Der Winterwahlkampf wird Kraft kosten, doch Kleinparteien trifft er besonders hart. Wahlprogramme, Listenaufstellungen, Plakate: Wer bisher noch nicht mindestens in einem Landtag vertreten ist, für den ist es damit nicht getan. Zusätzlich zum organisatorischen Aufwand einer Wahl, der alle Parteien trifft, müssen Kleinparteien ihre politische Bedeutung erst noch unter Beweis stellen. Die vorgezogene Bundestagswahl bringt sie an den Rand ihrer Belastbarkeit.
„Parteien, die noch nicht etabliert sind, haben verschiedene
Schwierigkeiten: In der Regel haben sie kein oder nur wenig Personal und sind
daher auf ehrenamtlich Tätige angewiesen“, sagt Fabian Michl, Parteienrechtler
an der Universität Leipzig. Dazu kämen formelle Hürden, an denen kleine
Parteien regelmäßig scheiterten.
Erste Hürde: Beteiligungsanzeige
Anders als die etablierten Parteien, die einfach ihre
Wahllisten einreichen können, muss eine kleine Partei zunächst anzeigen, dass sie
sich an der Wahl beteiligen möchte. Der Bundeswahlausschuss prüft dann, ob sie
die rechtlichen Voraussetzungen erfüllt, um als Partei anerkannt zu werden.
Klingt banal, kann aber schiefgehen, wie die
letzte Bundestagswahl gezeigt hat: Insgesamt 87 Parteien und Vereinigungen
hatten damals angezeigt, bei der Bundestagswahl antreten zu wollen. Doch rund
die Hälfte wurde abgelehnt, darunter die Republikaner und das Bündnis für
Innovation und Gerechtigkeit (BIG). „Viele kleine Parteien scheitern schon an den
formalen Antragsvoraussetzungen, zum Beispiel weil sie ihre Satzung und ihr
Programm nicht fristgerecht eingereicht oder nicht richtig unterschrieben haben“,
sagt Fabian Michl. Anfang Januar wird die Bundeswahlleiterin bekannt geben,
welche Parteien bei dieser Wahl teilnehmen dürfen.
Wer diese erste Hürde überwunden hat, muss als
Nächstes seine Landes- und Wahlkreisvorschläge einreichen. Parteien steht es
dabei frei, in wie vielen Bundesländern sie antreten und wie viele Wahlkreiskandidierende
sie benennen. Die Kandidierenden müssen allerdings auf
Aufstellungsversammlungen formal korrekt gewählt und die Stimmberechtigten
fristgerecht geladen werden. Für ehrenamtlich organisierte Parteien kein
leichtes Unterfangen.
Die Kandidatenaufstellung ist für kleine Parteien
aber nicht nur wegen der einzuhaltenden Formalien herausfordernd. Vor allem hier macht ihnen regelmäßig ihr Personalproblem zu schaffen: In der Regel verfügen sie weder über etablierte Kandidierende noch über ausreichend
Nachwuchs in den Ortsverbänden, der nur darauf wartet, antreten zu dürfen.
Besonders schwierig sei es, Bewerberinnen und Bewerber für eine Wahlkreiskandidatur zu finden, sagt Parteienrechtler Michl. Viele wollten sich zwar politisch engagieren, scheuten aber
davor zurück, auf Wahlplakaten zu sehen zu sein. Doch genau das müssten auch kleine Parteien
leisten können: „Es ist gerade die Aufgabe von Parteien, ihre Mitglieder dazu
zu bringen, zu kandidieren“, sagt Michl.
Bei den meisten Parteien laufen die Versammlungen zur Kandidatenaufstellung aktuell
oder wurden bereits abgeschlossen. Die Kleinpartei Volt etwa hat kurzfristig umgeplant: „Unsere Aufstellungsparteitage waren eh für November,
Dezember und Januar geplant. Jetzt mussten sie eben alle im November
und Anfang Dezember stattfinden“, sagt Damian Boeselager, Europaabgeordneter und Bundestagskandidat
von Volt.
Tausende Unterschriften erforderlich
Die größte Herausforderung liege jedoch woanders,
erklären mehrere Kleinparteien auf Anfrage von ZEIT ONLINE. Um ihre
gesellschaftliche Bedeutung unter Beweis zu stellen, müssen Parteien, die
bisher weder im Bundestag noch im Landtag mit mindestens fünf Abgeordneten
vertreten sind, Unterschriften wahlberechtigter Bürger einsammeln: bis zu 2.000
Unterschriften pro Landesliste, wohlgemerkt handschriftlich und auf Papier. Bei
einem bundesweiten Wahlantritt sind mehr als 27.000 Unterschriften erforderlich.
Wer mit Wahlkreiskandidierenden ins Rennen gehen will, muss zusätzlich 200
Unterschriften pro Wahlkreis liefern.
Die Partei dieBasis gab an, aus
diesem Grund nur in 200 Wahlkreisen anzutreten statt, wie ursprünglich geplant,
in allen 299. Die Demokratische Allianz für Vielfalt und Aufbruch (Dava) hat nach langen Beratungen entschieden, sich ausschließlich in NRW zur Wahl zu stellen.
Viele hoffen noch, dass die Anzahl der
erforderlichen Unterschriften auf ein Viertel reduziert wird, wie es bei der
vergangenen Bundestagswahl der Fall war. In einem offenen Brief forderten
acht Kleinparteien Olaf Scholz (SPD), Nancy Faeser (SPD) und den gesamten
Bundestag auf, das Unterschriftenquorum abzusenken. „Diese Hürde in so
kurzer Zeit ist unzumutbar und widerspricht den Grundsätzen einer fairen
Demokratie“, begründeten sie ihr Verlangen. Die Ökologisch-Demokratische
Partei (ÖDP) hatte einen entsprechenden Eilantrag gestellt, ist damit aber vor dem Bundesverfassungsgericht gescheitert.
Dass es erneut zu einer Reduzierung der einzureichenden
Unterschriften kommt, ist jedoch unwahrscheinlich. Schließlich fand der
vergangene Wahlkampf während der Coronapandemie statt, die es erschwerte, in
Fußgängerzonen und an Haustüren mit Menschen in Kontakt zu treten und von einer
Unterschrift zu überzeugen. Aber die Bedenken der kleinen Parteien werden
durchaus gehört: So hat das Innenministerium per Verordnung (PDF) die im
Bundeswahlgesetz vorgesehenen Fristen zur Einreichung der Unterschriften
verlängert. Bis zum 20. Januar bleibt den Parteien nun Zeit.
Die Freien Wähler müssen sich um diese Formalien
keine Gedanken machen. Bei der vergangenen Bundestagswahl waren sie mit 2,4
Prozent die stärkste der „sonstigen“ Parteien. Da sie im bayerischen
Landtag sitzen, sind sie automatisch zur Bundestagswahl zugelassen. Auch das
BSW, das in mehreren Landtagen vertreten ist, muss keine Unterschriften
sammeln.
Wahlkampf mit begrenzten Ressourcen
Neben den Unterschriften sehen viele der Kleinparteien eine
zweite zentrale Herausforderung darin, innerhalb weniger Wochen einen Wahlkampf
auf die Beine stellen zu müssen – und das mit begrenzten finanziellen und
personellen Ressourcen. Kleine Parteien sind auch im Wahlkampf verstärkt auf ehrenamtliche
Mitarbeiter angewiesen, die Wahlplakate aufhängen und an Wahlständen Passanten
ansprechen. Und wer keinen Anspruch auf staatliche Parteienfinanzierung hat,
muss Spenden auftreiben, um Flyer und Plakate zu drucken. „Wir werten noch
unsere Landtagswahlergebnisse aus und entsorgen und sortieren Restplakate, da
sind wir bereits mit neuen Kandidatenaufstellungen bundesweit gefordert“,
sagt Steffen Große, Bundesvorsitzender der rechten Kleinpartei Bündnis
Deutschland (BD).
Schwierig wird es außerdem, auch als kleine Partei Aufmerksamkeit zu bekommen. „Der
Hahnenkampf zwischen Scholz, Merz, Lindner und Habeck wird jeden Tag in
irgendwelchen Talkshows ausgetragen“, beklagt Damian Boeselager von Volt. Dass seine Partei so wenig Sendezeit
erhalte, sei ein großer Nachteil. Er hofft, noch bei
Maischberger und Co. eingeladen zu werden, und setzt ansonsten auf eine starke Präsenz auf Social Media.
Viele der Kleinparteien gehen ohnehin nicht davon aus, in
den Bundestag einziehen zu können. Für die meisten liegt die Fünf-Prozent-Hürde in unerreichbarer Ferne. Doch daneben gibt es eine zweite magische Grenze, die viele
Kleinparteien durchstoßen wollen: Denn wer 0,5 Prozent der Stimmen bei der
Bundestagswahl erhält, kommt zumindest in den Genuss der staatlichen
Parteienfinanzierung. Und damit in eine bessere Ausgangslage bei der folgenden Bundestagswahl.