
Es musste der Eiserne Vorhang fallen, ehe dieser Act, diese Zweiergruppe zueinander finden konnte: Rosenstolz. Popkultur ist ein vergessliches Ding, was eben noch war, ist heute schon verschwunden: AnNa R., wie die Sängerin dieser Band hieß, war der Ton, der Sound von Rosenstolz. Sie lernte Peter Plate, den Mann an den Keyboards, in Berlin-Friedrichshain kennen, über Musik sich austauschend.
Sie eine junge Frau, die in der DDR nicht zu einer Sangesausbildung zugelassen wurde, dafür Chemielaborantin wurde, sich als Musikalienhändlerin über Wasser hielt, die am liebsten Jazz oder raueren Folk singen wollte – Plate hingegen plädierte für ein Gemeinsames, er mochte ihre Stimme auf Anhieb, er sagte, mit Pop würden sie eventuell etwas schaffen können.
Es war ein steiniger Weg, ehe sie zum wichtigsten Pop-Act im deutschsprachigen Bereich wurden, ausverkaufte Großhallenkonzerte, Goldenen Schallplatten noch und noch, Rosenstolz war für ihre Major Company, Universal, eine Cashcow, dass es nur so schepperte.
Hier Buhrufe, da ein zweiter Platz
Die ersten Gehversuche im Showbusiness allerdings endeten oft im Desaströsen. Hier ein bisschen Publikum, dort sogar ausgebuht, bei einer Art Clubkonzert im Berliner SchwuZ – sie mussten an sich glauben und sie taten: 1997 ein Auftritt in der ZDF-Hitparade, schließlich 1998 Teil des Line-Ups des deutschen Vorentscheids zum Eurovision Song Contest, den zwar haushoch Guildo Horn gewann, aber Rosenstolz schafften einen zweiten Platz mit dem Lied „Herzensschöner“, nach wie vor eine Perle deutschen Popschaffens.
Mit dieser Performance waren sie das Zeugnis ihrer Zeit, wild wie die Nachwendejahre besonders in Berlin waren, immer auch ein wenig melancholisch, liebesbedürftig, unverstanden, ironisch in der Art. AnNa R. (das ist Anna Rosenbaum, später eheliche Anna Neuenhofen) war der geliebte Ausdruck dieser Zeit.
Eine Sängerin mit innerem Volumen
Ihre Stimme kraftvoll, immer auf den Ton, brüchig, wenn sie es wollte, in den traurigen Passagen. Man attestierte ihr die Fähigkeit einer Operettensängerin, aber das traf es nie so recht: AnNa R. war die Vokalistin, die ihre Chance im Leben mit Rosenstolz lebte, weil sie zuvor keine so recht bekam. Wirkte sie in Liedern wie „Die Schlampen sind müde“, „Liebe ist alles“ oder „Die Astronautin“ bisweilen kühl timbriert, aber selbstvertraut, so schildern sie FreundInnen als zweifelbereit, ja, keineswegs so triumphal in den fast expressionistisch anmutenden Gesten. Sie war keine Gewinnerin von irgendeinem Casting, sie war einfach eine Sängerin mit innerem Volumen: eine Liedinterpretin in eigener Sache.
2012 gaben AnNa R. und Peter Plate bekannt, sich als Rosenstolz zwar nicht aufzulösen, aber ihr Projekt „in Würde auf Eis zu legen“ (AnNa R.). Es fehlte nach den 21 Jahren der Arbeit am Aufstieg zum Pophimmel an Kraft, einfach mit „more of the same“ weiterzumachen.
AnNa R. wollte schon länger auch mal andere Sachen machen, Jazz, die Arbeit an freieren Vokalisen, die Band Gleis 8 war ihr neues Ding. Eigentlich wollte sie, die mit Plate eine Art queere Band vor der Zeit war, als sie dennoch mit Selbstbewusstsein für die Aidshilfe musizierten, politisch gegen den Irakkrieg sich verwendeten und im Übrigen für die Ehe für alle sich öffentlich aussprachen, in wenigen Monaten mit einem Soloprojekt auf Tour gehen, die Promotion hatte längst begonnen.
AnNa R., die mit Peter Plate als Rosenstolz den wichtigsten Sound der zweiten Wendezeit auf die Bühnen brachte, die in Millionen jungen Gemütern den Glauben an die Liebe und das Überleben und gegen die Unmöglichkeit schlechthin entzündete und auf moderne Weise sagbar machte, ist Sonntag in Berlin tot aufgefunden worden.
Sie wurde 55 Jahre jung, sie wird in den Erinnerungen als Herzensschöne noch viele Jahrzehnte weiterleben.