Paris Saint-Germain glänzt ohne Stars

Was fürchtet einer, der in einem der Vororte von Paris geboren ist, wo einem Menschen so viel genommen wird, der dann aber mit 22 Jahren als Fußballspieler schon so viel gewonnen hat, dass es ihm nie wieder genommen werden kann? Kylian Mbappé, Weltmeister und Weltstar, sagt: „Nicht zu gewinnen, zu enttäuschen.“

Er sitzt damals, im Dezember 2021, mit schwarzer Trainingsjacke und schwarzer Trainingshose im Videoraum von Paris Saint-Germain, als er in einem Interview auf einmal erzählt. Von der Angst, zu enttäuschen. Aber auch davon, etwas enttäuscht worden zu sein, von PSG, von seinem Verein, den er im Sommer verlassen wollte, doch nicht verlassen durfte.

Das Interview mit ihm, der in Paris manchmal „Monsieur Plus“ genannt wird, der mit jeder Ballberührung die größten Erwartungen weckt und diese dann erstaunlich selten enttäuscht, wird damals auf den Sportkanälen von Amazon veröffentlicht. Und wahrscheinlich ist dieses Interview auch der Grund, warum Mbappé später in dem Monat angerufen wird.

Der Mann, der anruft, weiß, dass Monsieur Plus aus Paris wegwollte und weiter aus Paris wegwill. Er weiß, dass Kylian Mbappé zu Real Madrid, dass der wohl spektakulärste Fußballspieler der Welt zum wohl spektakulärsten Fußballklub der Welt wechseln möchte. Der Anrufer will das mit seinen Mitteln verhindern. Und dass er Mittel hat, merkt man schon daran, dass er an Mbappés Handynummer herangekommen ist.

In den nächsten Monaten, so sagt Mbappé das später der „Sports Illustrated“, wird der Mann ihn immer wieder anrufen. Im Januar. Im Februar. Im März. Und auch wenn er ganz genau weiß, was der Mann will, geht Mbappé Anruf für Anruf für Anruf wieder an sein Handy. Weil man auch als französischer Weltmeister und Weltstar eben ans Handy geht, wenn der französische Präsident anruft.

Im Mai verlängert Mbappé, der doch wegwollte und wegwill, plötzlich seinen Vertrag mit PSG. Als Emmanuel Macron später auf die Anrufe angesprochen wird, sagt er, dass er glaube, dass es als Präsident seine Verantwortung sei, das Land zu verteidigen. Damals stellt sich dann ziemlich schnell heraus, dass es wohl wirklich dem Präsidenten zu verdanken war, dass Mbappé seinen Vertrag plötzlich verlängert hat. Nur nicht dem Präsidenten Macron, sondern dem Präsidenten Al-Khelaifi.

Million um Million um Million ausgegeben

Jetzt, im Mai 2025, wird Nasser Al-Khelaifi, 51 Jahre alt, an diesem Samstag im Stadion in München sein, wo das Finale der Champions League stattfindet. Das Spiel, das er so sehr gewinnen will, seit er der Präsident von Paris Saint-Germain geworden ist und in dieser Position auch die Verantwortung hat, ein Land zu verteidigen. Er kommt nicht aus Paris, nicht aus Frankreich, sondern aus Doha, aus Qatar. Und man kann die Geschichte, warum PSG nun endlich das erste Mal den wichtigsten Wettbewerb des Klubfußballs gewinnen könnte, eben nicht ohne Qatar erzählen.

Im Mai 2011 hat der staatliche Investmentfonds Qatar Sports Investments (QSI) die Mehrheit der Anteile an dem französischen Fußballklub gekauft. Der Vorsitzende von QSI ist Nasser Al-Khelaifi, ein Vertrauter von Tamim bin Hamad Al Thani, dem Emir von Qatar. Er wird Präsident von PSG und darf dort seitdem Million um Million um Million ausgeben für Spieler, die die Chance erhöhen sollen, dass das Team mit dem Qatar-Schriftzug auf dem Trikot die Champions League gewinnt.

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Und als Mbappé, der Spieler, der aus der Sicht der Geldgeber die größte Chance auf den Champions-League-Sieg ist, wegwill, sorgt Al-Khelaifi auf deren Art dafür, dass er bleibt. In der Tageszeitung „Le Parisien“ steht, dass Mbappé allein dafür, dass er seinen Vertrag verlängert, 180 Millionen Euro erhält. Monsieur Plus.

Wenn PSG an diesem Samstagabend (21.00 Uhr im F.A.Z.-Liveticker zur Champions League, im ZDF und bei DAZN) im Stadion in München gegen Inter Mailand im Finale antritt, wird Mbappé aber nicht mitspielen. Er hat den Verein im Sommer 2024 dann doch verlassen. Und er wird in München dennoch immer wieder erwähnt werden. Denn man kann die Geschichte, warum Paris Saint-Germain und Qatar die Champions League noch nicht gewonnen haben, eben nicht ohne Kylian Mbappé erzählen.

Manuel Neuer verhindert PSG-Sieg

In den ersten vier Saisons mit den neuen Eigentümern scheidet PSG in der Champions League viermal im Viertelfinale aus. In der fünften Saison dann schon dramatisch im Achtelfinale. Wie reagiert der Klub, der da schon mehrere Hundert Millionen Euro ausgegeben hat? Mit mehr Millionen. 222 Millionen Euro für Neymar, 180 Millionen Euro für Mbappé. Das sind bis heute die mit Abstand höchsten Ablösesummen. Mit Mbappé und Neymar schafft es PSG im Sommer 2020, in dem die englischen und spanischen Mannschaften wegen der Corona-Pandemie noch nicht wieder in Form sind, dann auch das erste Mal ins Finale der Champions League.

Im Duell mit dem FC Bayern München ist PSG besser, verliert aber dennoch mit 0:1, weil Manuel Neuer noch einmal daran erinnert, warum er der beste Torhüter in der Geschichte des Fußballs ist. Und wie reagiert der Klub, der da schon Mbappé und Neymar, zwei der größten Spieler der Gegenwart, in seiner Mannschaft hat? Mit dem Spieler, den manche für den größten aller Zeiten halten: Lionel Messi.

Torwart Gianluigi Donnarumma ist der Rückhalt von Paris.
Torwart Gianluigi Donnarumma ist der Rückhalt von Paris.Reuters

Man muss an dieser Stelle anmerken, dass die Geldgeber aus Qatar vielleicht damit schon gewonnen haben, dass Mbappé, Messi und Neymar das Trikot mit dem Qatar-Schriftzug tragen. Doch in dem Interview, das Mbappé damals, im Dezember 2021, in dem Videoraum gibt, sagt er, dass Messi, Neymar und er es schaffen müssen, auf dem Spielfeld mit ihren Mitspielern zu connecten, wenn es mit dem Gewinn der Champions League etwas werden soll.

Doch nur wenige Woche später wird ihnen im Achtelfinale von Real Madrid wieder einmal der Stecker gezogen. Und auch wenn die Geldgeber aus Qatar vielleicht schon erreicht haben, was sie erreichen wollten, sieht man da wieder, dass sie mit Blick auf den wichtigsten Wettbewerb eines noch nicht gelernt haben: dass man nicht die besten Spieler, sondern die beste Mannschaft braucht.

Wer ist in München nicht dabei?

Das Geld aus Qatar ist der Grund, dass PSG sich diese Fehler leisten und korrigieren kann. Im Sommer 2021, in dem Messi kommt, stoßen der Torhüter Gianluigi Donnarumma (ablösefrei) und der Außenverteidiger Achraf Hakimi (Ablösesumme: 68 Millionen Euro) dazu. Im Sommer danach die Mittelfeldspieler Vitinha (41 Millionen Euro) und Fabián Ruiz (22 Millionen Euro). In dem Sommer danach die Stürmer Ousmane Dembelé (50 Millionen Euro) und Bradley Barcola (45 Millionen Euro).

Und im vergangenen Sommer dann auch noch die Stürmer Khvicha Kvaratskhelia (70 Millionen Euro) und Désiré Doué (50 Millionen Euro), der Mittelfeldspieler João Neves (60 Millionen Euro) und der Abwehrspieler Willian Pacho (40 Millionen Euro). Alles Spieler, die, wenn sie einen guten Trainer haben – und auch den hat PSG mit dem Spanier Luis Enrique in dieser Saison –, das Gerüst einer sehr guten Mannschaft sein können. Was man daran sieht, dass von den zehn an diesem Samstag wahrscheinlich neun in der Startelf stehen werden.

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Doch wenn man erzählen will, warum die Chancen, dass PSG die Champions League gewinnt, in dieser Saison wohl so gut sind wie noch nie, sollte man nicht nur darauf schauen, wer in München dabei ist, sondern vor allem auch darauf, wer nicht mehr dabei ist: Neymar und Messi, die den Verein schon im Sommer 2023 verlassen haben. Und Mbappé.

Als PSG früher in diesem Monat das Halbfinale gegen den FC Arsenal gewonnen hat, gibt der Torhüter Donnarumma hinterher ein interessantes Interview. „Der Spirit hat sich bei uns verändert“, sagt er. „Wir treten jetzt viel mehr als ein Team auf. Wir spielen füreinander.“ Und Mbappé? „Klar, wir vermissen ihn, er ist einer der besten Spieler der Welt, und ich wünsche ihm nur das Beste, weil er ein guter Freund ist. Aktuell steht die Mannschaft aber eng zusammen, es läuft gut.“

Man kann kaum sagen, dass Mbappé mit seinen Dribblings, seinen Sprints, seinen Toren, mit seiner ganzen Großartigkeit enttäuscht hat. Doch wenn man sieht, wie das Team seit dieser Saison spielt, und wenn man hört, was Donnarumma sagt, dann muss man zu dem Schluss kommen, dass Monsieur Plus für sein Team ein Minus war. Weil dieses Team erst ohne ihn geworden ist, was es davor nie war: eine Mannschaft.

Was hat Qatar davon?

In Frankreich hat der neue Teamgeist gepaart mit dem jüngsten sportlichen Erfolg PSG viele Sympathien eingebracht. Die alten Vorbehalte gegen den Seriensieger der Ligue 1 schwinden. Französische Medien berichten, wie der in vielen Regionen als arrogant wahrgenommene Hauptstadtklub auch außerhalb von Paris populärer wird und an diesem Samstag auch viele Anhänger anderer Klubs PSG die Daumen drücken.

Umfragen bestätigen den Trend. 69 Prozent der Fußballfans in Frankreich, und damit so viele wie noch nie, hätten eine gute Meinung von PSG, ermittelte das Meinungsforschungsinstitut Odoxa nach dem Einzug ins Champions-League-Finale. Vor dem Halbfinale waren es nur 61 Prozent gewesen, zwischenzeitlich in den vergangenen Jahren gar weniger als 50 Prozent.

Die Frage, die sich seit 2011 aber immer auch stellt, ist: Was hat Qatar davon?

Die Geldgeber sind ein potentieller Profiteur der neuesten Entwicklung. Sie haben alles in allem eine neunstellige Summe in den zuvor angeschlagenen Verein investiert. Das Geld floss ins Marketing, in die Infrastruktur und vor allem in Spieler – und es fließt nach wie vor. Qatar hat dabei eine enge Verquickung zwischen Fußball und Politik immer wieder bestritten.

Für Beobachter aber ist offenkundig, dass das Engagement in Paris der Imagepflege und dem Streben nach „Soft Power“ dient, also nach Einfluss in „weicheren“ Sphären wie dem Sport. Es ist allerdings ungewiss, ob der Pariser Imagewandel auch auf das Konto von Qatar einzahlt. Zumindest in Frankreich ist davon bislang nicht viel zu spüren. Und das liegt auch an dem qatarischen Präsidenten in Paris: Nasser Al-Khelaifi.

Der Mann, der mittlerweile einer der mächtigsten des europäischen Fußballs ist, wird zwar für sein inzwischen tadelloses Französisch gelobt. Auch sein gutes Verhältnis zu den Spielern und sein Engagement für kranke und aus sozialen Brennpunkten stammende Kinder wird positiv bewertet. Zudem hat er das lange Zeit angespannte Verhältnis zur Fanszene entspannt. Zugleich wurde Al-Khelaifi aber auch wiederholt mit Korruptionsaffären und anderen schmutzigen Praktiken wie Social-Media-Kampagnen gegen Journalisten in Verbindung gebracht.

Intern sind seine Wutausbrüche gefürchtet. Und seit Februar ermittelt die französische Justiz in der Affäre um den französischen Geschäftsmann Arnaud Lagardère auch gegen Al-Khelaifi. Wegen des Verdachts auf Beihilfe zum Amtsmissbrauch und möglicher Einflussnahme. Er selbst weist die Vorwürfe aufs Schärfste zurück. In Doha zeigt man sich empört. Und laut Medienberichten sollen die Qatarer sogar mit dem Rückzug aus dem französischen Fußball gedroht haben.

Man kann darin eine leere Drohung sehen. Aber eben auch eine Erinnerung daran, dass egal, wie gut bei Paris Saint-Germain gerade alles passt, es eine Kraft gibt, die das Puzzle wieder auseinanderreißen kann.

Wo das Champions-League-Finale im TV zu sehen ist

Nur das Finale der Champions League können deutsche Fußballfans im frei empfangbaren Fernsehen sehen. Das ZDF überträgt das Endspiel zwischen Paris Saint-Germain und Inter Mailand an diesem Samstag. Das Finale zeigt zudem der kostenpflichtige Streamingdienst DAZN, der auch die meisten Spiele der Saison übertragen hat. 

Das ZDF beginnt seine Live-Übertragung bereits um 19.25 Uhr mit der Moderation von Jochen Breyer. Zum Experten-Team gehören Friederike Kromp, Christoph Kramer, Per Mertesacker und dem früheren Schiedsrichter Thorsten Kinhöfer. Kommentator ist Oliver Schmidt. 

Bei DAZN kommentiert Jan Platte die Partie. Als Experten sind Michael Ballack und Sami Khedira im Einsatz. Moderatorin der um 19.30 Uhr beginnenden Übertragung ist Laura Wontorra. Alle Infos gibt es auch im F.A.Z.-Liveticker zur Champions League.