
2:2 steht es nun in der Finalserie der Basketballliga NBA zwischen den Indiana Pacers und Oklahoma City Thunder. Wer jedoch am Freitagabend gegen Mitternacht von der Pacers-Arena aus durchs Stadtzentrum von Indianapolis lief, dürfte geglaubt haben, dass Indiana sicher zurückliegt in dieser Best-of-Seven-Serie und sie verlieren wird – ach was, in der Stunde davor bereits verloren hat. Die Leute liefen durch die Straßen wie Verliebte, die am Ende der tollsten Verabredung ihres Lebens keinen Kuss, sondern eine krachende Ohrfeige gekriegt haben – und nun auch nicht so recht wissen, wie das passieren konnte. Von der zweiten Spielminute an hatten sie geführt, ja dominiert. Sie hatten die ansonsten sehr stabile Thunder-Verteidigung ein ums andere Mal übertölpelt und für eine Mega-Party gesorgt, in der Halle und den vielen rappelvollen Kneipen drum herum – und dann hieß es am Ende 104:111.
Das führt zu dieser interessanten Situation, wegen der Playoff-Serien zum Leckerbissen für Aficionados der Sportpsychologie werden. „Wir wussten, worum es geht, als wir heute Morgen aufgewacht sind“, sagte Thunder-Starspieler Shai Gilgeous-Alexander, kürzlich als wertvollster Spieler der regulären Saison (MVP) ausgezeichnet, nach der Partie: „Wir haben mit dem Mut der Verzweiflung gespielt, weil wir nicht mit einem 1:3-Rückstand nach Hause fahren wollten.“ Must Win nennen die Amerikaner so ein Spiel, das man unbedingt gewinnen sollte, weil der Gegner in diesem Fall danach drei Matchbälle zum Titel gehabt hätte; einen davon ganz sicher in eigener Halle beim sechsten Spiel.

:Bei Leon Draisaitl gehen die Superlative aus
Erneut trifft der deutsche Eishockeyprofi in der Overtime – diesmal zum 5:4-Sieg gegen Florida im vierten Spiel der Finalserie. Damit sorgt er für einen NHL-Rekord.
Warum Oklahoma City dennoch gewann? Nun, weil das Spiel im Schlussviertel plötzlich zum Must Win für Indiana wurde – und die Pacers-Profis das spürten. Mit sieben Punkten führten sie zu Beginn des Schlussviertels, doch dann: ein verpasster Rebound in der Defensive, den sich der deutsche Thunder-Center Isaiah Hartenstein pflückte und in den Korb legte; ein unnötiges Foul und eine Unachtsamkeit in der Defensive – in den Gesichtern der Pacers-Spieler sah man plötzlich: Ach herrje, wenn wir das hier jetzt verbaseln, braucht Oklahoma City nur seine beiden noch verbleibenden Heimspiele zu gewinnen für den Titel – wir müssen das irgendwie über die Zeit bringen! Diese Einstellung freilich ist, da muss man kein Sportpsychologe sein, fatal fürs Selbstbewusstsein.
Je fahriger Indiana wurde, desto gelassener wurde der Gegner; und ein gelassenes Händchen führt bei Menschen wie Gilgeous-Alexander dazu, dass sie quasi nicht mehr daneben werfen können: 16 Punkte erzielte Oklahoma City in den letzten fünf Spielminuten, 15 davon Gilgeous-Alexander – und zwar ohne einen einzigen Fehlwurf. „Es beginnt und endet bei uns nun mal in der Defensive“, sagte er danach: „Wenn du ein paar Bälle stibitzt und für ein paar Fehlwürfe sorgst, bist du vorne nicht dauernd unter Druck zu punkten.“
2:2 also statt 1:3. Die Emotion in der Thunder-Kabine war danach eher Erleichterung als Freude. Hartenstein saß vor seinem Spind, seine Knöchel in Eiswasser getaucht: „Das war schon sehr wichtig; jetzt geht die Serie quasi von vorne los; wer zwei gewinnt, ist Meister.“ Was sie bemerkt haben: Sie mögen favorisiert sein in dieser Serie; wenn sie aber nicht höllisch aufpassen, dann werden sie sie verlieren. Indiana kann ihnen wehtun, sie nervös machen und Partien in Oklahoma City gewinnen; wie die erste, die ähnlich verlief wie die Partie am Freitag, nur umgekehrt: Da hatten Oklahoma die komplette Spieldauer über geführt – und am Ende verloren.
Das ist, bei aller Trauer über die bittere Niederlage am Freitag, die Botschaft, die aus der Pacers-Kabine gesendet wurde: In drei von vier Spielen hatten wir eine Chance auf den Sieg. Ja, wir müssen nun mindestens noch ein Spiel auswärts gewinnen – aber warum denn nicht? Gilgeous-Alexander sagte auch deshalb: „Wir müssen jetzt unbedingt weiter mit dieser Verzweiflung im Kopf spielen.“ Also: Die fünfte Partie am Montag in eigener Halle als Must Win betrachten; bei einer Thunder-Niederlage nämlich hätte Indiana am Donnerstag in eigener Halle den ersten Titel-Matchball. Wie gesagt: sportpsychologische Leckerbissen, diese Serien.