Nagelsmann über ter Stegen: „Es ist ein Wunsch, den ich für Marc habe“ – Sport

Statt wie so viele Leute aus dem Fußball nach Ibiza zieht es Hansi Flick während der freien Tage regelmäßig auf die kleine Nachbarinsel Formentera. Dort soll er ein Ferienhaus unterhalten, von Barcelona aus könnte er eine Fähre nehmen, die in gemütlichen elf Stunden die Insel erreicht. Welches Verkehrsmittel er nun für seinen Urlaub gewählt hat, ist nicht bekannt, aber es darf als relativ sicher gelten, dass der Coach des spanischen Doublesiegers am Sonntagabend in seiner Sommerpausenruhe empfindlich gestört wurde. Dass ihm Julian Nagelsmann öffentlich ins Gewissen redete, dürfte Hansi Flick nicht erfreut haben.

Nagelsmann wurde nach dem Spiel in Stuttgart gefragt, ob ihm die Gerüchte um Marc-André ter Stegen und dessen unübersichtliche Situation beim FC Barcelona Sorgen machten. Der Bundestrainer gab darauf eine überraschende Antwort, indem er ter Stegen im kalten, aber offensichtlichen Konflikt mit dem Verein offensiv unterstützte und dazu auch einen moralischen Appell an Hansi Flick richtete. Ohne den Vorgänger beim Namen zu nennen, doch deutlich genug, dass es jeder verstehen konnte. Die Lage des Torwarts im Klub sei „superschwer zu bewerten, weil ich das auch nur aus den Medien mitkriege und nicht weiß, welchen Wahrheitsgehalt das hat“, sagte Nagelsmann, „trotzdem würde ich mir aufgrund der Vergangenheit einzelner Protagonisten und der Verbundenheit zur Nationalmannschaft wünschen, dass Marc eine Info bekommt, wie es da weitergeht“. Nagelsmann ist offenkundig der Ansicht, dass Flick eine gewisse Verpflichtung habe, ter Stegen über dessen Status im Team und die Pläne des Vereins aufzuklären.

Seit zwei Wochen wird in katalanischen Medien verbreitet, dass der 33 Jahre alte Torwart nicht mehr erwünscht sei beim FC Barcelona. Den Platz im Tor soll der neun Jahre jüngere Joan Garcia erhalten. Dessen Übernahme vom Nachbarklub Espanyol mittels einer 25 Millionen Euro schweren Ausstiegsklausel steht angeblich kurz bevor, für den Klub sei das eine strategische Entscheidung. Zeitungen und Radiosender berichten täglich mit neuen Details, auch solchen, die ter Stegens Teamfähigkeit in zweifelhaftes Licht rücken. Der Verdacht einer Kampagne liegt nahe. Dass der Betroffene aus erster Hand nichts zu seinem Fall erfährt, ist typisch für solche Manöver und fürs Fußballgeschäft.

Mit ihm habe „keiner gesprochen“, hatte ter Stegen zu Beginn der Trainingswoche im Quartier der Nationalelf erklärt. Auch mit Hansi Flick gebe es keinen Austausch, ergänzte er, und daran hat sich bis Pfingsten nichts geändert. Zugleich ist es auch in DFB-Kreisen bekannt, dass Flick trotz großen sportlichen Erfolgs stark unter Druck steht, auch im Hinblick auf die prekären Klubfinanzen. Ter Stegen, Vertrag bis 2028, ist einer der Großverdiener in Barcelona, Garcia würde deutlich weniger kassieren.

Um seine sportliche Zukunft brauche sich ter Stegen „keine großen Sorgen zu machen“, sagt Nagelsmann – eine für jeden sichtbare Wahrheit

Ob Nagelsmanns Einmischung der Sprachlosigkeit abhilft? Sein Engagement habe nichts mit seinem dienstlichen Interesse an einer stabilen Torwartlösung für die Nationalelf zu tun, versicherte Nagelsmann, „es ist ein Wunsch, den ich für Marc habe“, schließlich handele es sich um ein „sehr sensibles Thema“. Was nicht zu bestreiten ist: Nach elf Jahren beim FC Barcelona geht es für den Torwart außer um die weitere Karriere auch um die Beziehung zum Klub und um Themen wie Vertrauen und Loyalität. Und, keineswegs zuletzt, um die Situation eines Vaters.

Um seine sportliche Zukunft brauche sich ter Stegen „keine großen Sorgen zu machen“, sagte Nagelsmann und verwies auf die beiden Spiele in der Nations League. Letzteres war kein Ausdruck von Gefälligkeit, sondern die für jeden sichtbare Wahrheit. Nach der schweren Verletzung (Patellasehnenriss) mit acht Monaten Spielpause gewährte Flick dem Torwart lediglich zwei Liga-Einsätze, ansonsten teilte er weiterhin Wojciech Szczesny, 35, zum Dienst ein. Doch Mangel an Spielpraxis gab ter Stegen nicht zu erkennen, im Match gegen Frankreich war er der herausragende deutsche Spieler. Loïc Badé, Kylian Mbappé, Marcus Thuram, Désiré Doué – sie alle scheiterten gegen ihn auf hohem Niveau.

Nagelsmann hob dennoch hervor, dass die Ungewissheit ter Stegen sicherlich „beschäftigt“ habe. Zumal im nächsten Jahr eine Weltmeisterschaft bevorsteht. Ein deutscher Torwart, der so viele Jahre das Tor des FC Barcelona bewachen durfte, hat viel erreicht. Aber ein Turnier mit der Nationalmannschaft ist ter Stegen bisher nicht vergönnt gewesen, Manuel Neuer hatte immer den Vortritt, auch bei der WM 2022, als Hansi Flick als Bundestrainer die Verantwortung für den Kader besaß. Beim Gewinn des Confed Cups 2017 hatte ter Stegen nur auf einer Nebenbühne des Nationen-Fußballs gestanden; und die nun beendete Mini-Mini-EM in München und Stuttgart war sportlich in Wahrheit „nicht so super“, wie Angreifer Karim Adeyemi es treffend formulierte. Die WM in Übersee im nächsten Sommer sollte eigentlich der Höhepunkt in ter Stegens langer, aber sehr sporadischer Karriere als Nationaltorhüter sein.

Doch nun schiebt sich womöglich wieder ein Hindernis in den Weg, das auch Nagelsmanns Überlegungen beeinflusst. Oliver Baumann und Alexander Nübel sind Torhüter von Format, aber nicht vom Format ter Stegens. Sollte dieser jedoch in Barcelona bleiben, obwohl ihn der Klub ablösen möchte, droht ihm die Ersatzbank. Sollte er einem Wechsel zustimmen, müsste er nicht nur eine adäquate Adresse finden, sondern sich auch an eine neue Umgebung anpassen. Auf die Unterstützung von Julian Nagelsmann kann er einstweilen vertrauen. Dessen Vorgänger wird sich spätestens in vier Wochen äußern müssen, am 12. Juli enden die Ferien beim FC Barcelona.