
Endlich zwitschern draußen wieder die Vögel, die Temperaturen werden wärmer. Vielleicht stellt der Italiener um die Ecke mittags schon ein paar Tische für den Freisitz raus. Auf jeden Fall kitzeln die ersten warmen Sonnenstrahlen auch dieses Gefühl der Vorfreude heraus: Auf frisches Obst und Gemüse, leckeres Essen und auf den Sommerurlaub in Italien. Genau das ist die Stimmung, die „Splendido – Primavera Estate“ einfängt, das neue Kochbuch von Mercedes Lauenstein und Juri Gottschall. Die beiden pendeln seit Jahren zwischen München und Italien und sind fasziniert von der italienischen Lebensart und natürlich der italienischen Küche. 2018 haben sie das kulinarische Internetmagazin Splendido gegründet. Die Website ist mittlerweile zu einer kleinen Enzyklopädie der italienischen Küche gewachsen, bietet in schickem Design Produktkunde, Texte über regionale Besonderheiten, Portraits und – natürlich – Rezepte. Nur eine Frage der Zeit, bis da ein Verlag zum Kochbuchmachen anklopft. 2022 erschien das erste Splendido-Kochbuch, prompt mit dem deutschen Kochbuchpreis ausgezeichnet, genauso wie das zweite.
„Primavera Estate“ ist nun das dritte Kochbuch, dass die beiden zusammen machen. Es beschäftigt sich ausschließlich mit Frühlings- und Sommerküche. (Ein Herbst- und Winterkochbuch ist für September geplant.) 71 Rezepte aus Frühling und Sommer haben die beiden Autoren zusammengetragen, von unterschätzten Klassikern wie den Spaghetti alla Carretiera (mit Pecorino und Semmelbröseln), ganz und gar nicht unterschätzten Klassikern wie Spargelrisotto und der Crème Brulée nel Limone (natürlich serviert in der halbierten Zitrone) bis hin zu Feiertagsfestmahlen wie Lamm mit Artischocken oder Osterbrot mit Honig und Salbei. Es gibt aber auch Unerwartetes zu entdecken: Diverse Rezepte mit Mönchsbart etwa, einem Kraut, dessen Konsistenz an Algen erinnert und das geschmacklich auch etwas Meer mit sich bringt. Lauenstein und Gottschall servieren ihn mit Salsiccia oder als Pastagericht mit Guanciale. Jenseits dieses Krauts hält sich „Splendido – Primavera Estate“ mit exotischen Zutaten aber zurück. Das meiste kann man im Supermarkt kaufen oder – wer Wert darauf legt – im italienischen Feinkostgeschäft. Das Duo Lauenstein/Gottschall löst auch in diesem Buch das Versprechen einer einfachen italienischen Küche ein.
Einfach ist auch die Gestaltung: die Rezepte sind klar und übersichtlich aufgeführt, das Food-Styling ist schlicht, elegant und vermittelt einen guten Eindruck von den Gerichten. Einzig Mengenangaben bei den Zutaten wären wünschenswert, für all jene, die nicht so häufig selbst am Herd stehen. Aber denen erteilen Gottschall und Lauenstein schon im Vorwort eine Absage. Die Rezepte sollen eine Ermunterung zum Kochen nach „Neugier, persönlichem Geschmack und Gefühl“ sein, „statt nach peniblen grammgenauen Mengenangaben“. Sicherlich ein ehrenwerter Ansatz, aber für ungeübte Köche dann doch immer gar nicht so leicht, sich ohne Mengenangaben durchzuschlagen.
Allerdings ist „Splendido – Primavera Estate“ mit seiner Rezeptauswahl auch eher was für Köche auf der Suche nach den „Deep Cuts“. Ein paar Klassiker findet man zwar, aber vor allem erkunden die beiden Autoren die italienische Alltagsküche jenseits dessen, was man eh schon vom Italiener um die Ecke kennt. Sie präsentieren Feiertagsrezepte oder entdecken hierzulande eher unbekannte, aber doch gut erhältliche italienische Zutaten. Hier kommen Frigitelli genannte, kleine grüne Paprikaschoten zu ihren Ehren (gefüllt mit Ricotta) oder Farro (deutsch: Emmer), eine Getreidesorte, die schon zu Zeiten der alten Römer gegessen wurde und die als sehr gesund gilt. Wer eher erst mal ein Kochbuch mit Pastaklassikern und Risottorezepten braucht, ist hier falsch – „Splendido – Primavera Estate“ ist schon eher eine Tiefenbohrung in die italienische Küche.

Das luftige Layout bietet an vielen Stellen Raum für eigene Notizen (wenn man die selbst erprobten Mengenangaben hinzufügen will), und Juri Gottschalls Fotos beschwören ein frühlingshaftes Gefühl herauf, wie sonst kaum ein Kochbuch. Mit ihren klaren Linien und den Bild-im-Bild-Arrangements erinnern sie immer wieder an die Fotos des 1992 verstorbenen italienischen Fotografen Luigi Ghirri. Der hat wunderbar doppelbödige Aufnahmen solcher Urlaubsgegenden wie Apulien eingefangen und ist erst in den vergangenen Jahren wiederentdeckt worden, nachdem der britische Kunstbuchverlag Mack einige seiner Fotobände neu aufgelegt hat. Ghirris oft streng geometrisch gestaltete Fotos zeigen paradiesische Orte in Italien, meist still und menschenleer, aber immer atmosphärisch und manchmal auch mit einer feinen Ironie. Zu seinen Fans gehört unter anderem der Fotograf und Schriftsteller Teju Cole, der Ghirri mit seinem Band „Fernweh“ eine Hommage gewidmet hat. Aber, Moment, wie sind wir jetzt eigentlich hier hingekommen? – Ah ja, „Fernweh“, Italien… Das Auge isst mit, und „Splendido – Primavera Estate“ ist als Kochbuch schon ein besonderer Augenschmaus. Vor allem ist es dazu da, den Blick zu weiten und Neues und Überraschendes zu entdecken. Das gelingt hervorragend, macht beim Durchblättern wie beim Kochen großen Spaß und – das Wichtigste – es schmeckt.