Nur Minderheit traut neuer Bundesregierung Politikwechsel vor

Es ist schon öfter vorgekommen, dass neue Bundesregierungen in kurzer Zeit ihre Wähler enttäuschten. 1998 hatte die erste rot-grüne Koalition unter Gerhard Schröder, begleitet von großen Erwartungen zumindest der eigenen Wählerschaft, die Amtsgeschäfte aufgenommen. Doch schon nach wenigen Monaten waren viele dieser Wähler so sehr enttäuscht, dass die nur kurz zuvor abgewählte CDU/CSU in der Zweitstimmen-Wahlabsicht der absoluten Mehrheit nahekam, bevor dann die CDU-Spendenaffäre zur Jahreswende 1999/2000 wiederum für ein neues Kräfteverhältnis unter den Parteien sorgte.

2009 und 2021 starteten die jeweils neuen Koalitionen mit eher mäßiger Zustimmung der Bevölkerung, um dann rasch weiter an Popularität zu verlieren. 2002 setzte das Umdenken bereits am Wahlabend ein: Nach der äußerst knappen Bestätigung der rot-grünen Koalition verkündeten Spötter in den Medien, die Bürger hätten nun das Gefühl, sie hätten sich verwählt. Doch dass eine Regierung ihre Wähler enttäuscht, bevor sie im Amt ist, ist neu.

Nur 23 Prozent finden neue Regierung gut

Ebendies zeigen die Ergebnisse der Repräsentativumfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach im Auftrag der F.A.Z. Die Erwartungen an die neue Bundesregierung sind sehr gedämpft. Auf die Frage „Sehen Sie der voraussichtlichen Regierung aus CDU/CSU und SPD mit Hoffnungen oder Befürchtungen entgegen?“ antworteten 24 Prozent, sie erwarteten die neue Regierung mit Hoffnungen, 30 Prozent äußerten Befürchtungen. Zum Vergleich: Die zu Beginn auch nicht populäre Ampelkoalition wurde im November 2021 immerhin von 39 Prozent mit Hoffnungen erwartet, nur 21 Prozent sahen ihr mit Befürchtungen entgegen.

Selbst die Anhänger der künftigen Regierungsparteien konnten sich in der Umfrage nicht mehrheitlich zu einem optimistischen Blick auf die künftige Regierung durchringen: Gerade 45 Prozent der CDU/CSU- und 35 Prozent der SPD-Anhänger sehen der voraussichtlichen neuen Regierung mit Hoffnungen entgegen.

Weitere Umfrageergebnisse bestätigen den Befund. Auf die Frage, ob man eine Koalition aus CDU/CSU und SPD für gut für unser Land halte, antworteten 23 Prozent der Befragten, sie hielten diese Kon­stellation für gut. Unter den Anhängern der CDU/CSU waren es 44 Prozent, unter denen der SPD 36 Prozent. 21 Prozent der Bevölkerung trauen der neuen Regierung zu, dass sie in der Lage ist, die Zukunftsprobleme unseres Landes zu bewältigen. Mehr als doppelt so viele, 45 Prozent, widersprechen ausdrücklich.

Nur bei der Verteidigung zuversichtlich

Diese Werte sind geringfügig schlechter als jene, die für die Ampelkoalition im November 2021 ermittelt wurden. Die Koalition aus CDU/CSU und FDP wurde im Februar 2010 sogar noch etwas negativer beurteilt; damals war die Regierung jedoch bereits drei Monate im Amt, und der Stimmungswechsel vor allem zuungunsten der FDP, die bei der Wahl noch das beste Ergebnis ihrer Geschichte erreichte, hatte bereits begonnen. So markieren die aktuellen Umfrageergebnisse keinen Höhepunkt des Zutrauens in eine neue Regierung vor Beginn ihrer Amtsaufnahme.

Wie wenig die Bevölkerung von der neuen Regierung erwartet, zeigen die Ergebnisse zweier Fragen, bei denen den Befragten eine Liste mit politischen Zielen vorgelegt wurde. Zunächst wurden sie gebeten anzugeben, welche der Ziele sie für besonders dringlich hielten, um welche sich die Bundesregierung besonders kümmern sollte. Danach folgte die Bitte, die Punkte zu benennen, bei denen sie der neuen Regierung zutrauen, dass es da Fortschritte geben werde.

Der Vergleich der Antworten auf die beiden Fragen zeigt bemerkenswerte Unterschiede: Lediglich bei einem Punkt, nämlich dem Ziel, die Bundeswehr zu stärken, liegt der Anteil derjenigen, die der künftigen Regierung zutrauten, hier Fortschritte zu erreichen, mit 44 Prozent nicht weit unter der Zahl derer, die dies für besonders dringlich hielten (51 Prozent). Bei allen anderen Punkten ist die Differenz nicht nur wesentlich größer, sondern der Anteil derjenigen, die der kommenden Regierung hier Erfolge zutrauen, ist deutlich kleiner als die Zahl derer, die sie gewählt haben. Besonders groß ist die Differenz bei den Punkten „Bekämpfung der Inflation“, „Für mehr bezahlbaren Wohnraum sorgen“, „Die Renten sichern“, „Bürokratie abbauen“ und „Bekämpfung von Kriminalität“.

Hier halten jeweils rund zwei Drittel der Befragten das Ziel für besonders dringlich, aber nur zwischen neun und 15 Prozent geben an, dass sie der künftigen Regierung hier Fortschritte zutrauen. Auch bei dem Punkt „Dafür sorgen, dass alles wieder besser funktioniert“ ist der Abstand zwischen den Wünschen der Bevölkerung und ihren Erwartungen gewaltig: 58 Prozent bewerten dies als besonders dringlich, nur sieben Prozent glauben, die neue Regierung könne auf diesem Gebiet Fortschritte erzielen.

Wie rasch sich die Hoffnungen der Bürger verflüchtigt haben, dass die neue Regierung die Lage verbessern werde, zeigen die Ergebnisse der Frage „Erwarten Sie, dass sich durch den Regierungswechsel vieles ändert, oder wird wahrscheinlich weitgehend die gleiche Politik gemacht werden wie unter der bisherigen Regierung?“. Im Januar und Februar waren die Anteile derer, die sagten, es werde sich vieles ändern, und derjenigen, die meinten, es werde weitgehend die gleiche Politik gemacht werden wie bisher, ungefähr gleich groß.

In der Umfrage sagen dagegen 55 Prozent, sie erwarteten keine wesentliche Änderung der Politik, nur noch 20 Prozent vertreten die Gegenposition. Angesichts des Umstandes, dass die Politik der Ampel zuletzt so unpopulär war wie die noch keiner Regierung, muss man diese Zahlen als Zeichen einer rasanten Desillusionierung deuten.

Wachsende Staatsverschuldung bereitet wenig Sorgen

Dabei besorgt die Gefahr einer deutlich wachsenden Staatsverschuldung selbst die Bürger zunächst nicht allzu sehr. Die Tatsache, dass es ihr eigenes Geld und das ihrer Kinder ist, das dort ausgegeben werden soll, machen sich die meisten offensichtlich nicht bewusst. Auf die Frage, ob man sich Sorgen mache, dass sich der Staat mit seinen Schulden für die Bundeswehr, die Verbesserung der Infrastruktur und des Klimaschutzes finanziell übernimmt, antworteten 39 Prozent, sie machten sich sehr große oder große Sorgen. Deutlich mehr, 52 Prozent, meinten, dies mache ihnen weniger große, kaum oder gar keine Sorgen.

Bei einer weiteren Frage wurden zwei Meinungen gegenübergestellt. Die eine lautete: „Ich finde es unverantwortlich, dass der Staat jetzt so viele Schulden machen will. Dies geht zu Lasten der jungen Generation. Gerade die junge Generation wird durch die Zinsen für die Schulden und die Zurückzahlung der Schulden stark belastet.“

Die Gegenposition lautete: „Wenn wir in der jetzigen Situation keine Schulden machen, setzen wir die Zukunft des Landes aufs Spiel. Die Folgen davon wären für die jüngere Generation viel gravierender als die jetzigen Schulden.“ 53 Prozent stützen diese letztere Position, nur 31 Prozent die erstgenannte. Der Aussage „CDU/CSU und SPD denken zu wenig darüber nach, wo in Zukunft Geld eingespart werden soll“, stimmt rund ein Drittel zu.

Die hohen Staatsschulden selbst bereiten den Bürgern also offensichtlich keine schlaflosen Nächte. Das gilt auch für die Anhänger der CDU/CSU, die sich sogar noch etwas unbesorgter geben als der Durchschnitt der Bevölkerung. Der Umstand, dass die CDU/CSU mit der Lockerung der Schuldenbremse noch vor Regierungsantritt eines ihrer am prominentesten vorgetragenen Wahlkampfversprechen gebrochen hat, stößt dagegen vielen Bürgern auf: 55 Prozent stimmen der Aussage zu: „Wenn man im Wahlkampf verspricht, an der Schuldenbremse festzuhalten, und sich jetzt so schnell für neue Schulden einsetzt, ist das unehrlich und Wählerbetrug. Dadurch beweist die CDU/CSU, dass sie nicht verlässlich ist.“

So ist für viele Bürger weniger die politische Entscheidung selbst ein Grund zum Misstrauen gegenüber der künftigen Regierung als vielmehr die Tatsache, dass ihr Handeln in diesem Punkt in offensichtlichem scharfem Kontrast zu den im Wahlkampf getroffenen Aussagen steht.

Auch der voraussichtliche künftige Bundeskanzler Friedrich Merz tritt sein Amt ohne Vertrauensvorschuss an. Auf die Frage „Haben Sie von Friedrich Merz alles in allem eine gute oder keine gute Meinung?“ antworteten im April 2025 gerade 13 Prozent, sie hätten von ihm eine gute Meinung, weniger als halb so viele, wie der CDU/CSU ihre Stimme geben würden, wenn am nächsten Sonntag Bundestagswahl wäre. Selbst unter den CDU/CSU-Anhängern sagten gerade 33 Prozent, sie hätten von Merz eine gute Meinung. Nicht viel weniger, 24 Prozent, gaben zu Protokoll, dass sie von Merz keine gute Meinung hätten.

Eine relative Mehrheit von 43 Prozent äußerte sich unentschieden. Positiver fielen die Antworten auf die Frage aus: „Trauen Sie Friedrich Merz zu, Deutschland als Kanzler gut zu führen, oder trauen Sie ihm das nicht zu?“ 21 Prozent antworteten auf die Frage, sie trauten Merz dies zu. Eine klare relative Mehrheit von 47 Prozent widersprach. Die Anhänger der CDU/CSU trauen Merz immerhin zu 52 Prozent zu, das Land gut zu führen, die der Anhänger SPD stimmen dagegen nur zu 19 Prozent zu.

Selten hat eine Bundesregierung ihre Amtsgeschäfte unter so widrigen Bedingungen aufgenommen. Die Bürger haben deutliche Vorstellungen, was die kommende Regierung leisten müsste, aber kaum Hoffnungen, dass diese in der Lage sein wird, die Vorstellungen zu erfüllen. Dem voraussichtlichen Kanzler trauen sie ebenso wenig zu wie den Parteien, die die Koalition tragen. Von der Regierung sind sie enttäuscht, bevor sie überhaupt die Amtsgeschäfte aufgenommen hat. Das muss für die Regierungsparteien keine schlechte Nachricht sein, denn die Fallhöhe zwischen den Erwartungen und der Realität des Politikalltags, die sich zeigen wird, ist denkbar gering. Die neue Regierung kann kaum noch enttäuschen, nur noch positiv überraschen.