
In unserer Kolumne „Grünfläche“
schreiben abwechselnd Oliver Fritsch, Christof Siemes, Stephan Reich
und Christian Spiller über die Fußballwelt und die Welt des Fußballs.
Dieser Artikel ist Teil von ZEIT am Wochenende, Ausgabe 37/2025.
Gut, dass wieder Bundesliga ist. Nicht nur,
weil Länderspielpausen einen Vereinsfan wie mich nerven. Auch, weil in diesen
Länderspielpausen eben – nun ja – Länderspiele stattfinden, die stimmungsmäßig
stets mau und derzeit auch sportlich nur schwer zu ertragen sind.
Das liegt auch an Julian Nagelsmann, dem
deutschen Bundestrainer. Der hat nicht nur zu verantworten, dass seine
Mannschaft sich zurückentwickelt und nun gar um die WM-Qualifikation bangen
muss. Er fiel in diesen Tagen auch mit einer kruden Mischung aus
Publikumsbeschimpfung und Gesellschaftskritik auf.
Zur Halbzeit des Qualifikationsspiels gegen
Nordirland wurden die deutschen Spieler von Teilen des Kölner Publikums
ausgepfiffen. Darauf nach dem Spiel bei RTL angesprochen zeigte Nagelsmann
dafür zwar Verständnis, weil die Tickets ja schon etwas kosten (großzügig!),
konnte sich aber nicht verkneifen, noch hinterherzuschieben: „Pfiffe in der
Halbzeit bringen einen nicht allzu viel nach vorne. Wenn man alles gemeinsam
macht, das müssen wir in unserem Land noch verstehen, dann funktioniert es
meistens viel besser.“
Der selbe Ton folgte auf der anschließenden
Pressekonferenz. Auch da bettete er seine Kritik in Verständnis, versuchte sich
aber auch als Erfinder von Tieranalogien: „Wenn wir alle wie Hyänen im
Busch sitzen und darauf warten, den nächsten zu beißen, weiß ich nicht, ob man
sich da so toll entwickelt als Land.“
Das irritiert in vielerlei Hinsicht. Weil
Hyänen in Deutschland in freier Wildbahn nur selten anzutreffen sind. Und weil,
wer jeden Kritiker als keifendes Raubtier framed, es sich etwas zu einfach
macht.
Kritik ist wichtig, um Missstände anzusprechen und Verbesserungen
anzustoßen.
Es ist ja ganz einfach: Wer Sachen gut macht,
wird gelobt. Wer sie schlecht macht, kritisiert. Strenggenommen wird beim Blick
auf den üblen Zustand der Nationalelf neun Monate vor der nächsten WM noch viel
zu wenig kritisiert.
Nagelsmann aber macht noch etwas anderes, ob
nun bewusst oder unbewusst, verwerflich ist es so oder so: Er stellt die
dringend nötige sportliche Kritik in eine Reihe mit gesamtgesellschaftlichen
Problemen wie mangelnder Solidarität, Wutbürgertum, Hass. Dabei hat das nichts
miteinander zu tun. Ich kann ein grundanständiger, engagierter Bürger sein –
und trotzdem im Stadion enttäuscht pfeifen.
Nagelsmann benutzt ein durchaus vorhandenes
Problem, das der sozialen und politischen Spaltung, um nur ja nicht kritisiert
zu werden.
Das ist in etwa so, als würde sich der
Bundeskanzler Friedrich Merz Einsprüche seiner Arbeit gegenüber ausdrücklich
verbieten, weil man doch zusammenhalten müsse. Die Elite fordert das Volk auf,
doch bitte die Klappe zu halten.
Dazu dieser altkluge Ton. „… das müssen wir in
diesem Land noch verstehen …“. Als ob Julian Nagelsmann mehr kapiert hätte als
alle anderen.
Kein bisschen Demut dem Glück gegenüber, dass ihn die Umstände
(Flick gescheitert, Klopp gebunden) einst in den Job als Bundestrainer gespült
haben. Demut der Tatsache gegenüber, dass ihm der gemeinnützige DFB jedes Jahr
viele Millionen Euro überweist, die anderswo fürs Gemeinwohl möglicherweise
besser investiert wären. So viel zum Thema Zusammenhalt.
Zumal es auch inhaltlich nicht stimmt. Es
wird nicht immer automatisch besser, wenn man alles gemeinsam macht. Das weiß
jede Familie, die früh zur gleichen Zeit ins Bad möchte. Zusammenhalt ist
wichtig, aber wenig ist lähmender und gefährlicher als blindes Zusammenstehen,
als kritikfreier Korpsgeist.
„Für den einen oder anderen ist er
vielleicht übers Ziel hinausgeschossen. Aber so ist er und so lieben wir ihn“,
hat Rudi Völler die Tage über den Bundestrainer gesagt.
Wenn sich Völler da mal nicht irrt.
