
Tennis ist ein unerbittlicher Sport. Jede Spielerin und jeder Spieler ist auf dem Platz auf sich allein gestellt, sieht sich den Schlägen und Winkelzügen des Gegenübers ebenso ausgesetzt wie dem eigenen Körper und Geist. Bei jedem Ballwechsel und in den Verschnaufpausen gilt, sich nicht unterkriegen zu lassen von abwegigen Gedanken, sondern die Konzentration zu halten und taktisch auf der Höhe zu bleiben. Gerät ein Gedankenkarussell erst einmal in Gang, ist es kaum noch zu stoppen. Es sei denn, es kommt Hilfe von außen.
Jahrzehntelang war es Betreuern untersagt, hibbeligen Profis während eines Matches mit Rat und Tat beizustehen. Ein aufmunterndes Händeklatschen, eine gereckte Faust oder Rufe wie „Come on“ wurden vom Schiedsrichter geduldet. Aber sobald jemand in der Spielerbox zu tuscheln anfing oder verdächtige Handzeichen machte, schritt der Stuhlschiedsrichter ein.
Nach Herzenslust Tipps geben
Daraus entwickelte sich eine Art Hase-und-Igel-Wettstreit: Referees blickten ständig argwöhnisch von hier nach dort, doch da hatten die Spieler und ihre Trainer ihren Austausch längst hinter sich. Mit diesen Spielchen ist seit 1. Januar 2025 Schluss und das „Off-Court-Coaching“ erlaubt.
Das heißt: Trainer dürfen fortan während des Matches nach Herzenslust Tipps geben – solange sie es zwischen den Ballwechseln „kurz und diskret“ machen, bei Seitenwechseln und Satzpausen auch gerne ausführlicher. Mit dieser Änderung der Tennisregel 30 hat der Weltverband ITF nicht nur mit einer Tradition gebrochen, sondern Profis mit einer Neigung zu Nervenflattern oder zerstörerischen Selbstzweifeln auch etwas Gutes getan.
Doch nicht einmal dieses Reförmchen ist ohne Aufschrei zu haben. Empört haben sich die Erzkonservativen unter den Spielern, die ihren Lieblingssport für verraten halten und für verkauft an Memmen und Mimosen, die auf dem Platz alleine kaum zurechtkommen. „Können wir bitte aufhören, den mentalen und strategischen Aspekt beim eins gegen eins zu ruinieren“, wetterte der US-amerikanische Top-Ten-Spieler Taylor Fritz auf der Plattform X.
Sein kanadischer Kollege Denis Shapolavov schrieb auf X, ihn mache die Regeleinführung „traurig“, weil er „die Schönheit dieses Spiels“ gefährdet sehe: „Tennis ist so besonders, weil du alleine da draußen bist.“ Shapovalov gehört übrigens zu jenen Heißspornen, die ihr Racket mitunter von sich werfen oder sich damit prügeln.
„Gecoacht wurde von außen schon immer“
Die Aufregung ist etwas künstlich, weil die Weichen für die Regeländerung schon 2017 gestellt wurden. Seither war auf der Profitour in immer größerem Umfang getestet worden, ob das Off-Court-Coaching dem Spiel dient oder nicht.
Fritz, Shapovalov und Co. hätten längst ihr Mütchen kühlen und erkennen können, dass der Leitgedanke hinter der Regeländerung ist, Spieler, Trainer und Schiedsrichter zu entlasten. Die Einschätzungen der drei Gruppen seien in der Testphase positiv gewesen, teilte die ITF mit. Die Lizenz zum Off-Court-Coaching sei dazu angetan, „Tennis fairer und womöglich unterhaltsamer zu machen“.
Wahrscheinlicher ist, dass viel Lärm um nichts herrscht und vieles beim Alten bleibt. „Gecoacht wurde von außen schon immer“, sagte Angelique Kerber, die im vergangenen Sommer ihre Profilaufbahn beendete, der F.A.Z. Zeit ihrer Karriere habe sie sich erlaubt, ein paar Worte oder Gesten mit ihrem in der Box sitzenden Trainern auszutauschen. Eine Taktikzeichensprache, so die dreimalige Grand-Slam-Turniersiegerin, hätten sie aber nie verabredet. „Wenn ich Kommandos bekommen habe, dann waren das eher Anfeuerungen, Motivation: ‚Aggressiv jetzt!‘, ‚Geh drauf!‘“
Womit wir beim zweiten Punkt wären, der den Fortschritt etwas kleiner erscheinen lässt: Viele Spieler sind während eines Matches überhaupt nicht in der Lage, Hinweise aufzunehmen. Nicht alle Aktiven gehen damit so offen um wie die 18 Jahre alte Mirra Andrejewa, die unbekümmert behauptet, dass sie die Anweisungen ihrer Trainerin im nächsten Moment schon wieder vergessen habe. Aber auch Kerber gibt im Nachhinein zu, dass sie den Einfluss von Einflüsterungen „für begrenzt“ halte: „Man hat noch einen Ballwechsel im Kopf und das Gesagte schon wieder vergessen.“
„Die hören mich überhaupt nicht“
Tennisprofis bleibe oft gar keine Zeit, um Hinweise zu verarbeiten, weiß Dominik Meffert, der an der Sporthochschule Köln lehrt und Doppel-Weltmeister Tim Pütz sowie dessen Partner Kevin Krawietz coacht. „Der Spieler muss selbst Entscheidungen treffen und darauf reagieren, was der Gegner macht. Es ist schwierig, augenblicklich Kontrolle abzugeben und sich von außen bestimmen lassen.“
Dass Coaches wie Meffert oft nicht zu Spielern durchdringen, hat auch andere Gründe. Wie im vergangenen September, als Krawietz/Pütz vor Tausenden Zuschauern im größten Tennisstadion der Welt spielten. „Beim US-Open-Finale kann ich schreien, wie ich will, die hören mich überhaupt nicht“, sagte Meffert der F.A.Z.
Dass es bei der Umsetzung hapern kann, spricht nicht gegen das Off-Court-Coaching. Fairer wird Tennis, anders als von der ITF behauptet, dadurch allerdings nicht. Profis aus den tieferen Regionen der Weltrangliste bleiben benachteiligt, weil sie sich gar keinen Trainer als Ansprechpartner leisten können. „Die Spieler, die vom Elternhaus oder von den Sponsoren her besser aufgestellt sind, haben einen Vorteil“, sagte Meffert. Könnte man sich nicht darüber aufregen?