
Mittwochabend, 22 Uhr. Sogar Paris Hilton ist pünktlich. In einer Stunde soll sie im Nachtclub „Yoyo“ im Keller des Palais de Tokyo auflegen: Fashion-Party der Marke Karl Lagerfeld. Die Hotelerbin hat einige Stücke entworfen, und möglichst viele Leute sollen es mitbekommen. Daher sind vorab kurze Interviews hinter einem Absperrgitter geplant.
Los geht es mit Fotos. Dann die ersten Interviews. Paris Hilton spricht in Fernsehkameras, iPhones, Mikrofone. Es läuft. Auf halber Strecke des Absperrgitters dreht sie sich auf einmal um und lässt in einer Ecke ihr Make-up auffrischen. Ihre Pläne ändern sich. Sie kehrt jetzt nicht zum Absperrgitter zu den Journalisten zurück, sondern lässt sich noch mal fotografieren. Dann kommt die Musikerin Rita Ora. 22.30 Uhr, wieder Fotos, jetzt mit Ora. Der Interview-Termin? Die Journalisten stehen noch immer bereit. Auch die F.A.Z. Paris Hilton kommt nicht zurück.
Zwangsläufig blasser
Es ist Premieren-Saison in Paris. Alle reden über Jonathan Andersons neues Dior. Über das neue Loewe. Über Pierpaolo Piccioli bei Balenciaga. Über Matthieu Blazy, der am Dienstag bei Chanel zeigt. Da wirken die vielen anderen, die keine Debüts, sondern einfach neue Mode zeigen, zwangsläufig blasser.

Für das Marketing dieser Marken ist die Woche eine besondere Herausforderung in der eh schon herausfordernden Zeit von schwindender Kaufkraft und Luxusmüdigkeit. Also versuchen sie, mit allen möglichen Initiativen auf sich hinzuweisen. Mal glückt das, mal glückt es nicht, oder, wie an Paris Hilton zu erkennen, es passiert gleich beides: Sie lässt die zu viel einbestellten Journalisten stehen, dafür legt sie am DJ-Pult auf.
Reibungsloser läuft es bei Stella McCartney. Das Licht geht aus, alle rechnen jetzt mit Mode. Dann springt die Schauspielerin Helen Mirren auf, die bis dahin in der ersten Reihe saß – und trägt den Beatles-Song „Come together“ von 1969 vor. Das ist mal was anderes, selbst wenn die Zuschauer ja schon zusammengekommen sind, hier im Centre Pompidou, das wegen Renovierungsmaßnahmen leer geräumt ist.

Deutlich mehr Leute kommen allerdings zusammen, wenn ein K-Pop-Star, oder neuerdings auch C-Star, also ein Promi aus China, bei einer Schau zu erwarten ist. Auch das ist eine Erkenntnis dieser Woche: Den Fans ist es gleich, ob drinnen das neue Dior läuft oder die Schuhmarke Roger Vivier seinen Unternehmenssitz feiert. Sie kommen so oder so, denn sie wollen einmal Jisoo oder JC-T leibhaftig sehen.
Nah am Erbe der Gründer
Unter verschärften Bedingungen treten in dieser Woche die Marken an, deren Designer in der vergangenen Saison Debüts gegeben haben, Lanvin und Dries Van Noten. Die Spannung vom letzten Mal müssen sie bestenfalls halten. Beide zeigen solide Kollektionen, nah am Erbe der Gründer. Weder bei Peter Coppings Neuinterpretation der historischen Robe de Style von Lanvin, mit grafischen Elementen am Kragen und tief sitzender Taille, noch bei Julian Klausners wunderbar dekorierten Jacken gibt es etwas zu bemängeln. Und doch brauchen beide Kollektionen dringend mehr solcher Knaller, damit ihre Aussage Wucht hat.
Eine Möglichkeit: andere am eigenen Schaffen teilnehmen lassen. So arbeitet Marie-Christine Statz mit dem Choreographen Benjamin Millepied zusammen. Der Laufsteg wird zur Ballettbühne. In den Oberteilen und hochgeschlitzten Röcken können die Profis dank Knopfleisten auf jeden Fall tanzen. Und das Londoner Label Galvan tut sich mit der Berliner Künstlerin Alicja Kwade zusammen. Unter anderem sollte mit der Darstellung von Glasaugen in der Mode gearbeitet werden. Bis sie die richtigen Augen gefunden hatten, dauerte es. Aber es hat sich gelohnt.
Die große Überraschung unter den Nichtdebütanten hat aber Isabel Marant – indem sie einfach nichts macht. Niemand hat sich die Pariser Nonchalance in 30 Jahren Unternehmensgeschichte mehr zu eigen gemacht. Sie kann es sich leisten, immer wieder ihr Erfolgsrezept abzufeiern, kurze Shorts, große Jacken, ein eklektisch-erotischer Mix. Die Kundinnen lieben es. Bis zum Finale der Schau am Donnerstagabend läuft alles wie erwartet. Aber dann nimmt nicht etwa Marant den Applaus entgegen, sondern ihre langjährige Designerin Kim Bekker. Im Alter von 58 Jahren ist Isabel Marant mit dem Tagesgeschäft durch. Die Kollektion stammt schon von Bekker. Es ist also eigentlich doch ein Debüt.