Neues Album von Nina Chuba: Pippi Langstrumpf auf Microdose – Kultur

Man könnte sich vorstellen, wie die Sängerin Nina Chuba auf einer riesigen, türkisfarbenen Giraffe in die Szenerie einreitet. Sie könnte fette Eisenträger zu Fingerschmuck biegen. Würde in irgendeiner grauen Stadt, die wohl Berlin sein soll, Lichterketten um die Hochhäuser wickeln oder, mit Brauseschock-Kaugummis in der Backe, Juwelendiebe über Dächer jagen. Und so, ganz aus Versehen, Amazons James-Bond-Problem lösen.

Man wäre auch nicht verwundert, wenn sie fliegen würde wie eine Marvel-Heldin. Davon hat sie ja 2022 in „Wildberry Lillet“ gesungen, diesem Manifest für einen nicht auf Macht, sondern Genuss ausgerichteten Kapitalismus. Diesem letzten großen deutschen Wohlfühlhit: „Ich hab’ Hunger, also nehm’ ich mir alles vom Buffet.“

Aber nein. Stattdessen hat Nina Chuba, 26, eigentlich Nina Katrin Kaiser aus Schleswig-Holstein, den Rasenmäher genommen und die Gartenarbeit erledigt. „Ich lieb mich, ich lieb mich nicht“ heißt ihr neues, zweites Musikalbum, und auf dem Cover sieht man, wie sie die Wiese frisiert hat: als Lach-Emoji aus Gras und Gestrüpp. Der Rasen strahlt gen Himmel, Chuba guckt eher beleidigt. Die Welt könnte so schön sein. Wenn sie nicht so doof wäre.

Nina Chuba, Gärtnerin.
Nina Chuba, Gärtnerin. (Foto: Jakob Marwein)

Dass Nina Chuba – mit ihrer Musik, ihren Tiktok-Filmen und ihrer mangafigurenhaften Komplettpräsenz – vor allem die ganz Jungen anspricht, darauf weist sie hier selbst hin, im ersten, anderthalb Jahre alten Song des Albums: „Wenn’s Viva noch geben würde, würd’ Nina bei Viva sein“, singt sie im Dachparty-Dancehall-Stück „Nina“. „Überrasch’ meine treu’sten Fans und rolle in die Kitas rein.“

Die anekdotische Evidenz beweist es vielfach: Kinder rasten aus, wenn Nina kommt, was den Eltern freilich viel lieber ist, als zum hundertfünfzigsten Mal „Die Eule mit der Beule“ hören zu müssen. Es gehört auch bei „Ich lieb mich, ich lieb mich nicht“ spürbar zum Konzept. Abgesehen vom neckischen Verweis auf ein fehlendes Höschen und ein paar milde Drogenreferenzen ist dies ein jugendfreies Album.

Wie erfrischend wirkte es da, als Nina Chuba vor Kurzem mal richtig auf den Bratklops haute. Im „Rage Girl“-Video ließ sie das Auto Donuts drehen, hängte sich aus dem Fenster und sang die Aggro-Zeile: „Der nächste Typ, der’s besser weiß, kriegt direkt auf die Fresse.“ Wie einen komplettfemininen Suicide Squad scharte sie alle Girls der Stunde um sich, von Kayla Shyx bis Eli Preiss. Und jagte zum Schluss gemeinsam mit ihnen das halbe Industriegebiet in die Luft.

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Daraus hätte eine interessante, ausbaufähige Diversifizierung ihrer Pippi-Langstrumpf-auf-Microdose-Persona werden können. Aber nach „Rage Girl“ kommt auf dem Album nun mal „Überdosis“, eine Bubble-Tea-betrunkene Yacht-Rock-Miniatur, in der es nicht um Heroin geht, sondern um die unvernünftige Liebe zu einem Schlingel. Und dann noch das als Holzgitarren-Elegie beginnende „Unsicher“, in dem die Erzählerin um Verständnis für ihre Selbstzweifel bittet: „Ich bin noch nicht so gut da drin, ich leb’ grade zum ersten Mal.“ Hätte Chuba nicht bestätigt, dass der Songtext von ihr ist, würde man schwören, die Zeile hätte sich ein bärtiger WDR-Jugendprogrammautor aus den 80er-Jahren ausgedacht.

Man will das jetzt nicht überinterpretieren, aber: „Ich lieb mich, ich lieb mich nicht“ klingt auch ansonsten immer mal wieder so. Im Vergleich zur Unmittelbarkeit, mit der Chuba in ihren besten Momenten erzählt, wirkt vieles diesmal meta-distanziert, als würden Erwachsene sich ausdenken, wie junge Leute denken und fühlen. Oder als würden Leute unter 30 voll Wehmut eine Jugend bilanzieren, in der sie doch eigentlich noch stecken. Wie sie „isch“ singen, wenn sie im alltäglichen Gespräch „ich“ sagen würden.

Man wünschte sich eine Spur mehr Ambition und Liebe zum großen Gedanken

Als Prominente hat Nina Chuba die Landschaft enorm bereichert, seit sie von der Kinderschauspielerin zum Popstar geworden ist. Sie bürgt fürs Rundumprogramm, unterhält 1,2 Millionen bei Tiktok, podcastet lustig, synchronisiert Tiere in Animationsfilmen. Joko und Klaas können überglücklich auf sie zugreifen, wenn sie eine nette Showkandidatin brauchen. Oder ein Versuchskaninchen, das für die versteckte Kamera im ICE Zwiebeln brät oder sich als Comedian blamiert.

Anlässlich des neuen Albums gibt es Nina Chuba sogar als Ravensburger-Puzzle, das ist konsequent. Man würde sich allerhöchstens wünschen, dass die Musik – die für sie ja keine Kerndisziplin mehr ist – mit einer Spur der Ambition und Liebe zum großen Gedanken verfasst werden würde, die im meisten anderen steckt, das sie tut. Denn wenn die 19 Songs vorbei sind, nach atemberaubenden 47 Minuten, ist außer den zitierten Höhepunkten wirklich gar nichts hängen geblieben. Es fehlen die tollen Refrains. Die Beats, die nach mehr als Zuckerwattebude und Autopilot klingen.

Dabei könnte es so einfach sein. Lasst Nina Chuba halt, in Gottes Namen, James Bond werden oder das Mädchen, das aus dem „The Ring“-Brunnen kriecht. Vielleicht lernen wir dann mal etwas, das radikaler ist als alles, was Tic Tac Toe oder LaFee je sangen, als es Viva tatsächlich noch gab. Vielleicht dient es der großen, öffentlichen Isch-Findung.