„No Way Home“ von T. C. Boyle: Das love bombing zündet nicht

Von allen medial leer genudelten Begriffen ist „toxisch“ der inhaltsärmste. Toxisch ist der fiese Chef, die dysfunktionale Beziehung und das politische Klima sowieso. T. C. Boyle will den Begriff noch einmal mit semantischer Kraft ausstatten und spielt ihn in der Dynamik einer Dreierkonstellation mit wechselnden Erzählperspektiven durch. Terrence, der überarbeitete Assistenzarzt aus L. A., lernt die bildhübsche Bethany kennen. Bethany ist nach ihrer Trennung von Jesse, einem bad boy mit Impulskontrollstörung, wohnungslos. Jesse will Bethany zurückhaben, aber jetzt steht ihm Terrence im Weg, dem seinerseits die Beziehung mit Bethany über den Kopf wächst, weil sie sich zwischen ihm und dem Ex nicht entscheiden kann.

Das Ganze beginnt als Amour fou mit allen klassischen Zutaten des neurotisch aus dem Ruder laufenden Datings: love bombing, das heißt die Überwältigung des romantischen Spielpartners mit Komplimenten und Avancen. Gaslighting: die Verwirrung der Partnerin, damit sie nicht herausfindet, was man für ein hinterhältiger Kerl ist. Benching: Der Partner wird auf der Ersatzbank geparkt und bei Bedarf für die nächste Runde aufs Feld zurückgeholt.

Wie in früheren Romanen unterfüttert Boyle seine Prosa mit politischer Diagnostik. Hier wäre das die Einsicht, dass erst die milieubedingte Prägung den Menschen giftig werden lässt. Bethany schuftet als Krankenschwester, Jesse als Highschool-Lehrer, Terrence wird als Arzt aufgerieben. Jeder hat einen Grund, den anderen auszubeuten: Rette mich vor mir selbst, vor Abstieg, vor der Einsamkeit. Das Ganze spielt sich vor der Folie einer Gesellschaft ab, die ihren Akteuren immer mehr Leistung zumutet und sie immer weniger entlohnt, auch die zwischenmenschlichen Erträge betreffend. Am Ende sind alle mit enttäuschten Gefühlen im Minus.

Das ist als These nicht schlecht, aber fast 400 Seiten hätte es für die Illustration dieses Befunds nicht gebraucht. Die Novellenform wäre passender gewesen, und Autoren wie Joyce Carol Oates, Richard Yates oder Raymond Carver hätten den Ornat von Nebenfiguren – eine verwirrte Obdachlose, ein auf Exkremente fixierter Exhibitionist, nervige Tanten mit lüsternen Liebhabern – einfach weggelassen. Aber anscheinend ist das der Trend: Großautoren (siehe Stephen King und seine beiden letzten verquatschten Romane, von Dan Brown ganz zu schweigen) werden mäßig oder gar nicht mehr lektoriert. Das merkt man auch am stilistischen Laisser-faire. „Ihr Gesicht war wie eine blasse Frucht“, „Ihre Wangen standen vor wie geballte Fäuste“ oder „die tiefen Brunnen ihrer Augen“ – das ist nicht mal rhetorisch verpatzt, sondern einfach Blödsinn. Faustartige Wangenknochen? Da staunt der Maskenbildner, und die Leser wundern sich. Und welche Früchte sind überhaupt blass? Litschis? Ihr Gesicht war wie eine Litschi, auch das ergibt keinen Sinn.

Seine literarische Kraft beweist Boyle beim Dialog. Die schnell hingesprochene Kränkung, die wachsende Agitation im Streit: Mit präzisem Strich skizziert er solche Momente und schärft damit das Profil einer Figur. Womöglich wäre No Way Home ein glänzendes Drehbuch geworden von unterhaltsamer Giftigkeit.

T. C. Boyle: No Way Home. Roman; a. d. Engl. v. Dirk van Gunsteren; Hanser, München 2025; 384 S., 28,– €