Neoklassizist Anton Raphael Mengs im Madrider Prado

Als „Apelles seiner Zeit“ bezeichnete ihn ganz selbstverständlich der Zeitgenosse Luigi Lanzi in seiner Beschreibung der Florentiner Uffizien, nicht ohne hinzuzufügen, dass er zeitlebens unter der Protektion des „mächtigsten Königs“ gestanden und dessen lukrative Förderung genossen habe. Das war 1782, und mit dem König war Karl III. von Spanien gemeint, dessen Hofmaler der so Geehrte seit 1761 war: Anton Raphael Mengs, geboren 1728 im böhmischen Aussig und verstorben 1779 in Rom. Als Lanzi die Uffizien besuchte, hing ein Selbstbildnis von Mengs direkt unter jenem von Raffael. Mengs selbst hatte sich die prominente Platzierung ausbedungen, sah er sich doch mit dem Vorbild auf einer Stufe.

Ohne die fürstliche Gunst ist die durchaus märchenhafte Karriere nicht zu denken, die Mengs seit der – unglücklich verbrachten – Kindheit durchmessen hatte und die ihn erst an den Dresdner Hof, dann an den von Madrid führte, dazwischen mit vielen Jahren Aufenthalt in Rom, dem Weltzentrum der abendländischen Kunst. Doch als der Stern des vermeintlichen Apelles kaum zwanzig Jahre nach seinem Tod nicht nur sank, sondern regelrecht abstürzte, blieb allein der Eindruck haften, nur die fürstliche Förderung habe ihn in die Höhen gehoben, aus denen er nun getilgt wurde – und der bis heute blieb.

In seiner Zeit konkurrierte er in Madrid mit Tiepolo

Mengs’ Name ist heute vor allem Kunsthistorikern geläufig. Da zeugt es durchaus von Mut, dass der Prado in Madrid nicht nur eine Retrospektive seines Werks veranstaltet, sondern sie auch offensiv als wichtigste Ausstellung des Winters bewirbt. Immerhin könnte es keinen geeigneteren Ort geben als Madrid, eine solche Neubewertung zu unternehmen, wird doch hier, im Prado wie in den Königlichen Sammlungen, die Mehrzahl der Gemälde von Mengs bewahrt, jedenfalls soweit sie transportabel sind. Denn neben Staffeleibildern hat dieser auch Wandbilder geschaffen, deren bedeutendstes sich in Rom befindet, in der Villa des Kardinals Albani. Und natürlich die Deckenbilder im Madrider Schloss seines Gönners, des Königs Karl III., wo sie in Idealkonkurrenz zu den gleichzeitigen Fresken des allerspätesten aller Barockmaler stehen, Giovanni Battista Tiepolo. Dass Mengs den eine Generation älteren Kollegen nach Kräften geschädigt habe, ist jedoch eine Behauptung, die später verbreitet wurde, um das Primat der italienischen Kunst zu betonen, und, wie die Forschung herausgefunden hat, nichts als üble Nachrede.

Divine Monarchen: Anton Raphael Mengs’ Karton „Die Apotheose des Trajan“ von 1774 für die Nordwestecke der Decke des Madrider Königspalastes
Divine Monarchen: Anton Raphael Mengs’ Karton „Die Apotheose des Trajan“ von 1774 für die Nordwestecke der Decke des Madrider KönigspalastesMuseo del Prado

Mengs zählt heutzutage nicht zu den Lieblingen des Ausstellungsbetriebs, ja nicht einmal zu dessen Randfiguren. 24 Jahre liegt die letzte Übersicht zurück, in Dresden, dem ersten der drei biographisch gebotenen Orte. Aber auch dies war überhaupt erst die dritte monographische Ausstellung zu seinem Werk. Im Prado, Nummer vier, begegnet der Besucher gleich zu Beginn der Ausstellung einem Selbstbildnis von Mengs, jenem von 1761, das ihn mit Mappe und Zeichenstift zeigt, mithin als Vertreter des im damaligen Rom als höchste der Kunstfertigkeiten verstandenen disegno. Und am Ende der mit 159 Katalognummern, darunter 64 Gemälde sowie Zeichnungen, Skulpturen und zeitgenössische Publikationen, sehr dicht und überschaubar gehaltenen Ausstellung führt der vorgegebene, aber nie als einengend empfundene Rundgang frontal auf ein weiteres Selbstporträt zu, ebenjenes aus den Uffizien – der Künstler wiederum mit Zeichenmappe, kenntlich an einigen knapp hervorlugenden Blättern, nun aber mit Blick in die Ferne. Ebenfalls in den Rundgang sind Selbstbildnisse eingestreut, beginnend mit der virtuosen Kreidezeichnung des Sechzehnjährigen von 1744. Ein Lebensweg wird erzählt, auch wie das leise Eingeständnis, dass die Kunst allein viele Heutige nicht mehr genug zu fesseln vermag.

Selbstbewusst mit weisender Feldherrengeste: Anton Raphael Mengs' „Selbstbildnis“ von 1773
Selbstbewusst mit weisender Feldherrengeste: Anton Raphael Mengs‘ „Selbstbildnis“ von 1773Museo del Prado

Von einem römischen Freund, dem Bruder Casanovas, stammt die spitze, aber treffende Bemerkung, Mengs habe „gewünscht, als Raffael gelebt zu haben“. Denn sie trifft die Tragik der Anverwandlung einer zurückliegenden Kunstepoche: sie zugleich meistern, ja womöglich vervollkommnen zu können und gerade darum ein Leben aus zweiter Hand zu führen. So haben die Kuratoren denn auch ein Großformat Raffaels aus der Dauerausstellung des Prado hierher gebracht, die 1516 vollendete „Kreuztragung“, und daneben die 1768 für das königliche Schlafzimmer geschaffene „Beweinung Christi“ von Mengs gehängt. Format und Figuren entsprechen in der Größe dem Vorbild, das er in den königlichen Sammlungen studieren konnte. Um so auffälliger die Unterschiede, die klaren Formen und starken Farben bei Raffael, die gedämpfte Palette und die betonten Emotionen bei Mengs, zumal in den tränenvollen Augen der Gottesmutter, einem bei ihm häufigen Detail. In der Tat hatte er eine Synthese versucht, aus den Malern, nach denen ihn sein überaus strenger Vater benannt hatte, Anton für den als Antonio Allegri geborenen Correggio und Raphael für Raffaele Sanzio. Noch ein dritter war vorbildlich, der Venezianer Tizian. So hatte Mengs gewissermaßen die Quintessenz der Renaissancemalerei in sich und suchte sie auch in seinen Werken zu vereinen.

Einem Phoenix gleich aus der Asche Raffaels erweckt

Dass der Vergleich der beiden Großformate nicht zugunsten des späteren ausfällt, verwundert aus heutiger Sicht nicht. Nicht so in Mengs’ eigener Zeit. So erklärt sich der hymnische Lobpreis des Freundes Winckelmann aus dessen „Geschichte der Kunst des Althertums“ von 1764, Mengs sei „als ein Phoenix gleichsam aus der Asche des ersten Raphael erweckt worden, um der Welt in der Kunst die Schönheit zu lehren, und den höchsten Flug menschlicher Kräfte in derselben zu erreichen“. Der direkte Vergleich, Rahmen an Rahmen, mag übermäßig didaktisch erscheinen, entspricht jedoch genau den Intentionen Mengs’, der die Kunst strikt am Vorbild ausgerichtet sehen wollte, der glorifizierten Hochrenaissance in der Malerei wie jenem der Antike, die allein in der Skulptur überkommen war und deren Gipsabgüsse Mengs, wie so viele Zeitgenossen, sammelte.

Von ihr wurde Mengs offensichtlich doppelt geküsst: „Caterina Mengs de Angelis als Muse der Poesie“ aus dem Jahr 1777
Von ihr wurde Mengs offensichtlich doppelt geküsst: „Caterina Mengs de Angelis als Muse der Poesie“ aus dem Jahr 1777Museo del Prado

Umso aufschlussreicher ist der üble Scherz, den Mengs gemeinsam mit einem Freund sich leistete, als er das vermeintlich antike Gemälde „Jupiter küsst Ganymed“ präsentierte, das so ganz den jüngst freigelegten Wandmalereien von Pompeji glich. Winckelmann pries es sogleich in höchsten Tönen – bis der Schwindel aufflog. An Skandal und Schadenfreude zerbrach die Freundschaft der beiden Herolde eines neuen, in ihren Augen wiederbelebten Klassizismus. Im Prado ist dieses aus Rom entliehene Fake zu sehen, nicht um Mengs zu denunzieren – der die Autorschaft erst auf dem Totenbett eingeräumt haben soll –, sondern um die unkritische Begeisterung für die Antike zu unterstreichen, als deren Exponent eben auch Mengs hervortrat.

In seinem römischen Fresko von 1761, dem Deckenbild mit der Darstellung des griechischen Parnass, erreichte die neue Stilrichtung ihre gültige Formulierung. Sie ist heute als Neoklassizismus geläufig; für Mengs wie für seinen engen Freund Winckelmann war sie die unbedingte Wiederaufnahme der als Gipfel der Kunstentwicklung überhaupt begriffenen griechischen, durch die Römer vermittelten Antike und zugleich die als solche wortwörtlich verstandene Renaissance.

Mengs’ theoretisches Hauptwerk, die „Gedanken über die Schönheit und über den Geschmak in der Malerey“ von 1762, vom Verfasser ausdrücklich Winckelmann gewidmet, stieg zum Lehrbuch der europä­ischen Akademien auf. Dass im Prado auch der Theorieproduktion und ihrer Verbreitung in zahllosen Büchern Raum gegeben wird, macht die Ausstellung über die Person ihres Protagonisten hinaus zu einem Streiflicht auf das geistige Leben des 18. Jahrhunderts.

Mengs war einer der bestbezahlten Künstler seiner Zeit, vor allem als Porträtist gefragt, was die Schau in vielen Beispielen eindrucksvoll bestätigt. Doch den hohen Status hat er mit seiner Gesundheit bezahlt und starb, gerade 51 Jahre alt, in sein geliebtes Rom zurückgekehrt 1779. Sein Ruhm reichte gerade bis zum Ende des Jahrhunderts, dann trat einer wie Jacques-Louis David hervor, der den Neoklassizismus mit politischer Botschaft aufzuladen verstand. Das wäre Mengs vollkommen fremd gewesen. Doch was er geschaffen hat und die Madrider Ausstellung überzeugend vorführt, lässt ihn als einen der Großen seiner Epoche hervortreten, allzu lange und zu Unrecht verkannt.

Anton Raphael Mengs 1728–1779. Madrid, Prado; bis 1. März 2026. Der Katalog in spanischer oder englischer Sprache kostet 39 Euro.