Der wochenlange Protest der aktiven Fanszenen zeigt Wirkung: Bei der Innenministerkonferenz ab Mittwoch in Bremen sollen einige der geplanten Maßnahmen doch nicht ergriffen werden, wie die Sportschau erfuhr.
„Wir müssen bei allen Maßnahmen Maß und Mitte bewahren“, teilte Bremens Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) auf Anfrage der Sportschau mit. Das Bundesland Bremen hat derzeit den Vorsitz der Innenministerkonferenz. „Nicht jede Idee, die auf dem Tisch liegt, ist auch sinnvoll und verhältnismäßig. Sicherheit im Stadion ist wichtig. Aber wir dürfen nicht alle Fans unter Generalverdacht stellen, nur weil einige wenige Ärger machen.“
In einem Gespräch mit DFB und DFL sowie weiteren Vertretern der Innenministerien habe man sich auf „Dialog statt Konfrontation“ geeinigt. Seit Wochen protestieren Fans in den Stadien gegen die im Raum stehenden Maßnahmen. Die Proteste vieler Fangruppen fußen vor allem auf einem Argument: Die Sicherheit in deutschen Stadien ist längst sehr hoch.
Kritik gab es auch daran, dass öffentlich kaum etwas über die Verhandlungen bekannt wurde. Mäurer teilte mit: „Dialog und Transparenz – darauf setzen wir jetzt. Der Dialog mit den Fans ist mir wichtig. Ihre Sorgen nehme ich ernst.“ Nach Informationen der Sportschau hatten DFB und DFL in einer Präsentation im Oktober den Klubs einen Zwischenstand der Verhandlungen geschildert. Dabei kam es zu den kontroversen Vorschlägen wie personalisierten Tickets oder einem verschärften Vorgehen bei Stadionverboten.
Bremens Innensenator Ulrich Mäurer (SPD)
Personalisierte Tickets und Gesichtserkennung „sind vom Tisch“
Einen Streitpunkt räumte Mäurer ab. „Personalisierte Tickets und flächendeckende Ausweiskontrollen – das steht nicht auf der Tagesordnung. Das Thema Ticketing ist vom Tisch. Denn niemand wird die Stehplätze aufgeben. Und mit Stehplätzen, auf denen sich jeder frei bewegen kann, macht das Thema keinen Sinn.“ Fans hatten die Maßnahme als Generalverdacht kritisiert, Verbände und Vereine fürchteten einen großen Aufwand durch die notwendigen Kontrollen und stellten sich gegen die Maßnahme.
Auch das Thema Gesichtserkennung und KI-Überwachung stehe nicht auf der Tagesordnung, so Mäurer. „Das war vielen wichtig zu hören. Gesichtserkennung im Stadion – das verfolgen wir nicht weiter. Darauf haben wir uns verständigt.“
Stadionverbote – Tatvorwurf muss künftig „substanziell dargelegt werden“
Die von der Politik geforderte übergeordnete Stadionverbotskommission beim DFB soll aber weiter kommen. Gleichzeitig sollen aber die lokalen Kommissionen im Gegensatz zum ersten Vorschlag erhalten und auch zunächst zuständig bleiben. Mit dem neuen Prinzip könnte die übergeordnete Stelle eingreifen, wenn sie bei den Vereinen kein zufriedenstellendes Vorgehen feststellt. Zudem sollen bundesweit einheitliche Vorgaben gelten.
In Konfliktfällen könnten künftig sowohl die Polizei als auch der Verein die neue Kommission anrufen, so Mäurer. „Die Bundeskommission sorgt für einheitliche Standards. Aber die Entscheidungen fallen weiterhin in den lokalen Kommissionen.“
Aufmerken dürften Fanbündnisse bei den Worten Mäurers zu Stadionverboten: „Die bloße Einleitung eines Ermittlungsverfahrens reicht künftig nicht mehr aus. Der konkrete Tatvorwurf muss substanziell dargelegt werden und das Verfahren zügig geführt werden. Es darf keinen Automatismus geben. Es geht nicht darum, mehr Stadionverbote auszusprechen, sondern um mehr Rechtssicherheit auf beiden Seiten.“
Fanbündnisse kritisieren seit Jahren, dass Stadionverbote ohne erwiesene Schuld ausgesprochen werden können. Technisch sind sie keine Strafe, sondern eine Präventivmaßnahme, um ein Fehlverhalten zu verhindern. In der Praxis erleben sie aber viele Fans wie eine Sanktion.
Fanbündnisse begrüßen mögliche Kehrtwende
„Sollte die IMK entscheiden, sich auf die Fans zu zubewegen und Transparenz herzustellen, begrüßen wir das ausdrücklich“, teilte der Dachverband der Fanhilfen auf Anfrage der Sportschau mit. Den Wegfall der Maßnahmen bewerte der Verband positiv, „auch wenn es weiterhin absurd anmutet, dass überhaupt über Dinge wie eine Gesichtserkennung diskutiert wurde“. Man bleibe grundsätzlich skeptisch. „Ein offener und an den Fakten orientierter Dialog und ein Ende der Geheimhaltung muss erstmal beschlossen werden.“
Das Bündnis „Unsere Kurve“ teilte auf Anfrage mit: „Die breite Kritik an der Hinterzimmerpolitik und populistischen Schnellschüssen hat offenkundig Wirkung gezeigt. Wenn die Innenminister*innen jetzt einen Rückzug antreten, ist das ein Erfolg für die Fans und die Zivilgesellschaft. Wir erwarten, dass die geplanten Maßnahmen nun auch offiziell vom Tisch sind.“
Thema Pyrotechnik nicht auf der Tagesordnung
Das Streitthema Pyrotechnik steht laut Mäurer bei der Konferenz nicht zur Debatte. Er stellte klar: „Pyrotechnik gehört nicht ins Stadion. Das bleibt meine klare Haltung. Aber dieses Thema wird in der entsprechenden Arbeitsgruppe weiter bewegt und gegebenenfalls auf der nächsten Innenministerkonferenz im Juni behandelt.“
Von behördlicher Seite bestand in der Diskussion mit den Verbänden grundsätzlich die Erwartung für eine „Null-Toleranz-Strategie“ und entsprechende Maßnahmen. Für viele Fans gehört Pyrotechnik untrennbar zu einer lebendigen Fankultur, Politik und Polizei sowie Verbände verweisen immer wieder auf die Gefahren durch das Abbrennen, das deshalb verboten ist. Kompromisse für ein kontrolliertes Abbrennen kamen in der Vergangenheit nicht zustande.
Mäurer: „Zahlen zeigen: Gewalt geht zurück“
Mäurer stellte unter Bezugnahme auf den Jahresbericht 2024/25 der „Zentrale Informationsstelle Sporteinsätze“ (ZIS) der Polizei fest: „Die Zahlen zeigen: Die Gewalt in den Stadien geht zurück. Über 17 Prozent weniger Verletzte – das ist eine gute Entwicklung.“ In der Saison 2024/25 wurden dem Bericht zufolge in den oberen drei Ligen bei mehr als 25 Millionen Fans in den Stadien 1.107 Menschen verletzt, also etwa 0,004 Prozent. Die Zahlen sind damit rückläufig. Mäurer merkte an, dass die Belastung der Polizei weiterhin hoch sei.
Diese Erhebung nahmen die organisierten Fanszehen schon vor Wochen zu einem Protest auf und formulierten auf Plakaten mit Blick auf die anstehende Innenministerkonferenz: „IMK 25: Eure eigenen Statistiken zeigen: Die Stadien sind sicher. Populismus stoppen!“ In Leipzig gab es eine große Fandemo, zudem schwiegen viele Fankurven in den vergangenen Wochen symbolisch für zwölf Minuten. Auch DFB und DFL betonen immer wieder: Der Stadionbesuch ist sicher.
Aus der Politik kam trotzdem teilweise Widerspruch: Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul (CDU) betonte, dass auch 1.000 Verletzte weiterhin inakzeptabel seien und dementsprechend durchaus Handlungsbedarf bestehe. Im WDR sagte Reul: „Deshalb muss jetzt endlich etwas passieren, denn die Vereine sind ihrer Verantwortung bislang nicht ausreichend nachgekommen.“ Im ZIS-Jahresbericht kommt außerdem zur Sprache, dass sich manche Konflikte an Orte außerhalb der Stadien verlagerten, beispielsweise an Bahnhöfe.
Bayerns Innenminister kritisierte „Gespensterdiskussion“
Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU), der 2024 noch Schnellgerichte für Fans in den Stadien und Geisterspiele als Strafen gefordert hatte, sprach mit Blick auf die Fanproteste zuletzt von einer „Gespensterdiskussion“. Herrmann sagte: „Es werden angeblich geplante Maßnahmen kritisiert und Ängste geschürt, die auf der bevorstehenden Innenministerkonferenz in Bremen gar nicht zur Debatte stehen.“ Er halte es für unverantwortlich, mit falschen Behauptungen Panik unter den Fans zu verbreiten und die Sicherheitsdebatte „mit unbelegten Vorwürfen zu vergiften“.
Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU)
Darauf reagierte der Dachverband der Fanhilfen. „Der bayerische Innenminister kritisiert eine Debatte, die er durch die massive Intransparenz der IMK seit mehr als einem Jahr selbst mitzuverantworten hat“, sagte Verbandssprecher Oliver Wiebe einer Mitteilung zufolge. „Sämtliche Dokumente sind bis zum heutigen Tag unter Verschluss.“ Fanhilfen unterstützen unter anderem mit Rechtsberatung Fans, die in Konflikt mit der Polizei oder der Justiz geraten.
Oliver Wiebe vom Dachverband der Fanhilfen
2024 wurde eine „Bund-Länder-offene-Arbeitsgruppe“ (BLoAG) mit Vertretern der Politik, der DFL, des DFB und der Koordinationsstelle Fanprojekte gegründet. An der Arbeit gibt es Kritik: Beispielsweise gibt es mit dem Nationalen Ausschuss Sport und Sicherheit bereits eine Struktur für die Sicherheitsthemen. Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Fanprojekte sprach von einer „Parallelstruktur“. Wie Mäurer stellte auch Sachsens Innenminister Armin Schuster (CDU) aktuell einen Dialog mit Fans in Aussicht. „Das ist eines unserer nächsten Ziele“, sagte Schuster im MDR mehr als ein Jahr nach dem Beginn der Diskussion.
Die Innenministerien haben in der Diskussion gegenüber den Verbänden weiterhin ein entscheidendes Druckmittel. Seit einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts können die Länder Rechnungen für zusätzliche Polizeikosten bei Hochsicherheitsspielen an die Klubs schicken. Das und einen Eingriff der Politik in Sachen Kartenkontingente, Geisterspiele oder personalisierte Tickets fürchten die Verbände. DFB-Präsident Bernd Neuendorf betonte, dass behördliche Schritte und erzwungene Maßnahmen bei der Ausrichtung der Spiele kommen könnten, „wenn wir keinen Schritt zu machen bereit sind“.

