
Sie hätte auch ganz anders ausgehen können, diese Begegnung zwischen Isaiah Hartenstein und T.J. McConnell: Der deutsche Center von Oklahoma City Thunder war übel gefoult worden, an der Grenze zur Unsportlichkeit. Er stand auf und drehte sich unter dem Korb um wie Biker in der Kneipe, dem jemand ein Bier ins Genick gekippt und obendrein eine mit dem Billardqueue übergezogen hat.
Doch er sah: McConnell, knapp 30 Zentimeter kleiner und 30 Kilo leichter als er selbst. McConnell ist als knallharter, aber ehrlicher Arbeiter der Indiana Pacers bekannt, also entschied Hartenstein innerhalb einer Zehntelsekunde: kein Aufbäumen und Provozieren einer Rudel-Rangelei, keine Rauferei, sondern Abklatschen mit McConnell. Hartenstein wusste: Es war ein hartes Playoff-Foul, nichts weiter. Angesichts des körperlichen Unterschieds hätte McConnell keine andere realistische Möglichkeit gehabt, um den zum Korb fliegenden Hartenstein vom Dunking abzuhalten.

:Er hat eine Vision
Isaiah Hartenstein ist der Dreh- und Angelpunkt bei Oklahoma City Thunder. Über einen, der nach Dirk Nowitzki der zweite deutsche NBA-Champion werden kann – und der von einem cleveren Plan profitiert.
Damit ist auch die Rolle von Hartenstein in der fünften Partie der NBA-Finalserie erklärt. Direkt vor dieser Begegnung mit McConnell hatte er einen Offensiv-Rebound gepflückt und den Ball sofort per No-Look-Pass auf einen Kollegen unter dem Korb weitergegeben, der konnte sich aber nicht durchsetzen. Der Ball kam wieder zu Hartenstein, und der provozierte mit energischem Einsatz dieses Foul von McConnell.
„Ich mache in den Minuten, die ich kriege, was dem Team hilft“, hatte er nach der vierten Partie in der Umkleide von Oklahoma City Thunder vor seinem Spind gesagt, während er die Knöchel im Eisbad kühlte. Für Hartenstein bedeutete das am Montagabend: vier Punkte, acht Rebounds, vier Vorlagen, ein stibitzter Ball und ein Block in knapp 21 Minuten. Das liest sich wie eine solide Statistik, genau deshalb hatte Oklahoma ihn als teuersten Free Agent der Vereinsgeschichte verpflichtet. Hartenstein gilt als letztes Puzzlestück, das Oklahoma City gefehlt hat. 120:109 gewann Thunder diese fünfte Partie und benötigt nur noch einen Sieg in der Best-of-seven-Serie zum Titelgewinn in der weltweit besten Basketballliga.
Es wäre der erste NBA-Titelgewinn der Geschichte für Oklahoma City
Diese Serie hätte bislang auch anders verlaufen können. In drei Partien hatte es teils unglaubliche Comebacks gegeben. Trotzdem hat Oklahoma City zuletzt zweimal klar und verdient gewonnen, weshalb man den Eindruck gewinnt, dass sich der Favorit eingegroovt hat in diese Serie. Auch, weil Hartenstein wieder von Beginn an spielt und mehr Minuten erhält.
Die Begegnung mit McConnell unter dem Korb war auch deshalb interessant, weil dieser für die Pacers in den Playoffs und in der Finalserie zum emotionalen Anführer geworden ist. Es liest sich wie eine perfekte Final-Heldengeschichte: Vater Tim ist ein legendärer Jugend-Basketball-Trainer (wie Hartensteins Vater Florian), Schwester Megan unterschrieb gerade ihren ersten Profivertrag, bei Phoenix Mercury in der Frauenliga WNBA. Vor zwei Wochen gab sie ihr Debüt und erzielte ihre ersten Punkte bei der Franchise, für die auch die Deutsche Satou Sabally tätig ist. McConnell wurde bei der Talentbörse 2015 ignoriert, spielt mittlerweile seine zehnte NBA-Saison und liefert jetzt die Underdog-Geschichte fürs Underdog-Team. Am Montag waren es 18 Punkte und vier Vorlagen in knapp 22 Minuten; bei der Pacers-Aufholjagd im dritten Viertel war er an 18 Punkten beteiligt.
Die Rolle von Hartenstein in Oklahoma City ist ähnlich, und deshalb kann diese Begegnung unter dem Korb als symbolisch für die ganze Serie gelten. Der Underdog aus Indiana ist wild entschlossen und am höchsten Punkt der Leistungsfähigkeit, er liefert dem Favoriten einen grandiosen Kampf – er merkt aber, dass dieser sich nicht mehr provozieren lässt. Sondern klatscht den Unterlegenen sogar ab. In der Nacht zum Freitag (2.30 Uhr MEZ) könnte die Serie enden, es wäre der erste Titelgewinn der Geschichte für Oklahoma City (die Meisterschaft 1979 gewannen sie als Seattle Supersonics). Und der Beweis für Thunder-Manager Sam Presti, dass er mit dem Vertrag für Hartenstein eine ziemlich gute Entscheidung getroffen hat.