Neuer Mozilla-Chef: „Wir müssen es mit Big Tech aufnehmen“

Herr Enzor-DeMeo, in den Browsermarkt kommt derzeit reichlich Bewegung. KI-Unternehmen wie Open AI und Perplexity bringen ihre eigenen Browser heraus. Was bedeutet das für Mozilla und seinen Firefox-Browser?

Das stimmt, an Browsern gibt es im Moment enormes Interesse, nachdem sich zuvor zehn bis fünfzehn Jahre kaum etwas in dem Markt getan hat. Ich halte Wettbewerb für eine gute Sache, und Mozilla verfolgt einen anderen Ansatz als andere Anbieter. Wir entwickeln zum Beispiel keine eigenen Sprachmodelle. Wir gehören einer nicht gewinnorientierten Stiftung und haben keine hohen Milliardensummen zur Verfügung wie einige Wettbewerber. Aber ich halte es für einen strategischen Vorteil, ein kleiner und unabhängiger Anbieter zu sein. Das zwingt uns, uns darauf auszurichten, was die Nutzer wirklich wollen. Manche wollen KI nicht oder nur in bestimmten Fällen verwenden. Deswegen wollen wir ihnen zum Beispiel erlauben, KI-Funktionen im Firefox-Browser einzuschalten und auszuschalten.

Manche Ihrer Nutzer haben Ihnen also gesagt, dass sie keine KI-Funktionen wollen?

Ja, wir haben entsprechende Umfragen gemacht. Zwölf Prozent der Befragten haben gesagt, sie wollen KI grundsätzlich nicht nutzen, und 40 Prozent nicht im Browser. 60 Prozent haben angegeben, sie machten sich Sorgen um ihre Privatsphäre bei der Nutzung von KI-Angeboten.

Woher kommt denn das plötzliche Interesse am Browsermarkt?

Als Tor zum Internet sind Browser natürlich sehr wichtig. KI hat auf einmal die Art und Weise der Interaktion mit dem Internet verändert, und das hat neue Chancen eröffnet, die bisherigen Browser herauszufordern.

Mozilla hat einst mit dem Firefox erfolgreich den Internet Explorer von Microsoft herausgefordert, wurde dann aber von Googles Chrome-Browser überholt und ist weit zurückgefallen. Was ist schiefgelaufen?

Wenn man sich heute einen Computer kauft, gibt es eine Standardeinstellung für den Browser, ob Chrome von Google, Edge von Microsoft oder Safari von Apple. Nutzer müssen sich also aktiv für uns entscheiden. Außerdem verbinden diese Anbieter ihre Browser auch mit dem Rest ihres Ökosystems. Bestimmte Google-Programme funktionieren in Chrome zum Beispiel anders als in anderen Browsern. Das ist eine Herausforderung für alle Anbieter unabhängiger Browser. Aber lassen Sie mich auch ein paar positive Dinge hervorheben: Wir haben mit dem Firefox 200 Millionen monatliche Nutzer, am Tag sind es mehr als 50 Millionen auf Desktops und rund 14 Millionen auf mobilen Geräten wie Smartphones. Auf mobilen Geräten wachsen wir, in den vergangenen zwölf Monaten gab es ein Plus von 13 Prozent. Auf dem Desktop stabilisieren wir uns und haben die Abwanderungsraten reduziert. Über alle Plattformen hinweg haben wir zuletzt im Jahresvergleich noch zwischen 600.000 und 700.000 Nutzer verloren. Ich sehe es als meine Aufgabe als Vorstandschef, den Firefox wieder auf Wachstumskurs zurückzubringen.

Und das trauen Sie sich zu, obwohl neue und gut finanzierte Wettbewerber wie Open AI auf den Markt drängen?

Das ist nicht anders als mit Google und Microsoft. Wir mussten uns schon immer mit großen Konkurrenten auseinandersetzen, die höhere Budgets haben als wir. Wir verstehen, dass unsere Nutzerbasis etwas Anderes will, und entsprechend differenzieren wir uns. Wir sind zum Beispiel nicht dazu gezwungen, ein bestimmtes KI-Modell bevorzugt zu behandeln. Auch der Digital Markets Act in der EU, der vorschreibt, Nutzern Auswahlseiten für Browser zu zeigen, hilft uns. Vielen Menschen ist gar nicht klar, dass sie andere Browser auf ihren Geräten herunterladen können. Wir versuchen auch, den Firefox mit innovativen Angeboten auszustatten. Zum Beispiel einer Funktion auf iPhones, die es erlaubt, Internetseiten zusammenzufassen, wenn man das Gerät schüttelt.

Der weit überwiegende Teil Ihres Umsatzes kommt heute von Google – als Gegenleistung dafür, dass Googles Suchmaschine als Standard im Firefox-Browser eingestellt ist. In einem Kartellstreit zwischen Google und der US-Regierung stand zur Diskussion, dass solche Vereinbarungen unterbunden werden, kürzlich hat ein Richter aber dagegen entschieden. Wie schlimm wäre es für Mozilla gewesen, wenn es anders ausgegangen wäre?

Mozilla würde anders aussehen, da muss man ehrlich sein. Der Richter hat verstanden, dass Wettbewerb in der Internetsuche nicht auf Kosten von Wettbewerb im Browsermarkt gehen sollte, und darüber sind wir froh.

Anthony Enzor-DeMeo ist der neue Vorstandsvorsitzende der Mozilla Corporation.
Anthony Enzor-DeMeo ist der neue Vorstandsvorsitzende der Mozilla Corporation.Mozilla

Würden Sie sagen, in dem Verfahren stand Mozillas Existenz auf dem Spiel?

Die Mission von Mozilla würde ohne Zweifel trotzdem fortbestehen. Aber natürlich hätte sich die Ausgangslage erheblich geändert.

Mozilla hat es zum Ziel erklärt, sein Geschäft „radikal zu diversifizieren“. Konkret soll das heißen, den Umsatz, der nicht auf die Suchallianz mit Google zurückgeht, um jährlich 20 Prozent zu steigern und mindestens drei Geschäfte mit einem Jahresumsatz von 25 Millionen Dollar aufzubauen. Wie weit sind Sie auf diesem Weg?

Wir machen Fortschritte. Unser Geschäft mit Werbung zum Beispiel ist in diesem Jahr um 14 Prozent gewachsen. Wir überlegen uns auch andere Initiativen, die nahe an unserem Browser liegen. Beispielsweise wollen wir im nächsten Jahr unser schon existierendes VPN-Angebot für sichere und verschlüsselte Internetverbindungen direkt in den Browser integrieren. Diversifizierung geschieht aber nicht über Nacht, und wir wollen auch nichts überstürzen. Wir legen großen Wert darauf, unseren Werten treu zu bleiben.

Was heißt das konkret? Wo treten Sie auf die Bremse?

Wir hätten zum Beispiel unser Werbegeschäft viel schneller hochfahren können. Wir erlauben Werbeblocker in unserem Browser, und wenn wir das nicht täten, könnten wir locker 150 Millionen Dollar mehr Umsatz im Jahr machen. Wir machen das, weil unsere Nutzer es wollen. Unsere Struktur mit einer nicht gewinnorientierten Organisation als Eigentümerin erlaubt es mir, auf Umsätze zu verzichten, wenn das im besten Interesse unserer Nutzer ist.

Inwiefern wollen Sie als neuer Vorstandschef andere Akzente setzen als Ihre Vorgängerin?

Ich habe keinen radikalen Kurswechsel im Sinn, sondern stelle mir eine Evolution vor. Laura hat zusätzliche Disziplin im operativen Geschäft ins Unternehmen gebracht und die Diversifizierung vorangetrieben. Mein Ziel ist es, Mozilla zum vertrauenswürdigsten Softwareunternehmen der Welt zu machen. Die Menschen brauchen mehr denn je ein Softwareunternehmen, dem sie vertrauen können.

Sie sind also der Meinung, einem großen Teil der Branche wird heute nicht vertraut? Warum ist das so?

Ich will nicht über andere Unternehmen sprechen, aber ich sage Ihnen, worum es uns geht: Nutzer müssen die Kontrolle haben. Das heißt zum Beispiel, wir müssen ihnen die Möglichkeit geben, per Opt-in zu entscheiden, ob sie Angebote in Anspruch nehmen wollen. Und wir müssen transparent offenlegen, wie wir Geld verdienen, zum Beispiel in unserem Werbegeschäft. Anzeigen existieren nun einmal, sie machen das Internet offen und oft umsonst. Sie sind also nicht von Natur aus ein Feind.

Ihr Verhältnis zu Google ist gespalten: Google ist einerseits Ihre größte Einnahmequelle, wird aber auch oft von Ihnen kritisiert. Wie lässt sich das für Sie vereinbaren?

Wir haben 2014 einmal die Standardeinstellung von Google mit Yahoo ersetzt, aber unsere Nutzer haben trotzdem Google verwendet, also sind wir zu Google zurückgekehrt. Google ist heute die beste Suchmaschine, deswegen ist es unsere Standardeinstellung. Das heißt nicht, dass wir mit allem übereinstimmen müssen, was Google sagt. Und wir haben oft über unsere Meinungsverschiedenheiten mit Google und anderen großen Techkonzernen gesprochen. Ich hoffe allerdings auch, dass KI für viel mehr Wettbewerb sorgt.

Wobei es auch die Sorge gibt, dass die Techgiganten in der KI-Ära ihre Macht weiter zementieren.

Im KI-Geschäft gibt es mehr als einen Anbieter, der Fortschritte macht. Im Markt für Internetsuche gilt das außer Google für niemanden. Aber es stimmt schon: Viele KI-Unternehmen gehören schon zu „Big Tech“. Deswegen halten wir auch KI-Modelle für wichtig, die „Open Source“ sind, also frei zugänglich für die Allgemeinheit. Wir meinen, das kann dem Wettbewerb helfen.

Was ist die größte Herausforderung, die Ihre Struktur mit einer nicht gewinnorientierten Organisation als Eigentümerin mit sich bringt? Geld oder andere Dinge?

Es ist nicht das Geld. Unsere Teams überlegen sich jeden Tag, ob das, was wir tun, gut für das Geschäft und auch für die Nutzer ist. Das ist ein Spannungsfeld, und wir nehmen das sehr ernst. Wir denken über Dinge nach, über die andere Unternehmen nicht nachdenken müssen.

Wie stellen Sie sich als frisch gekürter Vorstandschef die Zukunft von Mozilla in fünf oder zehn Jahren vor?

Mir liegt am Herzen, dass Mozilla fortwährend einen Einfluss auf das Internet und speziell auf KI hat. Und es ist mir sehr wichtig, Firefox zurück auf Wachstumskurs zu bringen. Wir sind da schon nahe dran, obwohl ich die Herausforderung nicht unterschätze. Wir müssen es mit Big Tech aufnehmen, aber wir sind fest entschlossen, das zu schaffen.

Trotz aller Anstrengungen, sich zu diversifizieren, bleibt also der Firefox eine zentrale Säule Ihrer Strategie?

Ja. Mein Hauptaugenmerk ist es weiterhin, den besten Browser zu bauen.

Neue Führung für Mozilla

Die Mozilla-Gruppe hat einen Führungswechsel angekündigt: Anthony Enzor-DeMeo übernimmt den Vorstandsvorsitz ihres kommerziellen Arms, der Mozilla Corporation. Er löst Laura Chambers ab, die den Posten seit Februar 2024 kommissarisch innehatte. Mozilla hat eine ungewöhnliche Struktur. Die Mozilla Corporation, die Enzor-DeMeo fortan führt, gehört einer nicht gewinnorientierten Stiftung, der Mozilla Foundation. Das bekannteste Produkt von Mozilla ist der Firefox-Browser. Er kam 2004 heraus und wurde innerhalb kurzer Zeit zu einem ernsthaften Wettbewerber des damals marktführenden Internet Explorer von Microsoft.

In der jüngeren Vergangenheit hat er aber an Boden verloren, die Marktforschungsgruppe Statcounter bezifferte seinen Marktanteil zuletzt auf etwas mehr als zwei Prozent. Klarer Marktführer ist heute Chrome von Google. Der Firefox-Browser bleibt aber bis heute die wichtigste Einnahmequelle von Mozilla. Der überwiegende Teil des Umsatzes kommt von Google. Der Internetkonzern bezahlt Mozilla dafür, dass seine Suchmaschine als Standard im Firefox-Browser eingestellt ist. Mozilla hat außerdem ein Werbegeschäft aufgebaut und bekommt auch Spenden. Nach zuletzt verfügbaren Zahlen lag der Umsatz 2023 bei 653 Millionen Dollar.