
Eine der fundamentalsten Unterscheidungen der Zivilisationsgeschichte ist die zwischen Innen und Außen. Das zeigt sich gerade wieder auf dem Oktoberfest, wo sich die Menschen danach sortieren, ob sie drin sind, im Zelt, in einer Box, oder leider draußen bleiben müssen. Das Grundgesetz aus der Serie „Kir Royal“ gilt mehr denn je: „Wer reinkommt, ist drin.“
Dabei scheint „drin“ in jedem Fall besser zu sein als „draußen“, also unabhängig davon, in was genau man drin ist. Nicht umsonst heißt es, dieses ist „in“ und jenes „out“. Man sagt, „das sollte doch wohl drin sein“, oder „ich bin gut reingekommen“, etwa in ein Tennismatch, oder aber „es hat mich voll rausgehauen“, zum Beispiel aus einem Vortrag oder einer Kurve. Dass es freilich auch heißt, „er hat ihn rausgehauen“, etwa ein Anwalt einen Mandanten, zeigt genauso wie das In-Sein des Outside-the-Box-Denkens, dass die Sache mit Drin und Draußen so leicht nicht ist. Jedenfalls stehen sie in einer komplexen Wechselbeziehung.
Wer ist wirklich drin im Festzelt?
Beim Oktoberfest etwa fühlt man sich umso mehr drin, je öfter man zum Ausgang des Zeltes läuft und sich an denen delektiert, die, draußen wartend, Blicke auf die drinnen erhaschen. Die Konstellation erinnert an Zoo- und Gehegegedichte à la Rilkes „Der Panther“. Wer ist hier hinter den Gittern, wer davor, wer wirklich drin, wer draußen? Ist der, der reinkommt, tatsächlich drin, oder gibt es eine Art „Halle der Erwartung“, wie sie mal für die Walhalla angedacht war, oder einen äußersten Kreis der Hölle (Limbus), in dem sich etwa Lilly Becker aufhalten könnte, seit sie ein Gerichtsvollzieher auf der Wiesn heimgesucht hat?
Die Grenzen zwischen drinnen und draußen, innen und außen sind fließend geworden. Die Dichter und Denker haben das als Erste erkannt. Peter Handkes „Die Innenwelt der Außenwelt der Innenwelt“ legt davon genauso Zeugnis ab wie Ulrich Becks „Nachrichten aus der Weltinnenpolitik“. Sogar Kanzler Friedrich „All-in“ Merz hat jüngst erläutert, dass Außenpolitik heute Innenpolitik sei (und umgekehrt).
Die Ununterscheidbarkeit ist zum Signum unserer Zeit geworden. Ständig wird das Innerste veräußert und das Äußerste verinnerlicht. Boris Becker, der Ex (lateinisch für Aus) von Lilly, weiß, wie fatal das enden kann. Lange hat er ein Leben geführt, in dem es nur um die Frage „In or out?“ ging – eine weiße Linie schaffte Klarheit. Kaum dass Beckers Karriere zu Ende war, schwanden die Gewissheiten, und er stellte in der Werbung, womöglich auch in der Besenkammer, die bange Frage: „Bin ich schon drin?“ Tatsächlich ist er nirgendwo mehr so reingekommen wie in ein Tennismatch. Ist aber nicht schlimm. Denn nach seiner Zeit hinter Gittern weiß er längst, was vielen Oktoberfest-Besuchern ebenfalls dämmert, wenn sie sich nach Stunden im Zelt zu Hause endlich aus der Lederhose gehievt haben: wie befreiend es sein kann, komplett draußen zu sein.