Murnau in Erl: „City Girl“

Er war ein deutscher Starregisseur und wurde von Hollywood abgeworben. Dort drehte Friedrich Wilhelm Murnau (1888-1931) sein Meisterwerk „Sunrise“, was ihm bei der ersten Verleihung 1929 gleich drei Oscars einbrachte. Kommerziell war der Film aber kein Erfolg, sodass sich das Fox-Studio danach bei „City Girl“so stark einmischte, dass Murnau im Streit das Set verließ. Im Festspielhaus Erl spielt der Musiker und Komponist Neil Brand mit der Band The Dodge Brothers am Mittwoch live zu „City Girl“ auf großer Leinwand.

Startenor Jonas Kaufmann ist Intendant der Tiroler Festspiele Erl und hat sich mit den Musikfilmtagen Oberaudorf und deren künstlrischem Leiter, Markus Aicher, zusammengetan.
Startenor Jonas Kaufmann ist Intendant der Tiroler Festspiele Erl und hat sich mit den Musikfilmtagen Oberaudorf und deren künstlrischem Leiter, Markus Aicher, zusammengetan.
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Startenor Jonas Kaufmann ist Intendant der Tiroler Festspiele Erl und hat sich mit den Musikfilmtagen Oberaudorf und deren künstlrischem Leiter, Markus Aicher, zusammengetan.

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AZ: Mr Brand, „City Girl“ ist ein Film, der filmgeschichtlich mehrere Widerhaken hat: Er war als Stummfilm geplant, der Tonfilm kam auf, plötzlich sollten Tonsequenzen hinzukommen. Murnau hat daraufhin entnervt den Dreh verlassen, und ein Assistent machte weiter…
NEIL BRAND: Aber „City Girl“ ist ein Stummfilm – nur eben mit ersten Tonsequenzen, was Murnau als merkwürdige Mischform nicht passte. Glücklicherweise sind die Tonsequenzen alle verschollen, sodass er heute wieder im Sinne Murnaus ein reiner Stummfilm ist.

Sie sagen hin und wieder, Sie würden einen Film nicht kennen, ehe Sie live dazu spielen.
Nein, das ist Koketterie. „City Girl“ zum Beispiel habe ich vor längerer Zeit am Klavier begleitet – bei einem Festival in Bologna. Danach habe ich einmal zusammen mit den Dodge Brothers zu „City Girl“ gespielt, aber auch das ist länger her. So haben wir mit dem Film zwar Erfahrung, aber mit dem Zeitabstand ergibt sich wieder ein größerer Improvisationsspielraum.

Sie am Piano sind das eine. Aber zusammen mit einer Band ist das doch was ganz anderes.
Absolut. So eine Rockabilly Americana Band bringt mehr Energie rein. Und zum amerikanischen „City Girl“ passt das perfekt: der Mix aus sehr frühem Blues, Interrock und Piano. Das Drama mit Happy End ist unfassbar modern – wie ein Terence-Malick-Film mit weiten Weizenfeldern und einer Landschaft, von der man versteht, wie sie die Leute geprägt hat in diesem christlichen, strengen, weiten Farmerland Amerikas.

Friedrich Wilhelm Murnau mit Kamera.
Friedrich Wilhelm Murnau mit Kamera.
© imago images/United Archives
Friedrich Wilhelm Murnau mit Kamera.

von imago images/United Archives

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Und da kommt eine junge Frau hinein, die die Großstadt flieht, weil sie dort im Hexenkessel des modernen Großstadtlebens komplett einsam ist und sexuell belästigt wird.
Aber jetzt auf dem Land – dem großen Gegensatz dazu – ist sie genau Projektionsfläche für alles, was man hier der Großstadt nachsagt: lasterhaft, vergnügungssüchtig, gefährlich. Das alles kommentieren wir musikalisch Sekunde für Sekunde. Der Lead-Gitarrist, Mike Hammond, ist Film-Professor, der Filme genau analysiert.

Stummfilme hatten alle ja eine auskomponierte Begleitmusik – für Orchester in den großen Kinos und mit Klavierauszug in den kleineren.
Aber die meisten dieser rein untermalenden Kompositionen sind verschollen. Wir hingegen wollen einen moderneren Zugriff, sodass es eben nicht wie in einem Filmmuseum wirkt, sondern frisch. Gleichzeitig klingt unsere Musik aber im Fall von „City Girl“ nach Südstaaten – Kentucky oder Giorgia. So, als ob man eine lokale Band spielen lassen würde auf der Basis von Blues and Gospel – und Filmkomponisten wie meine Favoriten John Williams, Miklós Rózsa, Bernard Herrmann oder Korngold.

Und wie läuft dann der musikalische Prozess?
Mike Hammond zerlegt den Film in Szenen, unterlegt musikalische Vorschläge aus der Musik dieser Zeit. So sind 85 Teile entstanden, die wir als Grundelemente kennen. Wir arbeiten dann während des Films spontan damit. Ich bin mit dem Piano als Melodieführer dabei so eine Art „Großer Diktator“ für Rhythmus, Tempo und Ideen. Da gibt es zum Beispiel diese wunderbare Szene, wenn die junge Frau auf dem Land ankommt und alles von ihr abfällt, sie befreit durch die Ähren rennt. Da kann eine ganze Band viel mehr Gefühl reinlegen als ein einzelnes Klavier. Der Bassist steht hinter mir, beobachtet meine linke Hand und liest daraus die Tonart, die dann für alle bindend ist. Aber – man kennt das aus dem Jazz: In diesem Rahmen improvisieren wir.

Neil Brand: Der 67-Jährige aus Sussex ist Dramaturg, Autor, Komponist und arbeitete am Londoner National Film Theatre und Barbican Center. Als Stummfilmexperte und Begleiter tritt er weltweit auf und war schon mehrfach in München bei den Stummfilmtagen des Filmmuseums zu Gast.
Neil Brand: Der 67-Jährige aus Sussex ist Dramaturg, Autor, Komponist und arbeitete am Londoner National Film Theatre und Barbican Center. Als Stummfilmexperte und Begleiter tritt er weltweit auf und war schon mehrfach in München bei den Stummfilmtagen des Filmmuseums zu Gast.
Neil Brand: Der 67-Jährige aus Sussex ist Dramaturg, Autor, Komponist und arbeitete am Londoner National Film Theatre und Barbican Center. Als Stummfilmexperte und Begleiter tritt er weltweit auf und war schon mehrfach in München bei den Stummfilmtagen des Filmmuseums zu Gast.
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Und läuft das nicht auch mal aus dem Ruder?
Dazu sind wir zu lange schon zu gut eingespielt. Kommt einer mit einer abweichenden Tonart daher, sind wir sofort mit dabei. Das Gleiche gilt für einen neuen Melodieeinfall beim Blick auf die Filmszene. Bei alledem klingt es für den Zuhörer aber so, als ob es genau auskomponiert wäre, denn der Film steht im Mittelpunkt. Es ist eine so hohe Konzentration, dass man danach glücklich, aufgedreht, aber gleichzeitig komplett erschöpft ist.

Der Film „City Girl“ ist 1930 nicht gut angekommen.
Murnau hatte zuvor einen Meilenstein der Filmgeschichte gedreht: „Sunrise“. Dieser Maßstab hing an ihm wie ein Mühlstein, und jetzt wurde ihm auch noch eine unausgereifte Tonfilmtechnik aufgezwungen. Er wollte nach dem Meisterwerk „Sunrise“ lieber eine kleine, intimere Geschichte erzählen, obwohl alle etwas weiteres Großes erwarteten. Aber der „City Girl“ ist gerade in der intimen Erzählung einer universellen Liebes- und Fluchtgeschichte wunderbar und bewegend geworden. Und die Spannung kommt aus dem Kontrast zweier völlig verschieden Gesellschaften: der des Bibel-Gürtels und der liberalen Großstadt. Das ist, wenn man die gesellschaftlichen Konflikte in den USA heute anschaut, immer noch aktuell.

Und ist „City Girl“ bei alledem sentimental?
Dafür ist das Farmerleben zu hart und eingespannt in einen rigiden moralischen Kodex. Das macht die Charaktere so spannend, die in diesem Korsett ihren Weg finden müssen – gerade auch zueinander.

Musikfilmtage Oberaudorf vom 8. bis 13. Juli; „City Girl“ im Festspielhaus Erl, Mittwoch, 9. Juli,
19 Uhr, Info / Karten: www. musikfilmtage-oberaudorf.de (Shuttleservice ab Bahnhof Oberaudorf nach Erl und zurück)