D iese Stimme fehlte in diesem antiisraelischen Konzert zum Eurovision Song Contest noch. Nun ergänzt sie den Chor all der Frustrierten, die sich über das den nicht erfolgten Rauswurf des israelischen Senders KAN ärgern. In einem Instagram-Post erklärte Nemo, 2024 für die Schweiz beim ESC mit dem Lied The Code erfolgreich, den Siegespokal an die European Broadcasting Union (EBU) in Genf zurücksenden zu wollen. „Ich habe heute das Gefühl, dass diese Trophäe nicht mehr in mein Regal gehört.“
Die EBU hatte auf ihrer Generalversammlung Ende voriger Woche mit Dreiviertelmehrheit aus allen eurovisionären Ländern beschlossen, Israel auch im kommenden Jahr in Wien willkommen zu heißen. Mehrere TV-Sender sagten daraufhin ihre Teilnahmen ab: Island, die Niederlande, Spanien, Irland und Slowenien, möglicherweise auch Portugal. Die meisten ihrer teilnehmenden KünstlerInnen erklärten, im Falle eines Sieges im eigenen Land nicht zum 70. ESC reisen zu wollen.
Das alles ist nicht überraschend. Auch nicht, dass Dana International, legendäre ESC-Siegerin von 1998, Transfrau und Israelin, ihrerseits auf Instagram ihre Verstörung über die eisigen Boykottaufrufe wider ihr Land kommentierte. Erwartbar war auch, dass ein ESC-Gewinner von 2017 wie Salvador Sobral aus Portugal gegen Israels weitere Teilnahme scharfe Widerworte fand.
Die KünstlerInnen, darunter Nemo, Sobral, Bambie Thug aus Irland, sind in den sozialen Medien populär geworden, über ihre Communitys. Die forderten sie auf, sich zu positionieren, antiisraelisch und ohne je ein Wort über die Hamas-Massaker vom 7. Oktober 2023 zu verlieren, bei denen Hunderte Menschen auf dem Nova-Musikfestival ermordet wurden, Menschen, die zum Kernpublikum des modernisierten ESC gehörten.
Stocken der Karriere
Musikalisch war Nemo schon vor dem ESC eine in der Schweiz bekannte (und hochkompetente) Figur und bleibt es als Ereignis der eidgenössischen Kulturgeschichte auch. Auch ohne solch ein Standing fällt es vielen leicht, dem Druck nachzugeben. Nur: Die Karriere nach dem ESC, die stockte. Nemo saß – und sitzt – damit dem klassischen Irrtum aller durch einen ESC-Abend prominent gewordenen Sängerinnen und Sänger, Bands und Performancegruppen auf: dass nämlich eine prima Vorstellung beim ESC – gar für SiegerInnen – die internationale Karriere garantiert.
Dabei lehrt die ESC-Geschichte: Mit einem Sieg beim zeitgenössisch wichtigsten Popwettbewerb der Welt ist die große Erfolgsgeschichte noch nicht erzählt. Erst danach, so der kürzlich verstorbene Münchner Musikmanager Hans R. Beierlein, beginnt die harte Arbeit an einer langfristigen Laufbahn.
Abba beherzigten das nach ihrem Sieg 1974 in Brighton, andere auch. Nemo indes rangiert nach „The Code“ wieder unter ferner sangen, ist international nicht gefragt, da half auch die teils giftige Anti-Israel-Solidarität auf Social Media nicht.
Kein Grund zur Trauer
Dass mit dem Siegesvortrag beim ESC in der Nacht zum 12. Mai 2024 nicht viel Manna vom Pophimmel herabregnete, muss Nemo nicht verdrießlich stimmen: Nun ist Nemo ein One-Hit-Wonder, und das ist auch schon ein erheblicher Unterschied zu 99 Prozent aller pop-ambitionierten KünstlerInnen – die es ein Leben lang versuchen und doch nie einzuschlagen wussten, nie einen Hit landeten.
Die Vorbereitungen des österreichischen Senders ORF laufen weiter. In Wien wird der 70. ESC seit 1956 im Mai stattfinden. Finanziell sei das Budget durch den Boykott von fünf Ländern nicht erschüttert worden, hört man – und in der ARD, erstmals verantwortet nicht mehr durch den NDR, sondern den SWR in Stuttgart, ist die Vorentscheidungsshow auf den 28. Februar terminiert.
