Musikgeschäft der KIs: Lasst sie doch einfach machen

E s wird gerne erzählt, dass zwar nicht viele Leute das Album „The Velvet Underground & Nico“ bei seiner Erstveröffentlichung 1967 gekauft hätten, dass aber alle, die den Einkauf getätigt haben, später eine Band gründeten. Und tatsächlich trat in den 1980er und 1990er Jahren eine große Zahl junger Bands auf den Plan, die sich auf die prägende Rolle dieses Album beriefen. Einige von ihnen – R.E.M., Sonic Youth, The Jesus & Mary Chain – wurden ziemlich erfolgreich. Haben sie für die Inspiration bezahlt?

Nun, sie haben sich vielleicht irgendwann einmal das Album gekauft. Damaliger Kaufpreis in der BRD: 18 DM. Wenn Lou Reed & Co davon 1 DM erhalten haben, hatten sie einen großzügigen Vertrag. Danach wurde dieses Exemplar wahrscheinlich zuschanden gespielt, Freun­d*in­nen vorgeführt, auf Partys gedreht, verliehen, auf Kassette für die Lieben kopiert und ist eventuell noch immer in Benutzung – aber es ist nie wieder Geld geflossen. Da würden The Velvet Underground doch womöglich ein Entlohnungssystem wie bei den Streamingdiensten vorziehen.

Es floss auch kein Geld, als sich die jungen VU-Fans etwas später in die Proberäume begaben und die Früchte dieser Arbeit schließlich ihrerseits unters Volk brachten. Das Copyright sieht keinen Inspirationsobulus vor. Wie sollte der denn auch bitte abgerechnet werden?

Ich mache mich wegen dieser neuerlichen Unzulänglichkeit des internationalen Copyright-Systems gerne zum Anwalt der Dinge, in diesem Fall der musikproduzierenden KIs. Ihnen missgönnt man die Inspiration, sie sollen mehr und pauschal und womöglich immer wieder zahlen. Dies aber ist eine Ungleichbehandlung. KIs müssen zahlen, Menschen nicht. Warum?

Die Rolle der Algorithmen

Die Welt der Musik befindet sich ja in einem permanenten Transformationsprozess, der zuletzt ein schwindelerregendes Tempo erreicht hat. „Aufgenommen“ wird Musik schon lange nicht mehr, sondern „produziert“, und die Rolle von Algorithmen in diesem Produktionsvorgang ist mit den Jahren immer bedeutender geworden.

Unzählige Tools von Synthesizern über Effektgeräte, Loops bis hin zu Autotune und lauter leckeren kleinen Gadgets für Sounddesign, Mixing und Mastering kommen dabei zum Einsatz. Schließlich sind – bislang – Mu­sik­pro­du­zen­t*in­nen auch nur Menschen und freuen sich, wenn man ihnen Arbeit abnimmt.

Zumal die kleinen Helferlein diese Jobs schneller und präziser erledigen, wenn man mit ihnen umzugehen versteht. Aber der logische Schritt, die Musikproduktion ganz den Maschinen zu überlassen, versetzt Laien in Angst und Schrecken, Fachleute in Empörung, Kulturkritiker in Endzeitstimmung und löst bei den Interessenverbänden der Musikwirtschaft den Inkasso-Reflex aus.

Laien fürchten, dass KIs wie die Aliens in den SciFi-Fantasien der 1930er Jahre die Menschheit versklaven oder auslöschen, Fachleute bangen um ihren Job, Kulturkritiker fürchten eine weitere grundsätzliche „Kränkung der Menschheit“ wie seinerzeit durch Kopernikus, Darwin und Freud, der Musikwirtschaft ist eh alles egal, solange Geld fließt.

Kunst interessiert nur eine Minderheit

Im Magazin Der Spiegel fordert der Musikproduzent und Autor Johann Scheerer als Gegengift „eine klare Kennzeichnung von KI-generierten Inhalten“ und „eine musikalische Gegenbewegung, die schätzt, was wir an Musik lieben: das Menschliche, das Unerwartete, das Überraschende“.

Ich fürchte, dass viele Leute genau diese Dinge an Musik stören. Mehr noch als bei der Produktion von Me-too-Musik, die sich innerhalb der Grenzen altbewährter und eigentlich auserzählter Genres wie Schlager, Country oder Indie-Rock bewegt, liegt das große Geschäft für KIs in instrumentaler Friseursalon- und Fitnessstudio-Muzak. Kunst interessiert nur eine verschwindende Minderheit.

Das war aber schon immer so. Seit die Musik zu einem Wirtschaftszweig geworden ist, in dem sich viel Reibach machen lässt, war – Verzeihung – Scheißmusik die Norm und Kunst die Abweichung. Ob diese Scheißmusik nun von Menschen oder KIs produziert wird, ist doch eigentlich herzlich egal.