Mobility-Sparte: Gehört den Siemens-Zügen wirklich noch die Zukunft?

Siemens verdoppelt die Nutzfläche seiner Zugfabrik in München-Allach. Der Schritt ist ein erstaunliches Bekenntnis zur Zugsparte, die viele Investoren gar nicht mehr bei Siemens sehen wollen. Wie gut passt das Geschäft mit Lokomotiven und Waggons noch zu einem modernen Technologie-Konzern?

Franz Kriebel ist kaum zu verstehen. In den Fabrikhallen hinter ihm dröhnen Hämmer und blitzen die Lichter der Schweißer. Vor Kriebel werden Rohausführungen von Lokomotiven vorbeigeschoben. Kriebel, Leiter der Schweißerei im Zugwerk München-Allach des Technologiekonzerns Siemens, wirkt inmitten der gigantischen Hallen wie ein Zwerg.

Siemens hat die Nutzfläche in dem Werk gerade verdoppelt und 500 neue Arbeitsplätze geschaffen. Technische Bereiche wie Mechatronik, Schlosserei und Schweißerei wurden personell verstärkt. Doch die Geheimwaffe von Kriebel ruht noch in einem überdimensionalen Kasten hinter ihm: ein Schweißroboter, groß genug, um bis zu neun Meter lange Bauteile für Züge bewegen zu können. Hände und Roboterarme greifen hier Arm in Arm – unterstützt durch künstliche Intelligenz.

Am Montag präsentierte Siemens die erweiterte Zugfabrik in München-Allach, die zugleich der neue Hauptsitz der Zugsparte Siemens Mobility wird, der Öffentlichkeit. Mit Superlativen sparte der Konzern dabei nicht. Als „eine der modernsten Zugproduktionen Europas“ lobte Siemens die Erweiterung. Um diese zu stemmen, hat Siemens seit dem Jahr 2023 kontinuierlich in den Ausbau investiert. Insgesamt flossen seitdem rund 250 Millionen Euro in das Werk. Rund 2500 Mitarbeiter beschäftigt der Konzern an dem Standort in München-Allach. Neben Fertigung und Service findet dort auch Forschung und Entwicklung statt.

Für den Standort Deutschland ist die Werkserweiterung eine gute Nachricht. Zugleich bedeutet sie für Siemens ein erstaunliches Bekenntnis zu einer Sparte, die laut vielen Investoren und Analysten gar nicht mehr zu Siemens passen würde.

Seit Vorstandschef Roland Busch und dessen Vorgänger Joe Kaeser den Konzern konsequent auf digitale Fabrikautomatisierung ausgerichtet haben, gilt die Bahnsparte Kritikern als Überbleibsel der alten Siemens-Zeit, in denen der Konzern von der Kaffeemaschine bis zur Gasturbine so ziemlich alles herstellte – und dabei auf wertvolle Synergien verzichtete.

Siemens Energy als glorreiches Vorbild?

„Das Mobility-Geschäft ist stark projektgetrieben, von politischen Entscheidungszyklen abhängig und durch hohe Ergebnisvolatilität geprägt“, urteilt etwa Maria Mihaylova, Fondsmanagerin bei Union Investment, über die Bahnsparte. „Ein Verkauf oder eine Abspaltung könnte mittelfristig helfen, um die strategische Ausrichtung des Konzerns zu schärfen und die Kapitalmarktstory klarer zu positionieren“, so Mihaylova.

Der Druck von Investoren auf Siemens-CEO Roland Busch, das Bahngeschäft auszugliedern, ist hoch. Ebenso wie das Geschäft mit Medizintechnik und Gasturbinen, die ausgegliedert wurden und heute als Siemens Healthineers beziehungsweise Siemens Energy als eigenständige Unternehmen firmieren, fordern viele Investoren diesen Schritt auch für die Zugsparte. Welche Zukunft hat die Bahnsparte – trotz der imposanten Werkserweiterung – bei Siemens?

In einem hinteren Teil der Fabrik steht Norman Fiege vor einer Lok und blickt auf einen angeschlossenen Monitor. „Schauen wir mal, was das Fahrzeug uns zu sagen hat“, sagt der Leiter des Kundenservices und zieht sich die Daten der Lok auf den Bildschirm. „Hier sehen wir zum Beispiel, dass bei dieser Lok zu häufig und zu stark gebremst wurde. Dadurch können sich Plateaus bei den Radschrauben bilden“, sagt Fiege.

Die Daten sind die Grundlage für die Wartung und den Bau der Loks und Waggons in dieser Fabrik. Sie ermöglichen etwa die Automatisierung von Funktionsprüfungen. So müssen Fiege und seine Mitarbeiter nicht nachsehen, ob alle Lüfter in einem Waggon korrekt funktionieren. Die Daten verraten es ihnen auf einen Blick. Zugleich fließen die gewonnenen Daten in die Konstruktion neuer Züge mit ein.

„Bahnsparte bleibt im Konzern“

„In Erlach trifft Stahl auf künstliche Intelligenz“, formuliert es Michael Peter, CEO bei Siemens Mobility. Peter betont, wie stark der klassische Bau von Zügen und Lokomotiven bei Siemens Mobility mit KI-Anwendungen kombiniert werde. So kämen in München-Allach lasergeführte Installationen, Robotik und Digitale Zwillinge zum Einsatz.

Siemens-Chef Roland Busch erteilte Abspaltungsforderungen der Bahnsparte am Montag eine klare Absage. „Die Bahnsparte bleibt im Konzern“, so Busch. „Unser Bahngeschäft ist führend, was Technologie, Profitabilität und Cashflow anbelangt. Das werden wir weiterhin verteidigen und ausbauen. Und das geht nur im Siemens-Verbund“, sagte Busch gegenüber WELT.

Wie stark Automatisierung und Digitalisierung den Bau von Zügen bei Siemens verändert haben, macht Busch dabei an einem Beispiel fest. „Früher haben wir in dieser Fabrik eine Lok pro Woche gefertigt. Heute sind es fast zwei Loks pro Tag“, sagte Busch. Geschafft habe der Konzern das durch konsequente Automatisierung der Fertigung.

Andreas Macho ist WELT-Wirtschaftsreporter in Berlin mit dem Schwerpunkt Gesundheit.