Pflegeplattformen im Internet: Was sind die Vorteile, was die Nachteile?

„Hallo, ich suche ab Mitte Dezember jemanden, der mich beim Einkaufen, Putzen, Wäsche Waschen, aber auch mit kleinen Gehübungen unterstützt. Wichtig wäre zudem, dass man sich austauschen kann oder nett zum Kaffee hinsetzt. Ich zahle max. 15 EUR die Stunde, je nachdem.“

Anzeigen wie diese hingen früher am Schwarzen Brett im Supermarkt, seit einigen Jahren sind sie auf Internetplattformen zu finden, die helpling.de, yoopies.com oder betreut.de heißen. Hier bieten Menschen ihre Unterstützung im Haushalt oder bei der Betreuung von Kindern und pflegebedürftigen Personen an. Dass Lebensmittel, Waren und Medikamente per Knopfdruck im Internet bestellt werden können – daran haben wir uns längst gewöhnt. Aber inzwischen werden auch Pflege- und Betreuungsarbeiten über digitale Plattformen organisiert. Was macht das mit einer Branche, in der Menschen einander vertrauen müssen?

Neuanfang als selbständige Pflegekraft

Christina Spengler ist gelernte Altenpflegerin und kämpfte jahrelang mit fehlendem Personal und Überstunden. 2022 beschloss sie, zu kündigen und sich selbständig zu machen. „Ich konnte das mit meinem Gewissen nicht mehr vereinbaren“, erklärt sie. „Ich wollte den Menschen gerne ermöglichen, würdevoll zu Hause versorgt zu werden.“ Von ihren Ausbildungskollegen sei sie die Einzige, die noch im Pflegebereich tätig ist. Inzwischen organisiert sie ihre Arbeit über digitale Plattformen.

Auch in der ambulanten Pflege ist der Bedarf an Fachkräften hoch.
Auch in der ambulanten Pflege ist der Bedarf an Fachkräften hoch.Michael Hinz

„Bei betreut.de richtet sich alles danach, dass die Familien Zeit haben möchten“, sagt die Siebenunddreißigjährige. Zeit, um ältere Personen bei der Körperpflege zu unterstützen. Zeit, um gewissenhaft die Medikamente bereitzustellen. Und Zeit, um sich zwischendurch in Ruhe zu unterhalten. Das könnten Angestellte von ambulanten Pflegediensten einfach nicht leisten, so Spengler. „Als ich mal im Urlaub war, hatte ein Kunde einen ambulanten Pflegedienst bestellt. Und die Mitarbeiter waren wirklich nur am Rennen. Die sind rein, haben schnell geguckt, und dann mussten sie auch schon zum nächsten Patienten.“

Selbstbestimmung für Pflegekräfte und ihre Kunden

Cornelia Polz kennt dieses Problem. Die Siebenundfünfzigjährige hat eine Wirbelsäulenerkrankung und wurde früher von einem ambulanten Pflegedienst betreut. Die Angestellten waren an einen strengen Wochenplan gebunden. Polz jedoch braucht die Pflege zu unregelmäßigen Zeiten, da ihr Mann im Schichtdienst arbeitet. Außerdem kamen jeden Tag andere Mitarbeiter zu ihr nach Hause. Obwohl sie ausdrücklich um weibliche Pflegekräfte gebeten hatte, stand eines Tages ein männlicher Pfleger vor der Tür – für die Körperpflege. Sie beschloss daraufhin, die Organisation ihrer Pflege selbst in die Hand zu nehmen, und fand über Facebook Christina Spengler. „Sie kennt mich einfach sehr gut und weiß, was ich brauche“, sagt Cornelia Polz über ihre Pflegerin. Während die Kosten für einen ambulanten Pflegedienst von der Pflegekasse übernommen werden, bezahlt sie Spenglers Unterstützung größtenteils aus eigener Tasche. Das gute Gefühl, das diese ihr gebe, sei das Geld aber wert: „Es ist mein Leben und mein Körper. Ich muss mich ja auch wohlfühlen.“

Aktuell betreut Christina Spengler sieben Familien. Wenn Kunden abspringen, hält sie auf Plattformen wie kleinanzeigen.de oder betreut.de, aber auch über Instagram und Facebook nach neuen Ausschau. Die selbständige Suche nach Arbeitgebern bringt für die examinierte Pflegekraft viele Vorteile: Sie muss keinem Chef Rechenschaft ablegen und kann Pflegebedürftige auch mal zum Arzt begleiten.

Flexibel und immer abrufbar

Um als Plattformarbeiterin erfolgreich zu sein, muss sie allerdings eine hohe Flexibilität mitbringen. Manchmal haben die Familien einen kurzfristigen Bedarf oder sagen spontan ab. Dann muss sie ihre Termine hin und her schieben. Und vor allem am Anfang hätten die Leute von ihr erwartet, dass sie nicht nur Pflege-, sondern auch Reinigungsaufgaben übernehme. „Das ist aber nicht mein Aufgabengebiet“, sagt sie. Inzwischen kann sie sich ihre Auftraggeber selbst aussuchen. Der Bedarf sei riesig, sagt sie, und die Tätigkeiten seien vielfältig: Infusionen legen, bei der Körperpflege unterstützen, spazieren gehen, zum Bingoabend begleiten.

Auch ältere Menschen nutzen digitale Angebote.
Auch ältere Menschen nutzen digitale Angebote.Lucas Bäuml

Es gebe im Internet immer mehr Pflege- und Betreuungsangebote, sagt Rahel Zelenkowits. Die Soziologin hat sich für ihr Promotionsprojekt mit der Gig Economy befasst – also mit Arbeitsmodellen, bei denen Jobs selbstorganisiert und flexibel ausgeübt werden. Während bei klassischen Agenturen eine Vermittlungsinstanz auf Qualitätsstandards achte, gebe es im digitalen Raum kaum Regularien: „Du kannst dir heute ein Profil anlegen, und morgen kommen die Nachfragen rein. Manche befürchten dadurch eine Dequalifizierung, weil auf diesen Plattformen auch ungelernte Personen ihre Dienste anbieten.“ Es lohnt sich also, nach einem Nachweis für die Qualifikation der Pflege- und Betreuungskräfte zu fragen. Und erfahrene Arbeitskräfte dann auch entsprechend zu bezahlen.

Zwischen Dumpingpreisen und fairer Bezahlung

Einige Plattformarbeiter bieten ihre Dienste sehr günstig an. So finden sich im Großraum Frankfurt Angebote von neun Euro an – von einer Arbeitnehmerin, die angibt, fünf Jahre Erfahrung in der Betreuung älterer Menschen zu haben. Eigentlich liegt der Mindestlohn für Pflegekräfte in Deutschland seit Mitte 2025 bei 20,50 Euro, für Pflegehilfskräfte sind es 16,10 Euro.

Dieser Text stammt aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.



Finanziell hat sich für Spengler seit ihrer Selbstständigkeit kaum etwas verändert: „Es ist jetzt nicht so, dass ich da Millionen verdiene. Ich kann mit meinem Gehalt aber gut leben“, sagt sie. Manchmal seien die Gehaltsvorstellungen ihrer Kunden zwar abenteuerlich, berichtet auch sie. Zum Beispiel sei sie einmal für die tägliche Pflege eines älteren Herrn angefragt worden. „Die wollten mich dann mit einem so geringen Betrag abspeisen, dass ich gesagt habe: Das geht so nicht.“ Und auch jetzt komme es manchmal noch vor, dass sie Rechnungen hinterherlaufen müsse.

Unabhängig, aber auch unversichert

In Pflegeunternehmen sind die Arbeitnehmer sozial abgesichert. Über die digitalen Plattformen haben sie weder Krankenversicherung noch Altersvorsorge. Und wer krank wird, muss den Ausfall selbst kompensieren. Hinzu komme, so Soziologin Zelenkowits, dass die Care-Arbeiter kein Unternehmen im Rücken haben, das sie bei verbalen, physischen oder sexualisierten Übergriffen unterstützt. Einige ihrer Interviewpartnerinnen hätten sich deshalb selbst organisiert: Sie tauschen sich in einer Whatsapp-Gruppe darüber aus, welche Kunden man besser meide. Durch die hohe Nachfrage haben die Gig-Arbeiter aber auch eine neue Macht, erklärt die Soziologin. Anders als bei Unternehmen oder Leiharbeitsfirmen können sie sich ihre Kunden aussuchen, ihr Gehalt selbst festlegen und nach ihren eigenen Standards – zum Beispiel einem bestimmten Sorge-Ethos – arbeiten.

Angesichts des Pflegenotstands wird die private Organisation von selbständigen Pflegekräften über digitale Plattformen immer wichtiger werden. Für Familien mit Pflege- und Betreuungsbedarf ist die Individualisierung der Pflege ein Gewinn. Und Arbeitnehmern wie Christina Spengler bietet das Plattformmodell Selbstbestimmung und Flexibilität. Gleichzeitig aber wird die Arbeit prekärer und ist mit einem Verlust sozialer Sicherheit verbunden. Eine Interviewpartnerin der Soziologin Zelenkowits beschrieb die Ambivalenz der Plattformarbeit treffend mit den Worten: „Ich hasse es, und ich liebe es!“