Was dieser Sport alles kann: Er kann bei nasskaltem Wetter tausende Menschen in Bergtäler locken. Er kann Sportler fliegen lassen, weit, weit über Flugschanzen, er kann Sportler Erfolgsserien hinlegen lassen, und ja, sie stürzen lassen. Er kann immer wieder Dramen provozieren, weil dieser Sport sich permanent an der Grenze bewegt.
Und jetzt präsentiert das Skispringen eine Verjüngungskur. Nämlich einen Athleten, der die meiste Zeit seiner Karriere zwar unter den besten deutschen Springern dabei war – und doch nicht bemerkt wurde vom großen Publikum. Jetzt aber hat Pius Paschke aus Kiefersfelden ihn geschafft, seinen Durchbruch. Einen ersten Weltcupsieg hatte er schon errungen, vor elf Monaten. Aber nun, mit seinem Sieg am Samstag in Lillehammer zum Saisonbeginn und am Sonntag mit Rang zwei im zweiten Weltcupspringen in Norwegen, ist er erst einmal der Gejagte im noch jungen Gesamtweltcup 2024/25, mit 35 Punkten Vorsprung vor den Österreichern Jan Hörl und Daniel Tschofenig.
Bei den Skisprung-Frauen ereignete sich Ähnliches, jedoch war der Ausgang des Weltcup-Starts hier weniger überraschend. Es präsentierte nicht plötzlich jemand seine für die Fans überraschende Top-Form, sondern es war Katharina Schmid. Sie kennt seit vielen Jahren schon das Gefühl, auf dem Weltcup-Podest ganz oben zu stehen. In Lillehammer nun zum siebten Mal, insgesamt zum 16. Mal. Den gelungenen Auftakt des Deutschen Skiverbandes vervollständigte Selina Freitag mit Platz zwei.
:Skispringen-Weltcup: Alle Termine auf einen Blick
Die Frauen und Männer legen Ende November los und gehen in die neue Saison. Der Skisprung-Kalender 2024/25 mit allen Wettkämpfen im Überblick.
Paschke ist tatsächlich das, was man einen Spätzünder des Sports nennt
Allerdings, ob Frauen oder Männer, dies ist ja auch Skispringen, und da wird eigentlich nicht gejagt. Skispringende sind feinfühlige Menschen, die eher mit sich selbst beschäftigt sind, mit ihren Gedanken, die sie möglichst innerlich ausschalten sollten, wenn sie sich in die Anlaufspur begeben, um dann an der entscheidenden Stelle, unten im Radius, alles dem Körper zu überlassen, den idealen Druckpunkt zu fühlen und dann optimal abzuheben.
Trotz Paschkes starker Form konnten die wenigsten Beobachter vorhersehen, was folgte. Dieser Sport überrascht immer mal wieder, aber dass einer, der all die Jahre immer nur im Halbschatten des Rampenlichts stand und sich dabei auch noch wohlzufühlen schien, so einer, könnte man denken, rockt doch nicht plötzlich den Saisonauftakt. Jedoch, es bestanden durchaus Gründe hierfür.
Pius Paschke ist tatsächlich das, was man einen Spätzünder des Sports nennt. Solche Athleten brauchen Zeit. Sie lieben ihren Sport so sehr, dass sie wie Paschke fast 15 Jahre Geduld für ihr Ziel aufbringen, dass sie sich immer wieder motivieren können. Vielleicht, weil zwischen regelmäßigen Rückschlägen dann doch immer kleine Hoffnungsschimmer gelangen – etwa ein fünfter Platz. Anfangs sprang er noch nicht mal im Weltcup, so wie die jungen Spitzentalente, etwa Andreas Wellinger, der Österreicher Stefan Kraft oder einst der Japaner Ryoyu Kobayashi. Nein, zunächst durchlief Paschke die untereren Skisprung-Welten, den Fis-Cup, den Alpencup oder den schon etwas höher einzuordnenden Conti-Cup. Alles egal, bis auf eine kurze, innere Krise blieb Paschke dabei. Ja, sagt er, „es hat bei mir schon lange gedauert“.
Paschke ist nun nicht nur ein später Sieger, einer, der mit 34 Jahren noch plötzlich das Gewinnen in sein Programm aufgenommen hat. Sondern er kann nun so etwas wie ein Schutzschild für all jene darstellen, die gerade noch darauf warten, dass die Saisonform sich einstellt, was nur bei wenigen von DSV-Trainer Stefan Horngachers Springern der Fall ist: „Der Rest der Mannschaft war nicht ganz optimal. Ich bin zufrieden, aber da ist noch mehr möglich.“ Vor allem sonst verlässliche Springer wie der Oberstdorfer Karl Geiger sind wohl angesprochen. Weniger allerdings Andreas Wellinger, sein zweiter Sprung, der ihn nach einem schlechteren Versuch am Sonntag wieder auf Platz sieben trug, lässt Horngacher hoffen. Vor allem aber sagt er: „Ich freue mich mächtig für Pius, er hat einen ganz starken Job gemacht.“
Markus Eisenbichler hat auch seinen ersten Schritt geschafft
Seine lange Formkrise wiederum hat einer der Besten und Erfahrensten möglicherweise noch nicht hinter sich. Markus Eisenbichler, 33, dessen Emotionen ihn schon zu großen Siegen trugen, dessen Gemüt ihm aber auch oft im Wege stand, hat auch seinen ersten Schritt geschafft. Ihm gelang es nach einer ganzen Saison im Conti-Cup, der zweiten Liga, das Minimum wieder zu erreichen. Er hat sich qualifiziert, fürs Feld der besten 30 Springer, womit er auch wieder Weltcuppunkte erhalten kann. Über viele Jahre hatte der Sieger von zwei Springen bei der Vierschanzen-Tournee jene Sprünge gezeigt, in deren Schatten die anderen an ihrer Form feilen konnten. Nun ist es wohl erst mal umgekehrt, es sind andere da, in dessen Schatten auch Eisenbichler wieder in Form kommen könnte.
Insgesamt müssen sich nach diesem Wochenende die DSV-Springer Karl Geiger und Stephan Leyhe, Philipp Raimund und Andreas Wellinger keine allzu großen Formsorgen mehr machen. Denn wegen Spätzünder Pius Paschke aus Kiefersfelden und seiner Frühform können aus Horngachers Team erst mal alle etwas beruhigter auf den Schanzen springen.