Politische Avatare: Europas digitales Traumpaar

Also jetzt geht es los, genau wie Elon Musk vorausgesagt hatte, als er noch klar denken konnte: Die künstliche Intelligenz übernimmt. Einmal musste der Zustand der „Singularität“ erreicht sein, in dem die Menschen der KI nur noch folgsam hinterherhoppeln können. Es war unvermeidlich. Die KI setzt sich an die Schalthebel der Macht, genau in jenem Moment, in dem sie erkennt, dass die Menschen doch dümmer sind, als sie gedacht hatte, und es ihnen eigentlich auch egal ist, wer die Macht hat.

Natürlich kommt der Wechsel nicht im Zuge eines mit Großbuchstaben unterzeichneten Dekrets, sondern die KI zieht sich erst mal eine albanische Tracht an, in der sie mütterlich, aber auch ein bisschen energisch aussieht. „Sonnenschein“ möchte sie gerufen werden (kein anderer Name hätte es sein dürfen) und hat jetzt – man muss die Welt von hinten, also von der Peripherie aus aufrollen – im Fall des albanischen Ministerpräsidenten Edi Rama als Ministerin für öffentliche Aufträge den Weg ins albanische Kabinett geschafft. Sie arbeitet direkt dem Regierungschef zu. Das ist schon mal ein Anfang. Diella, Albanisch für Sonne oder Sonnenschein, wird das öffentliche Finanzgebaren mit kontrollieren und die Korruption besiegen. Damit wird sie sich in Albanien ganz bestimmt zu einer sehr beliebten Politikerin entwickeln und könnte sich als erste KI auch zur Ministerpräsidentin wählen lassen. Und dann weiter in Europa.

Muss die KI eigentlich gewählt werden? Und wieso ist sie weiblich? Könnte sie auch queer sein oder trans oder, wenn sie doch böse ist, sogar männlich? An dieser Stelle einzuwenden, das könnten wir ja noch frei festlegen, wäre leichtfertig. Sie legt uns längst fest, und zwar mit Kompetenz und Charme. Wir sind ja längst bezaubert. 

Dazu ein weiteres Beispiel aus Deutschland, das zum Komplex „Herbst der Reformen“ der Bundesregierung gezählt werden darf und beweist, dass dieses Land innovationsfähig ist: Wolfram Weimer, den Staatsminister mit dem langen Namen Beauftragter der Bundesregierung für Kultur und Medien, gibt es nun als kurze KI. Ihre Designer nennen sie „Weimatar“, und da hätte es schon ein anderer Name sein können, weil Weimer und Weimar nichts miteinander zu tun haben, also vielleicht besser „Goldener Oktober“ oder etwas hipper: „Schwarzer Blob“.

Vorläufig sind die Aufgaben des Weimatars noch begrenzt. Im Wesentlichen darf er in den sozialen Medien die deutsche Kultur preisen, auf unseren ethischen Werten bestehen und sich für die deutsch-polnische Freundschaft bedanken, die so allerdings nur in seinem Universum existiert. Ausbaufähig ist das allemal. Wir haben nun einen echten und einen wahren Kulturstaatsminister, der wahre spricht fließend Fremdsprachen und sein Anzug scheint etwas besser zu sitzen. Der Bundestag muss sich zwar noch mit dem echten begnügen, doch dieses Problem lässt sich inzwischen lösen, wie die ABBA Voyage Show in London bewiesen hat. Man wirkt dann auch jünger, so vollständig digital. 

Diella und der Weimatar sind Europas digitales Traumpaar und markieren an sich schon einen Augenblick der Singularität, auch weil sie die KI-Geschlechterfrage einigermaßen befriedigend beantworten. Die Kombination aus albanischer Transparenz und deutscher Witzigkeit ist unschlagbar. Sie wäre Menschen nie eingefallen, nicht einmal Feuilletonisten.