Nachruf auf den Beach-Boys-Gründer Brian Wilson

Kalifornien erlebt gerade historische Tage – im negativen Sinne. Der Einsatz von Nationalgarde und womöglich auch noch Marines gegen Demonstranten, die Donald Trumps unmenschliche Abschiebe-Maßnahmen anprangern, wirft einen Schatten auf das unbeschwerte Leben, für das der amerikanische Bundesstaat einst symbolisch stand. Und von den immer verheerenderen Wald- und Buschbränden, die im Januar ganze Stadtviertel von Los Angeles in Schutt und Asche legten, haben sich viele noch längst nicht erholt.

Da erscheint es fast symbolisch, dass nun auch noch binnen kurzer Zeit zwei Musiker gestorben sind, die beide auf ihre Weise für kalifornische Träume standen: erst Sly Stone, der schwarze Hippie, und nun Brian Wilson, der Inbegriff der Beach Boys.

Das Milchgesicht macht’s

Wobei Fachleute schnell einen tausendfach gehörten Einwand machen werden: Die Beach Boys konnten ja bis auf Dennis Wilson gar nicht surfen, sie sangen nur darüber! Und so glücklich ist zudem weder die Geschichte der Band noch die des Lebens von Brian Wilson verlaufen. Es stimmt: Brian, der immer etwas milchgesichtig wirkende, kuchenessende Knabe, ließ sich von den Erfahrungen seines wilderen Bruders zu den Songs inspirieren, die heute noch in aller Ohren sind: „Surfin’ Safari“, „Surfer Girl“, „Surfin’ U.S.A“. Dennis war ein Draufgänger, verkehrte später etwa mit Charles Manson und ertrank 1983 im Pazifik, den er vorher auf seinem Soloalbum „Pacific Ocean Blue“ (1977) besungen hatte. Es hat depressive Züge.

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Die Beach Boys, gegründet von den drei Brüdern Brian, Carl und Dennis Wilson, deren Cousin Mike Love und dem Freund Al Jardine, hatten viel Helleres im Sinn, als sie 1961 debütierten und bald auf einer sagenhaften Welle des Erfolges ritten. Der erklärte sich durch ihre Überbietung gängiger Harmonien von Gesangsensembles wie den Four Freshmen mit überraschenden Arrangements und dem Gimmick von Brian Wilsons Falsettstimme – und die geschickte Verbindung des Ganzen mit der gerade populär werdenden Beatmusik und ein bisschen Surfgitarre, freilich auf harmlose, fast kinderfreundliche Weise.

Produktionsgeschichte mit Pferd

So konnte bald jedes Kind die meist nur zwei bis drei Minuten dauernden Lieder mitsingen, über die Surf-Tunes hinaus auch „Help Me, Rhonda“, „Fun, Fun, Fun“, später „Good Vibrations“ und viele andere. Dann wurden die Lieder langsam schwieriger mitzusingen. Das lag daran, dass Brian Wilson immer komplexere schrieb und arrangierte, bis hin zu dem legendären Album „Pet Sounds“ (1966), das eine verrückte Produktionsgeschichte hat, in der zwischen seinen orchestralen Bestrebungen sogar ein Pferd vorkommt. Bei dem Instrumental „Let’s Go Away For Awhile“ kommen, nur zum Beispiel, zwölf Geigen, vier Saxophone, Oboe, Vibraphon und eine Colaflasche beim Slidegitarrenspiel zum Einsatz.

Brian Wilson hatte, berauscht von Drogen und dem Willen, die Beatles und andere zu übertreffen, angestrebt, das größte Rock-Album aller Zeiten aufzunehmen. Als Rockmusik würde man es rückblickend wohl kaum klassifizieren, und es gibt inzwischen noch viele andere große Konzeptalben; mit Sicherheit enthält dieses aber einige sehr eingängige und vielschichtige Songs, darunter „God Only Knows“ und „I Just Wasn’t Made For These Times“, bei dem den ohnehin schon nicht begeisterten Plattenbossen das Blut in den Adern gefroren sein muss.

Die Wrecking Crew baute mit am Erfolg

Während oft vom Genie Brian Wilsons und von seinen schwer umzusetzenden Ideen die Rede ist, kann die Geschichte seiner besten Musik indes kaum erzählt werden, ohne die „Wrecking Crew“ zu erwähnen – eine feste Gruppe von Studiomusikern in Los Angeles, darunter die Bassistin Carol Kaye, die den Sound vieler Beach-Boys-Stücke entscheidend geprägt hat (über diese Crew gab es einmal eine eigene, sehr sehenswerte Netflix-Doku).

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Den anderen Boys wurden Wilsons Eskapaden bald zu viel, und wie bei vielen super-erfolgreichen Bands folgte auf eine kurze, verdichtete Hochphase eine von jahrzehntelangen Streitereien und teils auch Niedergang. Nach und nach schlitterte Brian Wilson, der sein Klavier in einen Sandkasten stellte, schon 1964 einen ersten Nervenzusammenbruch hatte und seither nicht mehr auf Tour gehen wollte, in eine tiefe Krise, in der er sich, schlecht betreut und bevormundet von seinem Privatarzt Eugene Landy, völlig von der Welt zurückzog und beinahe aus ihr herausfiel.

Seine verlorene Zeit im Bett wird in Bill Pohlads Spielfilm „Love and Mercy“ sehr anschaulich, in dem der Schauspieler John Cusack ihn in dieser Lebensphase treffend verkörpert. In Erinnerung bleibt vor allem die Szene, in der Brian Wilson in den Achtzigern ein Autohaus betritt und in einem stahlblauen Cadillac mit einer strohblonden Verkäuferin probesitzt, sich mit ihr einschließt, um endlich einmal Ruhe vor seinem Betreuer Landy zu haben, und ihr schließlich eine Karte hinterlässt, auf der ein Hilferuf steht. Die Verkäuferin hieß im richtigen Leben Melinda Ledbetter und wurde dann Wilsons Ehefrau.

Bis zum elegischen „Surf’s Up“

Trotz aller Querelen erschienen auch nach dem Höhepunkt von „Pet Sounds“ noch Werke der Beach Boys, teils ohne Brian Wilsons Beteiligung, dann wieder mit ihm. Eine weitere Gemeinsamkeit zwischen den Beach Boys und den eingangs erwähnten Sly and the Family Stone – so grundverschieden die beiden Gruppen sonst sein mögen –, ist, dass sie die Desillusionierung der euphorischen Popkultur um 1968 auch musikalisch verarbeitet haben. Geschah dies bei Ersteren 1971 mit dem Konzeptalbum „There’s A Riot Goin‘ On“, so kann man bei den nie politisch gewordenen Beach Boys immerhin eine Entwicklung hören, die schon Mitte der Sechziger mit Wilsons Abkehr von der Surfmusik beginnt und einen romantischen Weg nach Innen beschreibt, bis hin zu dem ebenfalls 1971 erschienenen, teils elegisch wirkenden Album „Surf’s Up“. Das Titelstück hat anfangs etwas von einem Kirchenlied, und in der Langversion des von Brian Wilson komponierten, psychedelischen Songs „Till I Die“ heißt es: „I’m a leaf on a windy day / Pretty soon, I’ll be blown away“.

Ganz so bald kam das Ende für Brian Wilson nicht. Er berappelte sich nochmal, ging bis ins hohe Alter auf Tour, widmete sich von Neuem dem Material des einst gescheiterten Albumprojekts „Smile“, sang nostalgisch mitten im Internetzeitalter „That’s Why God Made the Radio“ und erkannte wie alle Menschen, dass jeder Sommer vorbeigeht. Seine Brüder Dennis und Carl hat er überlebt, auch seine Frau Melinda. Am Mittwoch ist er, wie seine Familie mitgeteilt hat, im Alter von 82 Jahren gestorben – und mit ihm ein Stück Kalifornien.