Modedesigner Giorgio Armani im Alter von 91 Jahren gestorben

Was hat er nicht alles getan in seinen letzten Jahren! Noch im Oktober vergangenen Jahres hat Giorgio Armani seine neue große Boutique an der Madison Avenue eröffnet. In den oberen Stockwerken bietet sie zehn private Luxus­wohnungen, die er selbst konzipiert hat. Wie besessen hat er zuletzt an seinen Couture-Kollektionen gearbeitet – in diesem Jahr feiert die Linie Armani Privé zwanzigjähriges Bestehen. Und noch ein größeres Jubiläum stand in diesem Jahr an: Vor 50 Jahren wurde Giorgio Armani gegründet – eine der prägenden Modemarken des 20. Jahrhunderts.

Am Donnerstag ist Giorgio Armani, der die italienische Mode neu definierte, im Alter von 91 Jahren in Mailand gestorben. „In diesem Unternehmen haben wir uns immer wie ein Teil einer Familie gefühlt“, teilten seine Mitarbeiter und seine Familie in einer Erklärung am Nachmittag mit. „Heute spüren wir mit tiefem Gefühl die Lücke, die derjenige hinterlassen hat, der diese Familie mit Vision, Leidenschaft und Engagement gegründet und gepflegt hat.“ Die Mitarbeiter und Familienmitglieder verpflichten sich in der Mitteilung, „das zu schützen, was er aufgebaut hat, und sein Unternehmen in seinem Andenken mit Respekt, Verantwortung und Liebe weiterzuführen“.

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Mit allem Respekt: Das wird eine Aufgabe werden, die selbst die Tausenden Mitarbeiter und die nächsten Angehörigen überfordern wird. Denn das Universum, das dieser Designer in einem halben Jahrhundert schuf, wird ohne sein Zentral­gestirn schrumpfen. Natürlich wird nun die Marke weitergeführt. Aber wie soll sie neu belebt werden, kreativ und geschäftlich, wenn ihr Gründer sie bis zur letzten Minute geprägt hat – und auch kontrolliert, mit allem, was dieses Wort an Bedeutungen hergibt?

Das Modegeschäft erlernte er bei der besten Adresse Mailands

Vielleicht wird man zum Perfektionisten, wenn man ganz unten anfängt und alles allein aufbaut. Bei Giorgio Armani war das der Lebensweg. Geboren wurde er am 11. Juli 1934 in Piacenza in eine bürgerliche Familie. Geprägt hat ihn noch der Krieg: Beim Spielen wurde der Junge von einer explodierenden Granate verletzt; unter anderem am Gesicht erlitt er Verbrennungen, die ihn fürs Leben zeichneten. Ganz unten fing er dann wortwörtlich an: Nach einem abgebrochenen Medizinstudium arbeitete er als Schaufensterdekorateur, musste also oft genug in die Knie gehen, um die Puppen tanzen zu lassen. So lernt man Styling und Demut.

Das Modegeschäft erlernte er bei der besten Adresse Mailands: im Kaufhaus Rinascente am Dom, wo er bald für die Herrenmode zuständig war und neue Entwürfe bei den Modemachern orderte. Bei Altmeister Nino Cerruti erlernte er in den Sechzigerjahren als Assistent die Leichtigkeit. Erst nach weiteren fünf Jahren als freier Designer gründete er Mitte der Siebzigerjahre seine eigene Marke. Das passte: Denn plötzlich erlebte die Mailänder Mode einen unglaublichen Aufschwung mit Designern wie Krizia, Gianfranco Ferré und Gianni Versace. Noch Miuccia Prada und Dolce & Gabbana sollten in den Neunzigerjahren von diesen Jahren des Aufbruchs profitieren.

Nimmt den Applaus der Zuschauer entgegen: Giorgio Armani im Januar 2007 in Mailand, nachdem er seine neueste Männer-Kollektion präsentiert hat.
Giorgio ArmaniUnerreicht bis zum Schluss

Giorgio Armani war ein Revolutionär der Mode. Aber nicht im Sinne von Versace, der sich selbst im Provozieren immer wieder überbot, der sich in Mustern und Farben erging, als gäbe es kein Morgen. Sondern eher höflich, still und leise. Die Farben: zurückhaltend. Die Formen: körpernah. Die Stimmung: positiv.

Er war auch ein guter Marketingmanager

Um die Wirkung seiner ungefütterten Anzüge und seiner runden Schultern zu verstehen, muss man sich die Mode der Zeit vor Augen halten, die noch weit­gehend vom britischen Stil eines Hardy Amies geprägt war. In den Herrenhäusern und Schlössern auf der Insel war es trotz offenen Feuers im Kamin kalt, da brauchte man schwere Tweedstoffe, um den Winter zu überstehen. Giorgio Armani setzte gegen den erdrückenden Stil des Nordens nun italienische Leichtigkeit.

Der Herrenmodedesigner war auch ein guter Marketingmanager. Am schönsten sah man das gleich 1980 im Film „Ein Mann für gewisse Stunden“ („American Gigolo“): Da trug Richard Gere sein Hemd schon so weit aufgeknöpft, wie es heute Banker gerne beim Apéro nach Dienst halten, die lockere Jacke an einem Finger über die Schulter geworfen, die Anzüge schon in der Farbe, für die ­Armani das Wort ­Greige schuf – aus Grau und Beige. Ja, die Schultern wurden in den Neunzigern unansehnlich breit. Und ja, diese Bundfalten waren nicht immer in Mode. Aber Armani hielt durch und machte immer weiter.

Italienische Mode für den amerikanischen Gigolo: Auch Richard Gere trug 1980 Armani.
Italienische Mode für den amerikanischen Gigolo: Auch Richard Gere trug 1980 Armani.Picture Alliance

Leider auch mit Damenmode. Leider deshalb, weil die Entwürfe für Frauen nie an die prägende Wirkung seiner Herrenmode heranreichten. Es war gewisser­maßen umgekehrt wie bei Coco Chanel, Christian Dior oder Karl Lagerfeld – die mit den Damen brillierten, aber von der Männermode zum Glück meist die Finger ließen. Wenn er seine Kollektionen in seinem von Tadao Ando gebauten Hauptsitz präsentierte, konnte es passieren, dass die Damenmode in ihrer gewollten Grazie die Modekritiker zu stillem Protest animierte, den höchstens der Sitznachbar mitbekam. Nicht einmal Nicole Kidman konnte auf dem roten Teppich letztlich in Armani überzeugen. Die Männer hingegen erlöste dieser Mann von jahrhundertealten Verkrampfungen. Man beachte nur seinen Post-Show-Look: nachtblaue Hose, nachtblaues T-Shirt, weiße Turnschuhe, ausgebreitete Arme, ein strahlendes Lächeln – fertig.

„Die Menschen wollen Giorgio Armani haben“

Wie nebenbei schuf Giorgio Armani einen Konzern mit Milliardenumsätzen. Er erfand Designerhotels mit den passenden Möbeln, stattete den SSC Neapel aus, arbeitete in Sachen Beauty mit L’Oréal zusammen, holte das Restaurant „Nobu“ nach Mailand und ließ eine Super-Yacht ins Wasser, die er nach seiner Mutter benannte. Wie all die anderen Designer, die sich zu mehr berufen fühlen, brachte er auch eine Home-Kollektion mit Möbeln und Interieurdesign heraus (Armani Casa). Er verkauft sogar Pralinen und Blumen und Kaffee und noch mehr Krimskrams. Am schönsten kann man es im Armani-Café und den Geschäften an der Via Manzoni, um die Ecke seines Wohnhauses, und natürlich an der Via Montenapoleone verfolgen, wo er all den Luxus anbietet, den niemand braucht, den aber jeder haben will. Unvergessen die Worte des Düsseldorfer Einzelhändlers Albert Eickhoff: „Bleiben Sie mir fort mit diesen Berliner Designern! Die Menschen wollen Giorgio Armani haben.“

Edle Einfalt, stille Größe: Giorgio Armani trat auch nach seinen Modenschauen (hier im Juni 2011) in schlichten Klassikern auf.
Edle Einfalt, stille Größe: Giorgio Armani trat auch nach seinen Modenschauen (hier im Juni 2011) in schlichten Klassikern auf.Helmut Fricke

Er blieb sich treu. Das galt auch für sein Unternehmen, das er nicht verkaufte, nicht an Kering, Richemont oder LVMH. Er baute auch keinen Kreativ-Nachfolger auf, wie Miuccia Prada das mit Raf Simons durchaus erfolgreich macht. Nein, Giorgio Armani machte die Dinge immer so, wie er sie für richtig hielt. Dazu gehörte auch, dass er auch geschäftlich für keine Nachfolge sorgte, zumindest wurde das bisher nicht bekannt. Um seine Nichte Roberta, die ihn jahrzehntelang unterstützte, war es zuletzt stiller geworden.

Er war seiner Zeit weit voraus

Er war der Meister, der auch dann die Sache und die Sachen unter Kontrolle hatte, als es ihm schlecht ging – ganz ähnlich wie Lagerfeld, der auf dem Sterbebett noch seine Fendi-Kollektion redigierte. Als Armani im Juni bei den Herrenmodenschauen in Mailand nicht anwesend sein konnte, weil er schon zu geschwächt war, da verfolgte er alles, was vor und hinter der Bühne geschah, über eine Live-Kamera. Als die Schau drei Minuten nach der angesetzten Zeit noch nicht begonnen hatte, rief er an und verbreitete backstage doch einige Unruhe: Jetzt werde es ja wohl langsam Zeit, sagte er.

Dann brach Hektik aus, und die Männermodels wurden schnell auf die Bühne geschickt. Als die Schau mit nur zehn­minütiger Verspätung begann, waren aber viele Gäste noch gar nicht da. Denn sie hatten die übliche Verspätung von einer halben Stunde einkalkuliert.

Nun waren sie zu spät und standen vor der Tür in der Mailänder Sonne. Wie symbolisch! Noch in seinen letzten Tagen war Giorgio Armani seiner Zeit weit ­voraus.