Para-Schwimmen in Singapur: Kopfverletzungen durch Anschläge auf die Beckenwand – Sport

In einem Instagram-Video des Para-Schwimmweltverbands vollführt der Chinese Guo Jincheng eine Wende. Die Rolle unter Wasser am Ende der Bahn ist für Schwimmerinnen und Schwimmer elementar – schneller lässt sich die Richtung nicht ändern. Guo hat jedoch keine Arme. Er knallt, um abzubremsen, mit dem Kopf gegen die Wand des Beckens. Sein Nacken wird gestaucht und muss die gesamte Geschwindigkeit absorbieren. Erst dann kann er die Füße nach vorn bringen und sich in die entgegengesetzte Richtung abstoßen.

Szenen wie diese sind zurzeit bei der Para-Schwimm-WM in Singapur regelmäßig zu beobachten. Nicht nur bei der Wende, auch beim Anschlagen am Ende des Rennens halten Schwimmer im Wortsinne den Kopf hin, um die Zeitmessung zu stoppen. Eine Weltmeisterschaft im Behindertensport ist naturgemäß eine Veranstaltung für Athletinnen und Athleten mit ganz unterschiedlichen Bedürfnissen – aber sie scheitert daran, einigen Teilnehmern ihre Medaillen ohne das Risiko einer Kopfverletzung zu bescheren. Das ist dem Parasport nicht würdig.

Bliebe es bei Kopfschmerzen, wäre das ja noch zumutbar. Der Para-Schwimmer Guo selbst betont in einem anderen Video des Weltverbandes, dass es ihn nicht störe, mit dem Kopf anzuschlagen – er sei das gewohnt. Wissenschaftler der Sporthochschule in Köln fanden jedoch heraus, dass diese regelmäßigen Anschläge die Gehirnaktivität verringern. Der deutsche Para-Schwimmer Josia Topf schwamm für die Studie viermal gegen die Beckenwand. Danach schnitt er in Gedächtnistests schlechter ab, suchte nach Wörtern und lallte. Im Anschluss an seine Wettkämpfe muss er regelmäßig mit Physiotherapie und Schmerztabletten behandelt werden. Im Training berührt Topf die Beckenwand nur mit den Schultern, um den schmerzhaften Kopfkontakt zu vermeiden.

Schon vor den Paralympics in Paris 2024 war deshalb die Forderung aufgekommen, die Regeln zu ändern. Durch gepolsterte Badekappen etwa könnte zwar nicht die Nackenwirbelsäule, aber möglicherweise wenigstens das Gehirn geschont werden. Doch auch in diesem Jahr treten in Singapur die Sportlerinnen und Sportler ohne einen Kopfschutz an und knallen ungebremst in die Wand. Schaumstoff in der Badekappe, Schaumstoff an der Beckenwand – all das ist nicht vorgesehen, weil es entweder minimal die Strecke verkürzen würde oder der medizinische Nutzen nicht ausreichend belegt ist.

Zweimal Gold, einmal Silber: Josia Topf bei der WM in Shanghai.
Zweimal Gold, einmal Silber: Josia Topf bei der WM in Shanghai. (Foto: Ralf Kuckuck/Imago)

Laut den Vorgaben des Weltverbandes haben die Athleten vermeintlich trotzdem die Wahl. Niemand muss ja mit dem Kopf anschlagen, tatsächlich ist jeder Teil des Oberkörpers zugelassen! Wenn es um Medaillen und Rekorde und damit um jede Hundertstelsekunde geht, ist es jedoch keine Option, den Kopf aus dem Weg zu nehmen und zum Beispiel mit der Schulter den Sensor auszulösen. Mit dem Kopf geht es am schnellsten. Und der Weltverband lässt weiter zu, dass die Sportler einen Anreiz haben, dadurch ernste Schäden in Kauf zu nehmen.

„Morgen geht es volle Kanne mit dem Kopf in die Wand rein, und dann schauen wir mal, was passiert“, sagte deshalb Josia Topf vor seinen Rennen über die 50 Meter Freistil. In seiner roten Badekappe schlug er gegen die Wand, schaute hoch zur Anzeige – und war Weltmeister. Neben einer Silbermedaille hat er damit schon zum zweiten Mal Gold gewonnen bei dieser WM. Doch wieder sind die Athleten in seiner Startklasse aufgrund der Regularien gezwungen gewesen, sich zwischen Triumph und Gesundheit zu entscheiden. Es wäre die Pflicht der Verantwortlichen, die Sportler aus diesem Dilemma zu befreien.