Noch tanzen, nach Mitternacht, mit abgeklebtem Handy, dazu Alkohol? – Gesellschaft

Ich liebe mein Kind. Ich liebe aber auch Orte, an denen Kinder aus unterschiedlichen Gründen nicht zugelassen sind. Und so bin ich vor einiger Zeit für ein verlängertes Wochenende in eine große deutsche Stadt gefahren, wo die Technoclubs groß sind und die Nächte unendlich. Nicht, dass ich nach der Geburt meiner Tochter nicht schon mal alleine unterwegs gewesen wäre, sie ist jetzt immerhin dreieinhalb und ich bald 40, sodass es noch einiges zu erleben gibt, also für mich jetzt, nicht für mein Kind.

Leider verliefen diese ersten Individualreisen in meiner neuen Rolle nicht so, wie ich mir das vorgestellt hatte. Im Gegenteil, meine Freiheitsbilanz fällt dürftig aus. Reiste ich zu meinen engsten Freundinnen, um ihre neuesten Babys kennenzulernen, bedeutete das in Wahrheit, dass ich diese neuesten Babys wippend durch die Küche trug, bis ich mein eigenes Kind vermisste, während meine Freundinnen duschen gingen, für meinen Geschmack etwas zu lang. Reiste ich in ein bayerisches Wellnesshotel, das so viel kostete wie ein Langstreckenflug, ging ich nicht zum Faszientraining, sondern lag mit Bauchschmerzen am Pool, weil ich zu viele Windbeutel vom Süßigkeitenbuffet gegessen hatte und mich ausnahmsweise niemand vom Essen abhielt. Reiste ich bei Morgengrauen beruflich an einen völlig egalen deutschen Ort, für ein Interview oder eine Konferenz, hechtete ich abends mit vagen Schuldgefühlen in den letzten Zug, um schnellstmöglich wieder beim eigentlich bestens betreuten Kind zu sein, dem wir beigebracht haben, seine Bedürfnisse klar zu formulieren, konkret: „Geh weg, Mama.“

Kurzum, ich hatte das verlernt, was ich früher so wahnsinnig gut konnte: mich treiben zu lassen, ohne den Gedanken daran, dass mich bestimmt gleich jemand braucht.

An besagtem Wochenende sollte das anders werden. Wiedersehen mit zwei guten Freunden in besagter großen deutschen Stadt, wir pendelten so von Restaurant zu Café zu Konzert, von Gespräch zu Anekdote zu Insider. Nach Tag zwei hatte ich das Gefühl, mein altes Ich in Grundzügen wiederhergestellt zu haben und schlief gerade beruhigt auf der Couch unserer angemieteten Wochenendwohnung ein, als meine Freunde mich weckten, um noch tanzen zu gehen. Tanzen, nach Mitternacht, am anderen Ende der Stadt, auf einem Spielplatz für wild gewordene Erwachsene, mit abgeklebtem Handy, dazu Alkohol: Ich hatte vergessen, wie anstrengend es ist, sich hedonistisch und verantwortungslos zu verhalten.

Als ich sonntagabends glücklich und derangiert wie lange nicht nach Hause kam, erzählten mir mein sehr müder Freund und mein sehr waches Kind, was in meiner Abwesenheit passiert war. Die Salatschüssel war kaputt gegangen, und sie hatten die Erdmännchen im Tierpark Hellabrunn mit Hühnerfleisch gefüttert. Meine Tochter imitierte die zuckende Kopfbewegung eines zwischen Lethargie und Hyperaktivität pendelnden Erdmännchens, was mich an die aufgepeitschten Leute im Club erinnerte. Was ich dort erlebt hatte? Sorry, das ist im Vergleich einfach nur langweilig.

In dieser Kolumne schreiben Patrick Bauer und Friederike Zoe Grasshoff im Wechsel über ihren Alltag als Eltern. Alle bisher erschienen Folgen finden Sie hier