Noch ist der Besitz vieler von Nazis geraubter Kunstwerke nicht geklärt. Ein neues Schiedsgericht nimmt seine Arbeit auf, doch Angehörige haben Zweifel. Ein Überblick
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Wem gehört ein Kunstwerk, das während der Nazizeit geraubt oder unter Zwang verkauft wurde? Seit Ende des Zweiten Weltkriegs ist diese Frage bis heute in vielen Fällen nicht geklärt. Ein neues Schiedsgericht entscheidet nun über den Besitz. Wichtige Fragen und Antworten:
Um welche Kunstwerke geht es?
Mit NS-Raubkunst sind Kunstobjekte und Kulturgüter gemeint, die verfolgten Menschen in der Nazizeit geraubt wurden oder die diese unter Zwang verkaufen mussten, etwa um die von den Nazis erzwungene Reichsfluchtsteuer zahlen zu können. Die ursprünglichen Besitzer verloren so schätzungsweise 600.000 Werke. Bis heute versuchen jüdische Familien, Werke ihrer Angehörigen zurückzubekommen. In vielen Fällen ist noch nicht über eine Restitution – also eine Rückgabe – entschieden. „Wir reden sicherlich von Zehntausenden Kunstwerken aller Art“, sagte Markus Stötzel, Anwalt für Angehörige von damaligen Opfern, der ZEIT. Das Deutsche Zentrum für Kulturgutverluste in Magdeburg verzeichnet knapp 45.000 Objekte, die seit Kriegsende an Eigentümer oder deren Erben zurückgegeben wurden. Wegen fehlender Meldepflicht sind diese Zahlen allerdings nicht belastbar.
Bei den betroffenen Kunstobjekten geht es nicht nur um große bekannte Werke wie etwa Picassos Bild Madame Soler, Die Nacht von Max Beckmann oder Teile des sogenannten Welfenschatzes. Auch kleine Objekte sind dem Anwalt Stötzel zufolge betroffen: Fotografien, Mobiliar, Silberbesteck und andere Erinnerungsstücke, die sich an verschiedensten Orten in Deutschland befinden. Das könnten neben großen Sammlungen in deutschen Museen auch kleine städtische Museen, Asservatenkammern oder andere Depots sein.
Welche Aufgabe hat das neue Schiedsgericht?
Das neue Schiedsgericht beginnt ab dem heutigen Montag seine Arbeit und löst damit die bisherige Beratende Kommission ab. Eine Neuerung ist die sogenannte einseitige Anrufbarkeit – das heißt, Opfer und ihre Angehörigen können leichter ein Verfahren anstoßen. Ganz einseitig ist ein Verfahren vor dem Schiedsgericht allerdings nicht möglich. Das Museum oder der Träger, in dessen Besitz sich das Objekt derzeit befindet, müssen zuvor nämlich ein stehendes Angebot abgegeben haben. Laut Website des Schiedsgerichts haben das bereits einige Institutionen und Städte getan.
Gibt es dieses stehende Angebot im Vorhinein nicht, muss die Einrichtung dem Verfahren zustimmen. Also ist auch weiterhin eine Verhandlung über ein Objekt von der Zustimmung beider Seiten abhängig. Die Bundesregierung spricht dennoch von „entscheidenden Verbesserungen“. Die Entscheidungen des Schiedsgerichts sind dann allerdings verbindlich und nicht mehr nur eine Empfehlung.
36 Richterinnen und Richter gehören dem Schiedsgericht an: Das Präsidium bilden Elisabeth Steiner, ehemals Richterin am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, sowie der ehemalige Ministerpräsident und Verfassungsrichter Peter Müller (CDU).
Die Idee für das Schiedsgericht kam bereits 2024 auf, im Januar dieses Jahres beschloss das Bundeskabinett schließlich die Einführung. „Deutschland wird seiner historischen Verantwortung durch die Reform der Beratenden Kommission besser gerecht“, sagte damals Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne). Ihr Nachfolger Wolfram Weimer (parteilos) erhofft sich nun eine Beschleunigung der Restitutionsverfahren.
Wie war die Rückgabe von Raubkunst bisher geregelt?
Bisher gab die Beratenden Kommission unverbindliche Empfehlungen ab, keine endgültigen Entscheidungen. Die Einrichtung, in deren aktuellem Besitz sich ein Kunstwerk befand, musste einer Anrufung der Kommission zustimmen. Diese Regelungen wurden immer wieder kritisiert.
Die Kommission wurde im Jahr 2003 eingerichtet. Sie ging auf die sogenannten Washingtoner Prinzipien aus dem Jahr 1998 zurück. Damals vereinbarten Deutschland und rund 40 weitere Staaten, die ursprünglichen
Besitzer von Kunstwerken und ihre Erben zu ermutigen, ihre Ansprüche
anzumelden und eine „gerechte und faire Lösung“ zu finden. Jedoch kam die Kommission mit ihrer Arbeit nur schleppend voran. Seit Beginn wurden lediglich 26 Fälle abgeschlossen.
Wie stehen die Erben der Opfer zum Schiedsgericht?
Dass die Beratende Kommission nur wenige Fälle abschließen konnte, liegt dem Restitutionsanwalt Stötzel zufolge nicht an der Kommission selbst, sondern an fehlendem Handlungsspielraum und fehlender Unterstützung der Politik. Regierungen auf Bundes- und Landesebene hätten sich immer wieder dazu bekannt, Verantwortung zu übernehmen und die Kommission zu unterstützen. Doch habe man die Kommission schließlich „am langen Arm verhungern lassen“, sagte Stötzel.
Die Einführung der Schiedsgerichtsbarkeit bezeichnete Stötzel als „sehr durchschaubar und halbherzig“. Zum einen muss nun teilweise eine Verfolgung bewiesen werden. Stötzel verwies auf den Fall Die Füchse vom deutschen Maler Franz Marc. Das Bild war zur Nazizeit im Besitz eines jüdischen Sammlers, der es nach seiner Flucht aus Deutschland verkaufte, um sein Überleben und das seiner Familie zu sichern. Lange stellte sich die Frage, ob es restituiert werden sollte. Die Beratende Kommission hatte dies schließlich empfohlen, da der Sammler nach ihrer Auffassung das Bild nicht verkauft hätte, wäre er nicht verfolgt worden. Die Stadt Düsseldorf, in deren Kunstpalast das Gemälde hing, argumentierte dagegen, das Gemälde habe sich außerhalb des NS-Machtbereiches befunden. Später willigte die Stadt der Restitution doch ein. Mit der neuen Schiedsgerichtsordnung muss bewiesen werden, dass der Verkauf eines Kunstobjekts außerhalb von Deutschland auf die Verfolgung zurückzuführen ist.
In anderen Fällen wurde von verschiedenen Stellen eine Anrufung der Beratenden Kommission laut Stötzel hinausgezögert und auf die baldige Einrichtung der Schiedsgerichtsbarkeit verwiesen. Er vermutet, man hoffe darauf, dass das Schiedsgericht restriktiver entscheide als die Kommission. Ein Beispiel für einen jahrelangen Streit um eine Restitution ist etwa das Picasso-Gemälde Madame Soler, das sich in den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen befindet. Lange weigerte sich der Freistaat Bayern, den Fall vor der Beratenden Kommission verhandeln zu lassen. Nun lenkt er ein und ist bereit, vor das Schiedsgericht zu gehen.
Ein weiteres Problem an dem neuen Schiedsgericht befürchtet Stötzel in der Vertretung der Erben. Entscheidungen könnten vertagt werden, sollten
nicht alle Angehörigen eines Verfolgten anwesend sein. Bei großen
Erbengemeinschaften mit Dutzenden Beteiligten könne es durchaus
vorkommen, dass Einzelne nicht auffindbar seien, sagt er.
Wie steht es um ein Restitutionsgesetz?
Mit der Einführung des Schiedsgerichts wird ein Versprechen des Koalitionsvertrags von Union und SPD umgesetzt. Doch im Vertrag wird auch ein Restitutionsgesetz angekündigt, also ein verbindlicher gesetzlicher Rahmen für eine Rückgabe von Raubgut. Mehrere jüdische Institutionen fordern das schon länger. Auch der Anwalt Stötzel schließt sich der Forderung an. Damit würde zwar nur die öffentliche Hand zur Restitution verpflichtet, also beispielsweise staatliche Museen, dennoch wäre das „ein Riesenfortschritt“, sagt er. Der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, fordert ein Gesetz, das auch Ansprüche in privatem Besitz regelt. Bisher gab es seitens der Bundesregierung noch keine Vorstöße, die Ankündigung des Koalitionsvertrags für ein Gesetz umzusetzen.
Mit Material der Nachrichtenagenturen DPA und AFP
