
Normalerweise
urteilt der Vatikan nicht unbedingt begeistert über Popmusik. Nun aber jubelte
der Kulturminister des Vatikan, Kardinal José Tolentino de Mendonça, über den
Superstar Rosalía und ihr neues Album Lux gegenüber der Nachrichtenagentur EFE:
„Wenn eine Künstlerin wie Rosalía über Spiritualität spricht, bedeutet das,
dass sie ein tiefes Bedürfnis der zeitgenössischen Kultur nach Spiritualität
und der Pflege eines inneren Lebens aufgreift.“ Das Erstaunliche: Der Kardinal
hat damit ziemlich gut den Zeitgeist erfasst.
Denn ob in Filmen oder Popsongs – überall taucht gerade die Figur der Nonne
auf. Warum? Auf ihrem Cover zeigt sich etwa Rosalía in weißem Schleier, ein
enges Tuch um den Oberkörper geschlungen, sich selbst umarmend, die Augen
geschlossen – sie sieht aus wie eine Novizin, eine aspirierende Nonne. Auf dem
Cover von Motomami aus dem Jahr 2022 war Rosalía noch nackt mit
Motorradhelm zu sehen. Nun trägt sie einen in das dunkle Haar geblichenen
Heiligenschein. Woher also der Wandel?
Hinter Rosalías Imagewechsel mag die
Sehnsucht nach neuer Tiefe stecken – aber auch die Suche nach einem grundlegend
anderen Leben: Nach der freien, aggressiven, aber auch erschöpfenden Sexyness bieten
Nonnen einen erfüllenden und unabhängigen Lifestyle. Als weltliche Frau ist der
kaum zu erreichen. Als Nonne lebt man bildschirmfrei, minimalistisch, hat eine Macherinnen-Routine
mit frühem Aufstehen und ohne Zeit für Prokrastination – vor allem aber:
ohne Männer. Die Vogue
fragte vor Kurzem: „Ist es heutzutage peinlich, einen Boyfriend zu
haben?“ Und die Kunst sucht parallel dazu nach Transzendenz,
Schwesternschaft und Zurückgezogenheit.
Lily Allen in schwarz-weißem Schleier
Auch eine andere Sängerin hat sich
kürzlich als Nonne gezeigt: Lily Allen besingt auf ihrem Album West End Girl
in ironisch-brutalen Popsongs das Ende ihrer Ehe, Betrug durch den Ex-Mann,
das Daten als Mutter von Teenagern. Man sieht sie in Pussy Palace in schwarz-weißem
Schleier, resigniert rauchend. Der Song handelt davon, dass die Zweitwohnung
ihres Mannes eigentlich eine Sex-Höhle ist, voll mit Gleitgel, Butt-Plugs und
Haaren anderer Frauen. Allen ist die Prüde, Abstinente, die Betrogene. „Ich
weiß, du hast mich zu deiner Madonna gemacht. Aber ich will deine Hure sein“,
singt sie in Sleepwalking. Allen spielt mit den alten Tropen der
Sünderin und der Heiligen, zwischen denen Frauen sich scheinbar entscheiden
müssen – aber was, wenn das Nonnen-Dasein eine dritte Möglichkeit bietet?
Eine Nonne wird nicht wie Lily Allen von
ihrem Ehemann betrogen, sie muss nicht daten. Sie priorisiert Freundschaften
und das eigene geistige Streben. Sie muss sich weder über ihre Karriere noch
Kinder Gedanken machen. Eine Nonne muss weder ab- noch zunehmen, sie darf
altern, wie sie will. Ihr Aussehen wird nicht bewertet. Eine Nonne muss sich
den Erwartungen und dem Druck des weiblichen Daseins im 21. Jahrhundert nicht beugen.
Die neuen Schwester-Imitationen brechen mit Nonnendarstellungen als Mittel der
Provokation, so wie es bisher in der Popmusik der Fall war, wie etwa noch
bei Madonna. Nein, man umarmt das Nonnen-Leben als Safe Space.
Auch die drei Schwestern aus dem österreichischen
Kloster Goldenstein begeistern seit einigen Wochen die internationale Presse
und die sozialen Medien. Schwester
Bernadette, Schwester Regina und Schwester Rita hatten Anfang September das
ihnen zugewiesene Altenheim verlassen – und das Kloster besetzt, in dem
sie zuvor jahrzehntelang gelebt hatten. Auf Instagram haben die Frauen
inzwischen mehr als 200.000 Follower. Man sieht sie dort etwa beim Boxtraining
im Kreuzgang. Ein Buch mit dem Titel Nicht mit uns ist soeben erschienen
– im Zuge der Promo-Phase konnte man ein „Meet and Pray“ gewinnen. Die über
80-jährigen Schwestern verteidigen ihr Leben im Konvent mit einem hartnäckigen
Streben nach Unabhängigkeit. Denn ja, auch uniformierte Frauen, die sich einem
gewissen Lebensstil und -sinn verschrieben haben, besitzen Persönlichkeit. Das
sieht man auch auf TikTok: Unter dem Hashtag „Nun Tok“ zeigen Ordensschwestern ihr
tägliches Leben. Und wo wir Verzicht, Strenge, Freudlosigkeit erwarten, zeigen
sich viele der Frauen überaus locker, sie tanzen zu Popsongs, backen Brot, reißen
Witze.
Nonnen sind „relatable“
Ana Gariga und Carmen Urbita erzählen in
ihrem Buch Convent Wisdom, das im Februar auf Deutsch erscheint, wie sie
sich in Texten von Nonnen aus dem 16. und 17. Jahrhundert wiedererkannt haben. Mithilfe
der Worte und Biographien dieser Schwestern geben sie Ratschläge. Ein
Selbsthilfebuch für Millennials – die Nonnen sind „relatable“, wie es im
Klappentext heißt. Auch hier scheint man zu erkennen: Diese Frauen sind wie
wir, nur anders. Besser vielleicht? Die Pop-Nonnen zeigen: Eine Frau kann doch
alles haben. Man kann fromm, keusch, spirituell sein – sogar mit Segen des
Vatikans – und doch ein Mensch mit Persönlichkeit sein.
Anders aber als die Hexe, die das System
zu sprengen versucht, begibt sich die Nonne in eine strikte Institution. Dort
kann sie sich gemeinsam mit anderen Frauen Freiräume schaffen – soweit es die
zumeist männlich geführten Kirchen erlauben. Das Schwesternleben passt in eine
Zeit der Dauerkrisen und ständigen Überforderung – in der man lieber Self
Care betreibt, als sich um andere zu kümmern, in der Selbstoptimierung
Kontrolle verspricht und politische Systeme unveränderlich erscheinen wie
Himmelreich und Hölle. Wenn das Frau-Sein nur neue Mühen mit sich bringt, warum
dann nicht hinter etwas verschwinden, das größer ist als man selbst? Vielleicht
ist für den Nonnen-Lifestyle nicht einmal der Glaube entscheidend – zumindest
nicht der christliche. Weder Rosalía noch den Autorinnen von Convent Wisdom
geht es um eine konkrete Konfession, sondern um das Versprechen von Mystik,
Spiritualität und Gemeinschaft – eine Gemeinschaft unter Gleichen, männerfrei
und schwesterlich.
Dass der Vatikan Rosalía lobt, ist
vielleicht auch eine Verzweiflungstat: sich von der Kunst abzuwenden oder das
Spiel mit sakralen Symbolen wie noch bei Madonna als Blasphemie zu bezeichnen,
bringt der Kirche keine Anhängerinnen und Anhänger zurück. Rosalía mag sich von
christlicher Symbolik lose inspirieren lassen, für den Vatikan ist es die beste
Gelegenheit, sich zugewandt zu zeigen: Hauptsache Spiritualität! Geschenkt,
dass die neuen Nonnen unabhängig von männlicher Führung sein möchten. Und so
ist der Segen des Vatikans nur so zu verstehen: lieber rebellische Pop-Nonnen
als gar keinen christlichen Einfluss mehr.
