
Gegen 18.20 Uhr zeichnet sich, dass Alexander Kalouti tatsächlich die historische Sensation gelingen kann. Bei der Oberbürgermeister-Stichwahl liegt der CDU-Kandidat erstmals vor Amtsinhaber Thomas Westphal von der SPD.
Doch bei der CDU-Wahlparty im Saal der Partnerstädte im ersten Stock des Dortmunder Rathauses bricht nur für wenige Sekunden Jubel aus. Dann schaut auch Kalouti wieder gebannt auf einen der Bildschirme, auf dem die Ergebnispräsentation ständig aktualisiert wird.
Barbara Menzenbach, die lange für die CDU in den Dortmunder Rat saß, will auch dann noch nicht zu überschwänglich werden, als längst mehr als die Hälfte der Wahlbezirke ausgezählt sind. „Wie oft habe ich den letzten Jahrzehnten den Sekt umsonst kalt gelegt.“ Und selbst als die Ergebnisse von 600 der 666 Bezirke vorliegen und Kalouti stabil bei mehr als 52 Prozent liegt, murmelt die erfahrene Kommunalpolitikerin: „Man hat schon Pferde vor der Apotheke kotzen sehen.“
Wenig später bricht dann langanhaltender Jubel bei der CDU aus. „Wir haben zusammen Geschichte geschrieben“, ruft Kalouti. Gemeinsam habe man den Sieg errungen.
„Kein leichter Abend für die SPD“
Die sogenannte Herzkammer der Sozialdemokratie, die seit 79 Jahren durchweg einen Oberbürgermeister mit SPD-Parteibuch hatte, wird künftig von einem CDU-Politiker regiert. Für die SPD ist es ein Herzinfarkt in der alten Herzkammer.
So richtig wollen die Genossen das im Saal Westfalia nebenan noch nicht wahrhaben. „Das ist kein leichter Abend für die SPD“, sagt Jens Peick, der Dortmunder SPD-Chef. „Das heute ist ein historisch schlechter Tag.“ Der nach nur fünf Jahren abgewählte Westphal steht benommen daneben. „Ich weiß, dass es euch nicht besser geht als mir“, sagt Westphal. „So richtig verstanden hat man es noch nicht.“
Derweil lässt sich im Saal der Partnerstädte der CDU-Mann, dem die Sensation gelang, von seinen Parteifreunden feiern. Kalouti kam als Sohn eines palästinensischen Arztes und einer Deutschen in Beirut zur Welt, wuchs aber in Weinheim bei Heidelberg auf. Nach dem Studium an der staatlichen Schauspielschule in Stuttgart arbeitete er an Theatern in Oldenburg und Ingolstadt zunächst in seinem erlernten Beruf, um dann als persönlicher Referent des Kasseler Theaterintendanten ins Kulturmanagement zu wechseln. Seit 2014 ist Kalouti der Leiter der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit des Dortmunder Theaters.
„Lasst uns die Stadt wieder zusammenführen“
Am 14. September waren in Dortmund elf Bewerber um das Oberbürgermeisteramt angetreten. Mit etwas mehr als 27 Prozent lag Amtsinhaber Thomas Westphal (SPD) vorne. Auf jeweils etwas mehr als 14 Prozent kamen die Bewerber von AfD, Grünen sowie der parteiunabhängige, aber von einem angesehen Dortmunder Unternehmer unterstützte Einzelbewerber Martin Cremer – der sich in Runde zwei dann für Kalouti aussprach. In seiner Siegesrede bedankt sich Kalouti ausführlich für Cremers Unterstützung. Dann ist ihm auch diese Botschaft noch wichtig: „Lasst uns die Stadt wieder zusammenführen.“
Seit zweieinhalb Jahrzehnten zerbröseln die einstigen Bastionen der SPD im lange tiefroten Ruhrgebiet. Am 14. September reichte es bei der Ratswahl in Dortmund mit 24,89 Prozent nur noch knapp für Platz eins vor der CDU. Dass die SPD in ihrer „Herzkammer“ nun nicht mehr den Oberbürgermeister stellt, ist für die Sozialdemokraten über die Dortmunder Stadtgrenzen hinaus demoralisierend.

Umso wichtiger ist aus sozialdemokratischer Perspektive, dass sich in Gelsenkirchen – wo die SPD bei der Ratswahl kaum mehr als 400 Stimmen vor der AfD lag – am Sonntagabend Andrea Henze durchsetzt. Die bisherige Gelsenkirchener Sozialdezernentin kommt auf 67 Prozent der Stimmen und lässt damit Norbert Emmerich von der AfD mehr als 33 Punkte hinter sich.
Auch in Duisburg kann sich der sozialdemokratische Amtsinhaber Sören Link (der schon in Runde eins mit 46 Prozent klar vorne lag) mit 78,6 Prozent souverän gegen seinen AfD-Kontrahenten Carsten Groß durchsetzen, der auf 21,4 Prozent kommt.
In Hagen, der dritten Großstadt, in der es die AfD in die Oberbürgermeister-Stichwahl geschafft hatte, behauptet sich CDU-Kandidat Dennis Rehbein mit deutlicherem Abstand als nach dem engen Rennen in Runde eins erwartet. Rehbein kommt auf 71,6, sein AfD-Konkurrent Michael Eiche auf 28,4 Prozent.
In allen drei Ruhrgebietsstädten spielten die Folgen der Armutsmigration aus Südosteuropa im Wahlkampf eine wichtige Rolle.
Bittere Niederlagen für die Grünen
Die Hoffnung der Grünen auf mehrere große Stichwahlsiege wird am Sonntag enttäuscht. Besonders bitter ist für die Partei das Abschneiden in Köln, wo „Historisches“ zum Greifen nahe schien. Denn aus der ersten Runde der Oberbürgermeisterwahl Mitte September war die Landtagsvizepräsidentin Berîvan Aymaz mit 28,1 Prozent als Erstplatzierte hervorgegangen.
Hätte die Grünenpolitikerin die Stichwahl gewonnen, hätte die Grünen zum ersten Mal den Oberbürgermeisterposten in einer deutschen Millionen-Stadt errungen. Doch am Sonntag entscheidet der Verwaltungsfachmann und Sportfunktionär Torsten Burmester (SPD) das Rennen mit 53,5 Prozent für sich. An dem Tag, an dem sie ihre Herzkammer verlieren, ist Burmesters Sieg in der größten Stadt Nordrhein-Westfalens für die SPD auch psychologisch wichtig.
Bitter sind für die Grünen auch die Niederlagen in Bonn und Aachen. Dort werden nach jeweils nur einer Amtszeit die Oberbürgermeisterinnen Katja Dörner und Sibylle Keupen abgewählt.

In Münster dagegen jubeln die Grünen: Ihr Kandidat Tilman Fuchs, lange Jahre Dezernent für Schule, Kultur, Sport, Jugend und Soziales im Kreis Steinfurt kann sich mit rund 58 Prozent gegen Georg Lunemann (CDU), den Direktor des Landschaftsverbands Westfalen Lippe durchsetzen. Damit beginnt ein neues Kapitel in der Stadtgeschichte. Denn mit einer Unterbrechung zwischen 1994 und 1999 – als Marion Tüns Oberbürgermeisterin war – lag die Spitze des Rathauses stets in den Händen der CDU.
Mit dem klaren Votum für Fuchs feiern die Grünen einen Doppelsieg in Münster. Während sie bei der Kommunalwahl am 14. September landesweit 6,5 Punkte einbüßten, erreichten sie bei der Ratswahl mit 31,64 Prozent ihr bisher bestes Ergebnis in der westfälischen Stadt und verdrängten die CDU knapp von Rang eins. Bei der Bundestagswahl im Februar waren die Grünen – ebenfalls gegen den Trend – stärkste Kraft in der von Verwaltung, der Dienstleistungsbranche und zehn Hochschulen mit rund 70.000 Studenten geprägten Stadt geblieben.
Die Verhältnisse in Münster sind stabil, soziale Brennpunkte gibt es kaum, die Arbeitslosenquote liegt bei 5,3 Prozent. Bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise setzte Münster bewusst auf dezentrale Unterbringung in dezentralen Einheiten. Auch das dürfte mit erklären, warum die AfD in Münster bei der Ratswahl mit 4,5 Prozent gut zehn Punkte unter ihrem NRW-Schnitt blieb.
Schöne Siege kann die CDU nicht nur wie erwartet in Düsseldorf und Essen feiern. In der nordrhein-westfälischen Landeshauptstadt Düsseldorf setzt sich Amtsinhaber Stephan Keller mit etwas mehr als 60 Prozent gegen Clara Gerlach von den Grünen durch.
In Essen wird Oberbürgermeister Thomas Kufen (CDU) mit 57,1 Prozent im Amt bestätigt. Auch mehrere Oberbürgermeisterposten kann die CDU hinzugewinnen. Nach 16 Jahren SPD setzt sich in Bielefeld Christiana Bauer mit 51,38 Prozent durch. Auch Bonn und Aachen bekommen mit Guido Déus und Michael Ziemons wieder Oberbürgermeiste mit CDU-Parteibuch.
Als ganz besonderen Triumph empfinden die Christdemokraten jedoch ihren Sieg in Dortmund. Am späten Abend wurde der CDU-Landesvorsitzende und nordrhein-westfälische Ministerpräsident Hendrik Wüst im Dortmunder Rathaus erwartet.
Im Saal Westfalia bittet der Dortmunder SPD-Chef Jens Peick die Genossen, nicht gleich auseinanderzugehen. „Lasst uns hier sein, Gemeinschaft macht stark.“ Was an diesem Tag in Dortmund passiert ist, „ist ein Einschnitt, den wir auch in den Gremien besprechen müssen.“