Es war nicht unbedingt schön anzusehen, und der Elfmeter zum entscheidenden Tor wenige Minuten vor dem Spielende war so etwas wie ein frühes Weihnachtsgeschenk des deutschen Schiedsrichters Felix Zwayer. Beides wird dem FC Liverpool egal sein. Die Mannschaft steckt seit Wochen tief in der Krise, sie kann deshalb jeden Sieg gebrauchen – und nach dem „Wie“ fragt mit genügend Abstand bekanntlich keiner mehr.
Der Niederländer hat in der vergangenen Saison – seiner ersten in Liverpool – auf Anhieb die Meisterschaft gewonnen. Doch dieses Jahr läuft es nicht nach Plan, trotz Spielerkäufen im Wert von umgerechnet mehr als 480 Millionen Euro. In der Premier League steht der Klub nur auf dem zehnten Platz, mit dem Titelkampf wird er aller Voraussicht nach nicht mehr in Berührung kommen.
Am vergangenen Wochenende platzte Salah der Kragen
Gegen Inter stellte Slot nun personell und auch taktisch um, experimentierte mit einer Raute im Mittelfeld und erst zum zweiten Mal in dieser Saison mit der Doppelspitze des früheren Frankfurters Hugo Ekitiké zusammen mit Alexander Isak. Die wohl schwerwiegendste personelle Weichenstellung hatte Slot aber schon vorher vorgenommen: als er entschied, Mohamed Salah nicht nach Mailand mitzunehmen.
In den drei zurückliegenden Premier-League-Spielen stand er deshalb nicht mehr in Slots Startformation, zweimal saß er die vollen 90 Minuten nur auf der Bank. Nach dem 3:3 gegen Leeds United am vergangenen Wochenende platzte Salah schließlich der Kragen.
In der sogenannten Mixed Zone, wo die Profis nach den Spielen auf die Presse treffen, diktierte er einem norwegischen Reporter seine ausführliche Beschwerde ins Mikrofon. „Ich bin sehr, sehr enttäuscht“, sagte er: „Ich habe so viel für den Verein getan, und jetzt sitze ich auf der Bank und weiß nicht mal wieso.“ Für ihn fühle es sich so an, als werde er zum Sündenbock für die Krise gemacht, so als wollte man ihn aus dem Verein vergraulen.
Mit Slot habe er eine gute Beziehung gehabt, klagte Salah weiter, „und plötzlich haben wir gar keine Beziehung mehr“. Ein Spieler seines Formats müsse nicht jeden Tag um seine Position kämpfen, „weil ich sie verdient habe“. In England kam besonders der letzte Punkt nicht gut an. Der „Guardian“ schrieb von einem „kalkulierten Ausbruch“, wodurch Salah womöglich einen Wechsel im Winter erzwingen wolle.
Slots Schritt war riskant, aber er hat funktioniert
In jedem Fall aber hat Salah mit seinen Aussagen einen Machtkampf provoziert. Sein Angriff gegen Slot ist so unmissverständlich, dass der Trainer die Angelegenheit nicht auf sich beruhen lassen konnte – zumal auch er wegen des sportlichen Misserfolgs längst öffentlich angezählt ist. Indem er Salah aus dem Champions-League-Kader strich, hat er bewiesen, dass er „nicht schwach“ ist, wie er selbst sagte.
Der Schritt war riskant, aber er hat funktioniert; auch wenn von einem spielerischen Befreiungsschlag in Mailand beim besten Willen keine Rede sein konnte. Wohl aber demonstrierte die Mannschaft Einsatzwillen und Geschlossenheit, was die mitgereisten Fans honorierten. Bestimmt nicht alle, aber viele von ihnen sangen im Stadion hörbar Slots Namen. „Das bedeutet mir viel“, sagte der Trainer in der anschließenden Pressekonferenz.
Wie geht es jetzt weiter? Am Samstag spielt Liverpool in Anfield gegen Brighton & Hove Albion. Ob Salah dann wieder Teil des Kaders sein wird, scheint zum jetzigen Zeitpunkt völlig offen. Am Montag darauf reist der ägyptische Nationalspieler dann zum Afrika-Cup nach Marokko. Erst im April hat er in Liverpool einen Vertrag über weitere zwei Jahre unterschrieben, jetzt aber häufen sich Gerüchte um angebliche Interessenten in der Saudi Pro League – unter anderem.
Slot sagt, er habe „keine Ahnung“, ob Salah jemals wieder für Liverpool spielen werde, die Tür sei aber nicht grundsätzlich zu. „Im Leben macht jeder Fehler. Aber weiß der Spieler, dass er einen Fehler gemacht hat?“, fragte der Trainer am späten Dienstagabend. „Sollte die Initiative von ihm kommen oder von mir? Das ist eine andere Frage.“
