Das Jahr 2025 bringt der europäischen Autoindustrie eine Herausforderung mit schwer kalkulierbaren Konsequenzen für Verkaufszahlen und Erträge: Wer in Europa Neuwagen verkauft, muss den durchschnittlichen CO2-Ausstoß aller abgesetzten Autos deutlich senken. Wer das nicht schafft, riskiert Strafzahlungen auch in Milliardenhöhe.
Die durchschnittlichen Emissionen aller in Europa verkauften Autos dürfen nach der aktuellen internationalen Messmethode WLTP je Kilometer maximal 93,6 Gramm CO2 erreichen. Das Emissionslimit wird für jeden Hersteller individuell berechnet. Wer schwerere Autos verkauft, bekommt einen etwas höheren Grenzwert, ohne dass damit der Gewichtsnachteil völlig ausgeglichen würde. Zugleich wird Herstellern von kleinen und leichten Autos, die ohnehin weniger Kraftstoff verbrauchen und weniger CO2 ausstoßen, für ein geringeres Durchschnittsgewicht ein anspruchsvolleres, niedrigeres Ziel gesetzt. Die genauen Grenzwerte für jeden Hersteller können dabei erst am Ende des Jahres endgültig berechnet werden.
Für zusätzliche, für Brüssel eher typische Komplikationen sorgt der Umstand, dass von 2024 auf 2025 die Messmethode für den CO2-Ausstoß geändert wurde. Für die Jahre 2020 bis 2024 galt ein Grenzwert von 95 Gramm CO2, gemessen nach der europäischen Messmethode NEFZ, die zum Beispiel niedrigere Geschwindigkeiten und weniger Beschleunigungsphasen vorschreibt und daher grundsätzlich niedrigere Emissionswerte hervorbringt. Eine direkte Umrechnung gibt es nicht – das Kraftfahrtbundesamt berichtet, bei Sportwagen habe man mit WLTP um 12 Prozent höhere Emissionen gemessen als mit NEFZ, bei Minivans um 30 Prozent mehr, bei Mittelklasse-Benzinern um 21,6 Prozent mehr und bei Mittelklasse-Dieselautos um 28,5 Prozent mehr. Die Datenspezialisten von Dataforce setzen dem bisherigen europäischen NEFZ-Grenzwert von 95 Gramm CO2 als Äquivalent eine WLTP-Messung von 116 Gramm CO2 gegenüber. Die von der EU vorgeschriebene Emissionsverringerung würde demnach im Mittel 19 Prozent betragen.
Die EU-Vorgaben für die Flottenemissionen können die Autohersteller mit den früher üblichen verbrauchssenkenden Verbesserungen für Verbrenner nicht mehr erreichen. Das nach Angaben des ADAC derzeit sparsamste in Deutschland angebotene Verbrenner-Hybridauto, der Kleinwagen Toyota Yaris, hat nach offiziellen Angaben einen WLTP-Verbrauch von 3,8 Litern auf 100 Kilometern und je nach Ausstattung eine CO2-Emission zwischen 87 und 96 Gramm je Kilometer. Der Dritte der ADAC-Liste, der Renault Clio Hybrid, kommt nach Unternehmensangaben auf 4,2 Liter Verbrauch und eine Emission von 96 Gramm. Ein als besonders sparsames Mittelklasseauto aufgeführter Skoda Octavia 116 PS (85 kW) mit Automatik und Hybridantrieb liefert schon eine offizielle Verbrauchsangabe von 4,9 bis 5,4 Litern je 100 Kilometer und CO2-Emissionen von 112 bis 122 Gramm je Kilometer.
E-Autos als Ausgleichsmasse
Zu schaffen sind die Emissionsziele nur noch, indem neben den traditionellen Verbrennermodellen auch Elektroautos verkauft werden und dann ein Mittelwert berechnet wird. Denn die Elektroautos haben laut juristischer Definition eine CO2-Emission von null, auch wenn sie mit Kohlestrom aufgeladen werden. Die Regelung über die Flottengrenzwerte sollte die Autohersteller gerade dazu zwingen, ihr Angebot an Elektroautos zu erweitern und mehr Modelle mit diesem Antrieb zu verkaufen. Die Elektroautos gibt es, aber in vielen europäischen Ländern Süd- und Osteuropas nicht genügend Ladeinfrastruktur. Zudem entwickelt sich insgesamt die Nachfrage nach Elektroautos nicht so lebhaft wie 2019 bei der Einführung der Regeln zu den Flottengrenzwerten angenommen. In Deutschland erzielten die batterieelektrischen Pkw (BEV) im November 2023 nach Angaben des Kraftfahrt-Bundesamtes 18,3 Prozent, im November 2024 waren es nicht mehr, sondern nur noch 14,4 Prozent. Bezogen auf die EU und den gesamten Zeitraum von Januar bis November lag der BEV-Anteil 2023 bei 14,2 Prozent, 2024 bei nur noch 13,4 Prozent.
Wäre der BEV-Anteil an den Zulassungen auf ein Viertel oder ein Drittel angewachsen, könnten die Autohersteller die neuen Ziele relativ bequem erreichen. Doch mit den aktuellen Zweifeln der Konsumenten und abnehmenden Bestellungen kommen die Unternehmen in Schwierigkeiten, die schon 2024 die bisher noch höheren Ziele nur knapp erreichten. Dazu gehören nach Angaben von Dataforce die Massenhersteller und damit die Volkswagen -Gruppe, Stellantis , Renault und Ford.
Empfindlich hohe Strafen
Die etwaigen Strafen sind empfindlich hoch und könnten nach Spekulationen in der Branche für den Volkswagen-Konzern auch den Betrag von einer Milliarde Euro übersteigen: Für jedes Auto und jedes Gramm CO2, mit dem der Grenzwert überschritten wird, muss der betreffende Hersteller 95 Euro bezahlen. Obwohl die individuellen Grenzwerte der einzelnen Unternehmen für 2025 nicht bekannt sind, zeigt ein Vergleich mit dem für die Branche vorgeschriebenen Grenzwert von rund 94 Gramm CO2 je Kilometer das Potential der Strafgebühren: Für ein Brot-und-Butter-Modell von Stellantis, den kompakten Peugeot 308 Diesel mit einer Emission von 133 Gramm, würden ohne Ausgleich durch Elektroautos 3705 Euro fällig, für einen 150 PS (110 kW) Passat-Benziner von Volkswagen mit bis zu 143 Gramm CO2 dann 4655 Euro, für den stark motorisierten Audi S6 mit Sechs-Zylinder-Dieselmotor und bis zu 191 Gramm Emission eine Strafe von 9215 Euro und schließlich für eine der stärksten Versionen des Porsche 911 namens GT3 mit bis zu 312 Gramm ein Bußgeld von 20.710 Euro.
Zu den Strategien der Autokonzerne für das Erreichen der Flottengrenzwerte hat sich bisher nur Stellantis öffentlich geäußert. Europa-Chef Jean-Philippe Imparato gibt als Linie vor, dass für vier Verbrennermodelle auch ein batterieelektrisches verkauft werden müsse. Die BEV-Quote müsse 21 Prozent betragen, sagte er in einem Gespräch mit der F.A.Z. Das lässt vermuten, dass bei Abweichungen von der gewünschten Quote einfach keine Verbrenner mehr produziert und geliefert werden. Als Geheimwaffe für Stellantis soll dabei ein Bündnis mit dem chinesischen Hersteller Leapmotor dienen, an dessen Vertriebsgesellschaft für außerchinesische Märkte der Stellantis-Konzern 51 Prozent hält – weshalb Leapmotor in Europa in die Kalkulation der Flottenemissionen von Stellantis integriert werden kann. Stellantis baut nun in der polnischen Fabrik, die bisher den Verbrenner-Kleinstwagen Fiat 500 fertigte, ein Billig-Elektrowägelchen von Leapmotor, den T03 mit einem Listenpreis ab 18.900 Euro. Das Kalkül dabei ist, dass ein massenhafter Absatz des billigen Elektroautos ebenso in die Durchschnittsrechnung der Flottenemissionen eingeht wie ein um viele Zehntausend Euro teureres Elektromodell, und dass im Gegenzug für einen kleinen elektrischen Leapmotor vier Mittelklassemodelle von Stellantis mit Verbrennermotor verkauft werden könnten.
Wie reagieren die Hersteller?
Zu den Marketingstrategien für Verbrenner und Elektroautos der anderen Konzerne ist bisher noch nicht so viel bekannt. Volkswagen hat erst einmal das Sonderangebot eines elektrischen ID.3 für weniger als 30.000 Euro bis Ende März verlängert. Das Preisniveau für Verbrennermodelle ist nicht nur gestiegen, zudem ist etwa beim beliebten SUV Tiguan der Abstand zwischen dem 150 PS (110kW)-Diesel und der vierradgetriebenen, höher motorisierten Version mit derzeit 193 PS (142 kW) von früher weniger als 4000 Euro auf nunmehr 6000 Euro gewachsen.
Im Verlauf des Jahres 2025 könnten die Hersteller die Spielräume für Verkaufsförderung und Rabatte der Verbrennermodelle reduzieren, meint Helena Wisbert, Professorin für Automobilwirtschaft an der Ostfalia-Hochschule in Wolfsburg. Für BEV würden dagegen wiederum höhere Rabatte erwartet. Viel hänge davon ab, wie weit die einzelnen Autohersteller von ihren Flottengrenzwerten entfernt seien. Falls Strafzahlungen befürchtet würden, könne die Marktlage 2025 auch dafür sorgen, dass es Preisaufschläge für leistungsstarke Verbrennermotoren gebe, die dann sozusagen einen Teil der befürchteten Strafzahlungen schon vorwegnehmen.
Der Ruf nach Aufschub
Politiker und Teile der Autobranche sind andererseits nun versucht, noch für 2025 die Regeln für die Flottengrenzwerte der EU abzuändern, entweder im Kleingedruckten der Bestimmungen oder mit einer Verschiebung der Ziele von 2025 auf die folgenden Jahre. Zu den Argumenten gehört dabei, dass den Autokonzernen, die sich in Konkurrenz zu China um die Entwicklung der Elektrotechnik kümmern müssten, nun nicht Milliardenbeträge durch Strafzahlungen entzogen werden sollten.
Der Verband der Automobilindustrie (VDA) will sich indessen nicht auf klare Forderungen festlegen, er wünscht lediglich, dass in der EU die Ziele schon 2025 noch einmal überprüft werden müssten und nicht wie ursprünglich geplant erst 2026. Diese diplomatische Haltung lässt darauf schließen, dass es unter den Mitgliedsunternehmen unterschiedliche Einstellungen zu einer Veränderung der Flottengrenzwerte 2025 gibt. Volkswagen wird eher der Wunsch nach einer Aufweichung der Ziele nachgesagt. BMW -Chef Oliver Zipse wurde dagegen im Dezember mit den Worten zitiert: „Wir sehen keinen Anlass, die CO2-Ziele für 2025 zu verschieben.“
Gerade für die deutschen Premiummarken, aber auch Volkswagen und Stellantis könnte sich aber auch noch ein ganz anderer Ausweg eröffnen: Diese Hersteller haben inzwischen viele Plug-in-Modelle im Angebot, die einen Verbrennermotor mit Elektroantrieb kombinieren, mit der Möglichkeit, die Elektrobatterie mit Kabel extern aufzuladen. Die Messvorschriften der EU für Verbrauchs- und Emissionsfahrten der Plug-in-Hybriden besagen, dass mit voller Batterie gestartet wird. Dadurch können diese Autos mit elektrischen Reichweiten von 80 oder 100 Kilometern einen Großteil der 100 Kilometer Messstrecke elektrisch und damit ohne Emissionen zurücklegen. Nur für höhere Geschwindigkeiten oder die Reststrecke bis 100 Kilometer muss der Verbrennermotor eingesetzt werden. Das führt in der Endabrechnung zu offiziellen Verbrauchswerten nach WLTP von ein bis zwei Litern auf 100 Kilometer und Emissionen von CO2 von 10 oder 20 Gramm je Kilometer. Solche Antriebsformen bieten gerade für stark motorisierte Autos eine willkommene Möglichkeit, die Flottenemissionen zu senken und die Vorgaben der EU doch noch zu erreichen. Zu erwarten ist daher, dass die Aufpreise für die – technisch aufwendigen und schweren – Plug-in-Modelle sinken, die für die einfacher konstruierten stärkeren Verbrenner dagegen steigen.