reformen und eine neue Verfassung erhofften, was den derzeit amtierenden Präsidenten Gabriel Boric an die Macht brachte. Die 51-jährige Jara war Arbeitsministerin unter Boric.
Neue Wahlpflicht
Insgesamt hatten sich acht Kandidaten um die Präsidentschaft beworben. Anders als bei der vorigen Wahl herrschte für die 15,7 Millionen registrierten Wählerinnen und Wähler Wahlpflicht.
Auch Teile des Parlaments wurden neu gewählt. Das gesamte Unterhaus mit 155 Mitgliedern und 23 der 50 Sitze im Senat werden neu besetzt. Die regierende linke Koalition hat derzeit in beiden Kammern eine Minderheit. Sollte die Rechte die Präsidentschaft und die Kontrolle über beide Kammern des Kongresses erringen, wäre dies das erste Mal seit dem Ende der Pinochet-Diktatur 1990.
Der Rechtsruck in Chile spiegelt die jüngsten Niederlagen von Linken in ganz Lateinamerika wider und deutet auf eine wachsende Dynamik für konservative Kandidaten in Kolumbien, Peru und Brasilien hin.
