Neues Album von TWÏNS: Retro-glitzernde Analogutopien bauen

Berlin taz | Klänge wie aufblühende fleischige Blumen, wie das Klappern verrosteter Fahrzeuge, wie kleine zirpende Vögel, das Kinn entlangrinnender Pfirsichsaft und staubige Gefühle in den Nasenlöchern mischen sich auf Miro Dencks alias TWÏNS neuer LP zu „Healing Dreams“ – heilsamen Träumen.

Als hätte der Solo-Musiker den wechselhaften Sommer vorausgeahnt tröpfeln, rinnen und pochen, seiern, nölen und glitzern die Töne auf dem Album wie die dicken, dampfigen Regentropfen, die in diesen Wochen so häufig an den Fensterscheiben in Richtung Asphalt gleiten und auf ihm vor Hitze sofort verdunsten.

Es ist das zweite Album des 1990 in Düsseldorf geborenen und in Würzburg aufgewachsenen musikalischen Autodidakten, welches wie schon der Vorgänger „The Human Jazz“ beim in Birmingham, Alabama gegründeten Label Earth Libraries erschien.

Exzentrisch, nostalgisch, futuristisch

Ein „Kollektiv von Exzentrikern, die gemeinsam daran arbeiten, gleichzeitig in die analoge Vergangenheit und die avantgardistische Zukunft vorzudringen.“ Die Selbstbeschreibung des Labels ordnet sein Programm so treffend ein, dass es auch eins zu eins für TWÏNS Musik stehen kann.

Das Album

TWÏNS: „Healing Dreams“ (Earth Libraries/ Red Eye)

Nur, dass das Kollektiv der Exzentriker im Fall von „Healing Dreams“ von Denck selbst gebildet wird: der Multiinstrumentalist hat die meisten Instrumente des Albums selbst eingespielt, aufgenommen und produziert.

Herausgekommen ist eine psychedelisch-softe Zeitreise in die utopischen Fantasien der 1970er Jahre. Die Songs erinnern an George Harrisons beste Experimental-Momente, an die dumpfen Percussions wie in Dr. Johns „I Walk on Gilded Splinters“ oder Black Sabbaths „Planet Caravan“, an die langsamen, aufgebauten, verzerrten Gitarren und ploppigen Bässe à la Eddie Harris („I Don’t Want Nobody“).

Doch auch Zeitgenössisches wird hervorgerufen. So könnte der Anfang von TWÏNS „Earth Piece“ auch von José Gonzalez Band Junip stammen.

Äthiopische und brasilianische Einsprengsel

Auf dem gesamten Album unüberhörbar sind die Einsprengsel äthiopischer Strömungen und eine große Portion brasilianischer Tropicalismo. Besonders deutlich wird dieser beim letzten Song: einer Coverversion von „Oriente“, das im Original entweder von Cheo Marquetti or Lupe Yolí geschrieben wurde und unter anderem prominent von Henry Fiol interpretiert wurde.

Beim bekannten Schlussstück, doch auch bei einigen anderen Songs lud Denck sich zu den Aufnahmen weiter Mu­si­ke­r:in­nen ein – „The Expanding Cosmos“, wie er diese lose Gruppe nennt, die ihn auch auf Live-Konzerten begleiten.

Besonders prominent ertönt auf der LP immer wieder die hohlsäuselnde Querflöte von Martha Rose, deren ebenso dumpfe doch elegante Stimme auch im Stück „Marisma“ zu hören ist, dass sie gemeinsam mit Denck schrieb und einen mühelos an einen bewölkten, menschleeren Strand katapultiert.

Eine ähnliche Wirkung wie sie auch das im Duett gesungene und mit Sängerin Sarah Martin zusammen komponierte Stück „Love, third Variation“ hat, deren Stimme auch immer wieder im Hintergrund auf dem gesamten Album auftaucht. Charmant treten dabei leicht absaufende Gitarrenklänge hervor, kratzen vorsichtig an der Kante einer exzellenten Disharmonie, in deren analoger Nostalgie tatsächlich das avantgardistische Moment des Albums entsteht.

Experimentelle Percussion

Die Unperfektheit des Handgemachten lungert in jeder Note von „Healing Dreams“. Denck hat sich alle Instrumente selbst beigebracht, das ist beeindruckend, von der Vielfalt der analogen Soundproduktion ganz abgesehen. Die Songs sind dicht gewebt mit Liebe zur experimentellen Percussion.

Damit stemmen sich die verträumten Klänge mutig einer Industrie entgegen, die von aalglatten digitalen Sounds, millionenstarken Produktionen und von Algorithmen abgeschliffenen kommerziellen Ideen geprägt ist wie nie zuvor. Das ist tatsächlich Balsam für die Ohren. Und die perfekte-imperfekte Begleitung für so ziemlich alles, was man diesen Sommer noch machen kann.