Unrein sind die Hunde, so lehrte es Dede, entsprechend gründlich müsse man sich vor dem Gebet reinigen, habe man einen berührt. Siebenmal mit Wasser und einmal mit Erde gar, wo der Speichel die Haut oder Kleidung benetzte. Einen Freund der Vierbeiner konnte man Zekos verstorbenen Großvater wahrlich nicht nennen. Entsprechend schwer wiegt der Schimpfname, mit dem er den herumstreunenden Nachbarsjungen Hassan bedachte: Hundesohn.
Träumt Zeko von den Sommern in Adana, vermisst er sie beide, seinen Dede (Großvater) und Hassan, wenngleich auf unterschiedlichste Weise. An den lebensklugen Dede erinnert Zeko sich voller Bewunderung. Nach Hassan hingegen verzehrt er sich. Nach dessen Geruch, in dem sich Orangen, Salz und Zigarettendunst vermengen, nach seiner Nähe. In neun Tagen wird Zeko ihn wiedersehen. Die verbleibende Zeit zählt er wie einen Countdown runter, bleiern lastet der Berliner Alltag auf ihm. Vor allem das pausenlose Online-Dating setzt ihm zu – schon wieder hat Zeko Filzläuse, aber keine Liebe gefunden.
Auf Dopaminkicks folgen Depri-Phasen. Die Therapeutin rät zur Internet-Abstinenz, aber was weiß sie schon von Zeko? Zum Thema „Was ich meiner Therapeutin niemals sagen werde“ fallen ihm gleich 44 Stichpunkte ein. Sie reichen von „Ich onaniere seit der fünften Klasse in Socken“ über „Wenn sich die Männer beim Freitagsgebet verbeugen, schaue ich mir ihre Hintern an“ bis „Pırasa, Annes Laucheintopf, ist gar nicht mein Lieblingsessen, ich hasse es, es schmeckt nach alten Socken, in die ich gewichst habe“.
Was die Mehrheitsgesellschaft mit einem Muslim wie Zeko macht
Ozan Zakariya Keskinkılıçs Roman „Hundesohn“ geizt nicht mit Freizügigkeiten, es strotzt von Beginn an vor schwulem Sex. Wer daran schon Anstoß nimmt, der wird sich grundlegend am Ich-Erzähler Zeko reiben: Kind türkischer Einwanderer mit arabischen Wurzeln, nimmt kein Blatt vor den Mund, offen queer und praktizierender Muslim – mehr Provokation für die Mehrheitsgesellschaft geht nicht. Was deren Ressentiments seit Kindergartentagen schon in Zeko anrichten, davon handelt „Hundesohn“.

Es ist der erste Roman des 1989 geborenen Autors und promovierten Politikwissenschaftlers Keskinkılıç, der vielfach Motive und Themen aufgreift, die er bereits in seinem Lyrikband „Prinzenbad“ und dem Essay „Muslimaniac – Die Karriere eines Feindbilds“ entfaltete. Es geht um Assimilationsdruck und Identitätszwang, monokulturelle Ignoranz und antimuslimischen Rassismus. Je unverhohlener im Roman die bundesdeutsche Realität Zeko ablehnt, umso weniger will der dazugehören. Aus Trotz wird Angriffslust, etwa wenn er über die bornierten Ex-Klassenkameraden Lea, Tim und Max spottet. Wenngleich sich die Spitzen gegen die Almans mit jedem Stoß abnutzen, darf man sich als solcher ruhig gepiekst fühlen. Dabei ist der Hohn über die biodeutschen Verhältnisse ein Akt der Notwehr, die Provokationen verstricken sich zudem in Widersprüchen. Letztlich begehrt Zeko, was man ihm verwehrt.
Kafka als Seelenverwandter
Hassan etwa, der bloß im Schutze der Dunkelheit die Zärtlichkeiten erwidert. Oder ein anerkannter Teil Deutschlands zu sein, das Zeko wie einen Aussätzigen behandelt. Dazu passend sind Keskinkılıçs Roman zwei Motti von mittlerweile kanonisierten Außenseitern vorangestellt: eines von Kurt Tucholsky, das andere aus Franz Kafkas Fragment „Das Schloss“. In Kafka entdeckt Zeko einen Seelenverwandten, die Misere des Landvermessers vor unpassierbarer Pforte spiegelt seine eigene. In der Anspielung auf eine weitere Erzählung Kafkas verbirgt sich dann die finale Pointe von „Hundesohn“. Es ist ein Konversionsmoment, der mit Hassan in Adana natürlich nichts zu tun hat.
Keskinkılıçs Debüt liest sich zackig: Die kurzen Kapitel geraten abwechslungsreich, der bissige Humor erweist sich als treffsicher, und die bewusst blumige Metaphorik wird behutsam kultiviert. Mit den gebetsmühlenartigen Wiederholungen und Repetitionsschleifen hingegen ist es so eine Sache; sie blähen die biographischen Skizzen erst zum Roman auf, der insgesamt doch designt wirkt, am Reißbrett geplant. Einmal, weil Keskinkılıç öfters seine eigenen früheren Arbeiten sampelt. Dazu passend, adressiert sein Protagonist sich als „Zakariya“, die seltenere Koseform Zeko fällt bloß viermal. Dennoch beruft sich der Klappentext auf diesen Namen, wohl um autofiktionale Bezüge zu verwischen. Vor allem aber passt der wenig überraschende Aufbau des Ganzen schwerlich zur ausgestellten Rotzigkeit des Vortrags.
An welche Leserschaft richtet sich das Buch?
So recht geht das nicht zusammen, und auch die Reflexionen über Sprachenvielfalt hinken: „Eine Sprache, ein Mensch. Zwei Sprachen, zwei Menschen. Das bedeutet, je mehr Sprachen du sprichst, desto größer ist deine Welt, desto mehr bist du.“ Das klingt zunächst kosmopolitisch, doch interessiert Zeko sich vornehmlich für die eigenen Wurzeln, die letztlich auf dem Grund klar umrissener Identitätskonzepte gedeihen. Wenngleich diese im Clinch miteinander liegen und Zeko sie nicht harmoniert bekommt, kreist er derart manisch um sich selbst, dass jede Kafka-Referenz ins Leere läuft.
Womit wir abermals bei den Widersprüchen anlangen. Denn welche Leserschaft wird hier überhaupt anvisiert? Klar, ein Roman kann potentiell alle Menschen ansprechen, das tut er durch das jeweilige Branding jedoch nie. Das Suhrkamp-Publikum besteht mehrheitlich wohl immer noch aus jenem Bildungsbürgertum, über das „Hundesohn“ die Nase rümpft. Ob das allen Buchbeteiligten bewusst ist? Wobei es das gar nicht muss, immerhin reden wir von Literatur und einem respektablen Romandebüt. Als Lyriker und Essayist hat Ozan Zakariya Keskinkılıç bislang allerdings mehr überzeugt.
Ozan Zakariya Keskinkılıç: „Hundesohn“. Roman. Suhrkamp Verlag, Berlin 2025. 219 S., geb., 24,– €.
