Phänomen „Friendflation“: Wenn Freundschaft zu teuer wird

Verabredungen zum Essen, Ausflüge und Junggesellinnenabschiede belasten Freundschaften – vor allem, wenn einer mehr Geld verdient als der andere. Im Interview erklärt Finanzexpertin Margarethe Honisch das Phänomen „Friendflation“ und wie man trotz unterschiedlicher Budgets echte Nähe bewahren kann.

ntv.de: Freundschaften pflegen wird teurer. Für dieses Phänomen gibt es sogar inzwischen einen eigenen Begriff: „Friendflation“. Was genau versteht man darunter?

Margarethe Honisch:Friendflation“ beschreibt, dass Freundschaften zunehmend Geld kosten. Viele von uns kennen das Gefühl: Wenn man dazugehören will, muss man mitmachen – beim teuren Dinner, beim Wochenendtrip, beim Junggesellinnenabschied im Ausland. Dinge, die früher selbstverständlich und bezahlbar waren, sind heute allerdings oft Luxus. Es geht also nicht nur um Inflation, sondern um ein gesellschaftliches Phänomen, bei dem soziale Teilhabe selbst zum Kostenfaktor geworden ist.

Margarethe Honisch ist Gründerin, Anlegerin und Finanzkolumnistin. 2017 startete sie die Finanzplattform Fortunalista, mit der sie Frauen dabei hilft, ihre finanziellen Ziele zu erreichen.

Margarethe Honisch ist Gründerin, Anlegerin und Finanzkolumnistin. 2017 startete sie die Finanzplattform Fortunalista, mit der sie Frauen dabei hilft, ihre finanziellen Ziele zu erreichen.

Warum ist das Thema gerade jetzt so präsent?

Wir leben wirtschaftlich in einer unsicheren Zeit und haben gleichzeitig ein großes Bedürfnis nach Leichtigkeit und Ablenkung. Nach Jahren voller Krisen wollen viele wieder raus, etwas erleben, dazugehören. Aber das Leben kostet eben wieder mehr. Diese Kombination aus ‚Ich will genießen‘ und ‚Ich kann es mir kaum leisten‘ trifft gerade sehr viele. Corona hat die Sehnsucht nach Verbindung verstärkt. Viele haben in dieser Zeit gemerkt, wie sehr soziale Kontakte fehlen. Nach der Pandemie wollte man das alles nachholen. Aber dieser Nachholwunsch vermischt sich jetzt mit Konsumdruck. Statt einfach einen Kaffee miteinander zu trinken, wurde daraus ein Wochenendtrip oder ein Spa-Day. Das ist schön, aber eben auch teuer.

Wie sehr befeuern Instagram-Stories und Tikkok-Trends das Gefühl, man müsse für echte Freundschaft auch finanziell mithalten?

Social Media ist längst nicht mehr nur Inspiration, sondern ein Marktplatz. Plattformen wie Instagram oder Tiktok sind mittlerweile so konzipiert, dass sie sich wie Online-Shopping anfühlen. Jede Story, jeder Post kann zur Kaufaufforderung werden. Viele Creator verdienen genau daran und sie verkaufen über Lifestyle das Gefühl von Zugehörigkeit. Und wer regelmäßig diese perfekten Freundschaftsbilder sieht, bekommt schnell den Eindruck, dass Nähe und Glamour zusammengehören.

Sind bestimmte Altersgruppen stärker betroffen?

Definitiv. Besonders die Jüngeren. Millennials und Gen Z sind mit Social Media groß geworden, sie vergleichen sich permanent. Ältere Generationen lassen sich weniger davon beeinflussen, weil sie in stabileren Freundschaften leben und ihr Selbstwertgefühl nicht so sehr an Statussymbole koppeln. Sie wissen, wer sie sind. Jüngere Menschen befinden sich oft noch auf der Suche. Da ist es schwieriger, sich von äußeren Bildern abzugrenzen.

Das Sprichwort „Über Geld redet man nicht“ ist tief verankert. Erschwert diese Haltung auch den offenen Umgang mit „Friendflation“ in Freundeskreisen?

Ja, absolut. Wir verwechseln Geld mit Wert. Viele denken unbewusst: Wer viel verdient, ist mehr wert. Und wer weniger hat, ist weniger erfolgreich. Das führt zu Scham, dabei ist Geld ein Werkzeug, kein Maßstab für Erfolg oder Liebe. Wenn wir lernen, das zu trennen, können wir auch über Geld reden, ohne dass es unangenehm wird.

Wie können Freundschaften mit unterschiedlichen Geldbeuteln bestehen?

Indem sie offen miteinander über ihre unterschiedlichen finanziellen Möglichkeiten sprechen. Wenn eine Freundin ein größeres Einkommen hat oder mehr finanzielle Bildung, kann sie Wissen teilen, statt sich zurückzuhalten. So kann man einander empowern, anstatt sich zu vergleichen. Freundschaft bedeutet, sich gegenseitig zu unterstützen, und dazu gehört auch, über Geld zu reden.

Wäre es auch eine Lösung zu sagen: Die Person mit mehr Geld übernimmt von Zeit zu Zeit die Rechnung? Oder führt das zu neuen Spannungen?

Das kann eine schöne Geste sein, wenn sie von Herzen kommt. Wichtig ist nur, dass es nicht aus Mitleid geschieht. Ich habe selbst erlebt, wie es sich anfühlt, eingeladen zu werden, als ich es mir nicht leisten konnte. Heute bin ich manchmal in der umgekehrten Rolle. Und ich weiß, dass Geben nicht unangenehm sein muss, im Gegenteil. Wenn jemand aus Freude einlädt, darf die andere Person das annehmen, ohne sich schuldig zu fühlen. Geben kann ein echtes Geschenk sein, für beide Seiten.

Wie kann Finanzbildung helfen, „Friendflation“ zu vermeiden?

Finanzbildung hilft, die eigenen Grenzen zu kennen und selbstbewusst zu sagen: Das ist gerade nicht drin. Wenn man versteht, wie man mit Geld umgeht, verliert es seinen Schrecken. Finanzwissen gibt Sicherheit, und wer sicher ist, muss sich weniger über Konsum beweisen.

Kann die aktuelle Debatte etwas Positives bewirken?

Ja, sie zwingt uns, genauer hinzuschauen. Viele fragen sich inzwischen: Muss ich wirklich überall dabei sein? Was tut mir gut, was mache ich nur, weil andere es tun? Das führt zu bewussterem Konsum und oft auch zu tieferen Gesprächen. Wenn man offen ist, kann daraus etwas sehr Echtes entstehen.

Könnte das Phänomen Freundschaften langfristig also ehrlicher und solidarischer machen?

Ich denke ja. Aber nur, wenn wir bereit sind, ehrlicher zu werden. Die wirtschaftliche Lage ist für viele angespannt. Umso wichtiger ist es, dass wir aufhören, uns über Einkommen zu definieren. Wenn wir anfangen, offener über Geld zu sprechen, schaffen wir Raum für Verständnis und Solidarität. Ich glaube, dass „Friendflation“ uns eine wichtige Lektion erteilt: Sie zwingt uns, Beziehungen neu zu denken. Weg vom Status, hin zu echter Nähe. Wenn wir verstehen, dass der Wert einer Freundschaft nicht am Preis der Aktivität hängt, sondern an der Qualität der Verbindung, dann haben wir etwas gelernt, das unbezahlbar ist.

Mit Margarethe Honisch sprach Juliane Kipper.