Perscheids Cartoons: Werkschau im Caricatura Museum

Bei Nietzsche heißt es, wer lange genug in den Abgrund blicke, in den blicke der Abgrund zurück. Bei Perscheid grinst er. Was schiefgeht zwischen den Menschen, was abstoßend ist an ihren Ausflüchten, Schwächen, Blindheiten und Fixationen, hat der Zeichner in seinen Cartoons jahrzehntelang festgehalten. „Perscheids Abgründe“ nannte er sie, mehr als 4300 Werke sind unter diesem Titel erschienen. Das Caricatura Museum für Komische Kunst versammelt in Frankfurt nun zahlreiche Arbeiten des 2021 gestorbenen Künstlers zu einer großen Werkschau.

Eröffnet wird „Das kann nur Perscheid“ am 27. November, bis Juni 2026 zeigt die Schau, was er konnte: Zeichnungen, die mit klaren Linien und farbigen Flächen trügerische Einfachheit vortäuschen, aber mit wichtigen Details der gesamten Bilderzählung den entscheidenden Dreh geben, dazu Texte, die in Sprechblasen und unter dem Bild das ­Gezeichnete ergänzen, zusammenfassen, zuspitzen oder überraschend auflösen.

Geschult hatte der 1966 in Wesseling bei Köln zur Welt gekommene Künstler sein Können in einer Ausbildung zum Druckvorlagengrafiker sowie als Angestellter von Werbeagenturen in Köln und Düsseldorf. Von der Mitte der Neunzigerjahre an wurden seine Cartoons in immer mehr Zeitschriften und Zeitungen gedruckt, mehr als 100 zählt die Ausstellung. 1995 erschien sein erstes Buch, 26 weitere folgten.

„Perfektion in der Reduktion“

Einen der „größten, besten und bekanntesten Karikaturisten der Szene“ nennt Martin Sonntag ihn. Der Leiter der Caricatura hat Perscheid schon mehrfach ausgestellt, in Kassel und anderswo, und dem Künstler nach seinem Tod die Grabrede gehalten. Ausgerichtet hat er die Ausstellung rund um den 60. Geburtstag Perscheids am 16. Februar 2026. Eine „Ausnahmeerscheinung der Kunst“ nennt er ihn: „Er ist der Meister des Cartoons.“ Erzielt habe er seine oft knalligen Effekte durch bewusste Einfachheit, er zeige „Perfektion in der Reduktion“.

Caricatura Museum für Komische Kunst

Manchmal konnte er aber auch anders. Die Zeichnung „Berühmte letzte Worte“ zeigt die für Perscheids eher aufgeräumte Bilder untypisch opulente Fassade eines Gebäudes. Davor ein großes, schweres, teures Auto. „Wieso soll ich mich für das kurze Stück bis zum Tunnel anschnallen?“, heißt es in einer Sprechblase aus dem Inneren der Limousine. Vor dem Tod von Prinzessin Diana hatte Perscheid ebenso wenig Respekt wie vor den Anstandsgefühlen gläubiger Christen. Im Kalender „365 gute Perscheid-Tage“ für das Jahr 2015 zeigt die Zeichnung für Karfreitag, den 3. April, den ans Kreuz Genagelten inmitten seiner Peiniger. Allen ruft der Zenturio zu: „Wer ein Eis will: Hand hoch!“

Perscheids Freude am Überschreiten der Grenzen des guten Geschmacks steht in für ihn bezeichnender Weise Captain Benimm gegenüber, der in zahlreichen Cartoons unbotmäßige Teilnehmer am Straßenverkehr maßregelt. Die alte Dame, die mit ihrem Rollator die Straße benutzt, haut der Held im Cape und mit der Propellermütze samt Gehhilfe links und rechts auf das Pflaster: „Die Fahrbahn ist kein Gehweg.“ Dem Vater, der seine Tochter in der Kita abholt, trägt er das Innere des Autos hinterher: „Sie haben Ihren Motor vergessen abzustellen.“ In einer radikalen Variation desselben Themas drückt er dem Fahrzeugführer durch das offene Autofenster einen Plastikschlauch auf das Gesicht, der mit dem Auspuff verbunden ist: „Das Ganze wäre für Sie weit weniger schlimm, wenn Sie endlich den Motor abstellen würden.“

Caricatura Museum für Komische Kunst

Dummheit liegt Perscheid nicht, für gegenseitige Achtsamkeit und das Einhalten von Regeln hat der Motorradfahrer aber schon etwas übrig. Für die „Runter vom Gas“-Initiative des Bundesverkehrsministeriums illustrierte er die Broschüren „Besser ankommen mit Hirn“, „Fahren mit Hirn“ und „Fit bleiben mit Hirn“.

Seine Männer heißen Jürgen, Jochen und Martin und lassen sich in der von ihm erfundenen Figur des „Unbekannten Idioten“ zusammenfassen, dessen Grabmal er in einer Zeichnung zeigt: Ein Mann läuft gegen einen Laternenpfahl. Dummheit kann so einfach sein. Als Denkmal steht die Figur aus der Zeichnung seit einigen Jahren auf dem Dach des Kasseler Kulturbahnhofs. Gemein ist Perscheid aber auch zu Frauen. Gleich vier Werke widmen sich in Frankfurt dem ergiebigen Thema der Frauenparkplätze, wild auf den Boden des Parkhauses gemalt. „Wenn er ausgeteilt hat, geschah es in alle Richtungen“, sagt Sonntag: „Mit deftigem Humor.“

Caricatura Museum für Komische Kunst

Ein zweiter Teil der Ausstellung wird im Archäologischen Museum Frankfurt präsentiert. Dort war Anfang 2025 während der Walter-Moers-Ausstellung der Caricatura auch die „Fick-Vase“ des Künstlers mit ihrem Bildfries fröhlich kopulierender antiker Herren zu sehen. Nun ist das Museum vollends zur Dependance der Komischen Kunst geworden.

Museumsdirektor Wolfgang David zeigt rund 30 Perscheid-Arbeiten mit Bezug zur Archäologie, verstreut über das gesamte Haus. Perscheid habe eine enorme Beobachtungsgabe besessen, sagt er, auch in der Nischendisziplin der Archäologie. David ist seit langem Fan des Künstlers und Mitglied der seinem Schaffen gewidmeten Facebook-Gruppe, die derzeit mehr als 240.000 Mitglieder zählt.

Am Weckmarkt zu sehen sind 315 Cartoons, zum Teil in Form von Gemälden und Skizzen, überwiegend Originale, ein Viertel sind Drucke. Seinem einmal gefundenen Hochformat blieb Perscheid im Wesentlichen treu, er zeichnete erst mit Pinsel, später mit Tusche, koloriert wurde digital am Computer.

Zu sehen ist aber auch eine Honda CB 450 aus seinem Geburtsjahr 1966, die der Sohn eines Motorrollerhändlers selbst restauriert hat. „Das schwerste und schnellste Objekt, das in diesem Museum jemals ausgestellt wurde“, sagt Kuratorin Stefanie Rohde.

„Das kann nur Perscheid“, Caricatura Museum für Komische Kunst, Frankfurt, bis 7. Juni 2026