
Ein mutmaßlicher Fall von Mobbing in einer Grundschule in Saargemünd (Sarreguemines) erschüttert Frankreich. Die neun Jahre alte Sara P. hat sich in der Kleinstadt in der Nähe der deutschen Grenze das Leben genommen. Ihre Mutter fand sie am Samstagmorgen tot im Zimmer ihres Bruders. Das Mädchen hinterließ einen Abschiedsbrief. Sie soll sich seit Beginn des Schuljahrs im September beklagt haben, in der Schule ständig gehänselt zu werden. Das Mädchen habe fast jeden Tag in der Schule geweint, weil Klassenkameraden es als „dick und hässlich“ verspottet hätten, berichtete eine gleichaltrige Freundin den Ermittlern.
Unklar blieb, ob die Eltern bereits zuvor Kontakt zur Schulleitung gesucht hatten. Wie die französische Presse berichtete, ahnten die Eltern nichts von den seelischen Qualen ihrer jüngsten Tochter. Die Familie sei fassungslos. Sara P. wuchs mit sechs älteren Geschwistern auf. Am Montag sind Berichten zufolge zwei ältere Brüder der Verstorbenen vor dem Schultor aufgetaucht und haben die Blumensträuße und Kerzen weggeräumt, die als Zeichen der Anteilnahme abgelegt worden waren. Die Brüder verlangten, dass ein Schild am Schultor angebracht wird: „Die Familie möchte nicht, dass Sie Blumen niederlegen.“
Die Leiche des Mädchens wurde zur Autopsie in das Institut für Rechtsmedizin gebracht. Wie der zuständige Staatsanwalt Olivier Glady mitteilte, wird wegen des Verdachts von schulischem Mobbing ermittelt. Sara P. hatte kein Mobiltelefon, sodass ausgeschlossen werden kann, dass sie in den sozialen Netzwerken bedrängt wurde. Das Mädchen ging in die fünfte Klasse der Grundschule Montagne Supérieure der 20.000-Einwohner-Stadt.
„Das war wirklich nicht nett“
Eine Klassenkameradin sagte dem Fernsehsender TF1, dass sie wegen ihres Gewichts geärgert wurde. „Sie weinte jeden Tag“, so das Mädchen. Sie habe ihr gesagt, dass sie es satthabe, dass sie die Hänseleien nicht mehr aushalte. „Ich sagte ihr, dass das aufhören würde, aber es hörte nicht auf“, berichtete die Klassenkameradin. Ein Klassenkamerad, Abnor, sagte der Nachrichtenagentur AFP, sie sei auch nach der Schule von zwei, drei Mitschülern gehänselt worden. „Das war wirklich nicht nett“, sagte Abnor. Sara sei eigentlich lustig gewesen, aber sie sei wegen ihres Aussehens verspottet worden.
Die zuständige Schulbehörde richtete am Montag eine Anlaufstelle für psychologische Betreuung ein. „Die Academie de Nancy-Metz bekräftigt ihr Engagement für das Wohlergehen der Schüler und die Unterstützung der Lehrkräfte. Die gesamte Bildungsgemeinschaft ist von diesem dramatischen Ereignis erschüttert und teilt die Trauer der Familie und der Angehörigen, denen sie ihr aufrichtiges Beileid ausspricht“, heißt es in einem Kommuniqué der Behörde.
Ein Zehntel der Schüler von Mobbing betroffen
Es sei unklar, ob sich das Lehrpersonal etwas vorzuwerfen habe. Die Zeitung „Le Figaro“ berichtete, die Schulbehörde habe versucht, den Vater davon abzubringen, eine Strafanzeige wegen unterlassener Hilfeleistung gegen das Lehrpersonal einzureichen. Der Bürgermeister von Saargemünd, Marc Zingraff, hat sein Beileid bekundet. Die Schule liegt in einem besonderen Förderungsgebiet und sei mit entsprechenden Mitteln ausgestattet, hieß es. Zum jetzigen Stand der Ermittlungen äußerte sich Staatsanwalt Glady „sehr vorsichtig“. Es gebe keine Hinweise darauf, dass Sara ihre Tat angedeutet habe.
In den sozialen Netzwerken hat die Mutter regelmäßig Fotos ihrer sieben Kinder im Alter zwischen 28 und neun Jahren gepostet. Eines zeigte eine lächelnde Sara bei ihrem Geburtstag. „Ich wünsche meinem kleinen Schatz alles Gute zum 9. Geburtstag, dicke Küsse, ich hab dich lieb“, schrieb ihre Mutter dazu. Ende November wäre Sara P. zehn Jahre alt geworden.
In Frankreich ist schätzungsweise ein Zehntel der Schüler von Mobbing betroffen. Mehrere Suizide von Jugendlichen, die zuvor über anhaltende Herabwürdigung durch Mitschüler geklagt hatten, haben dem Thema viel Aufmerksamkeit verschafft. 2023 kündigte die damalige Premierministerin Élisabeth Borne einen „unerbittlichen Kampf gegen Mobbing“ an. So wurden sogenannte Empathiekurse nach dänischem Vorbild eingeführt. Auch Eltern und Lehrkräfte sollen besser über die Gefahren von Mobbing aufgeklärt werden.