Milliardenerbe für das Finanzamt – Wirtschaft

Es war ein Erbschaftsstreit der Superlative – gleiches gilt nun auch für die angefallene Erbschaftsteuer: Die Familie des 2021 gestorbenen Knorr-Bremse-Unternehmers Heinz Hermann Thiele soll im April fast vier Milliarden Euro Erbschaftsteuer überwiesen haben – an das Finanzamt Kaufbeuren, wie die Bild-Zeitung zuerst berichtet hat. Nach SZ-Informationen wurde das Geld von der Heinz Hermann Thiele Familienstiftung gezahlt und dann wegen des Länderfinanzausgleichs nach einem bestimmten Schlüssel verteilt. Eine offizielle Bestätigung gibt es dafür nicht, wegen des Steuergeheimnisses. Auch die Familienstiftung äußert sich nur dahin gehend, „dass die Heinz Hermann Thiele Familienstiftung zu jeder Zeit ihren steuerlichen Verpflichtungen nachkommt“.

Die Überweisung der Thiele-Erben dürfte eine der höchsten Zahlungen sein, die bislang für ein Erbe in Deutschland anfiel. Zum Vergleich: Einer Statistik des Bundesfinanzministeriums zufolge haben die Bundesländer im gesamten vergangenen Jahr fast zehn Milliarden Euro an Erbschaftsteuer eingenommen –  was ebenfalls ein Rekord war. Der dürfte 2025 durch die Causa Thiele noch getoppt werden.

Dass das Steueraufkommen in diesem Fall so hoch ist, ist nachvollziehbar: Beim Nachlass von Heinz Hermann Thiele ging es dem Vernehmen nach um ein Vermögen von rund 15 Milliarden Euro. Der erfolgreiche Unternehmer war einer der reichsten Menschen in Deutschland. Eigentlich wollte er seinen Nachlass möglichst geräuschlos regeln, was wohl schon angesichts der schieren Größe illusorisch war. Thiele schob jedenfalls Jahre vor seinem überraschenden Tod eine Familienstiftung an, um jeden Streit zwischen seinen Erben zu vermeiden.

Der Patriarch war vorgewarnt. Sein Sohn Henrik sollte 2015 einen Vorstandsposten bei Knorr-Bremse bekommen, hatte aber nach einem Streit mit ihm gebrochen. Henrik verzichtete auf seinen Pflichtteil und stimmte 2017 einem Vergleich in Höhe von 25 Millionen Euro zu. Nach dem Tod seines Vaters focht er die Einigung vor Gericht an – jedoch ohne Erfolg. Tochter Julia Thiele-Schürhoff hatte dagegen Aufgaben bei Knorr-Bremse übernommen, sitzt im Aufsichtsrat und arbeitet im Vorstand der 2023 gegründeten Heinz Hermann Thiele Familienstiftung.

Nadia Thiele wollte dreistelliges Millionenhonorar für Nachlassverwalter verhindern

Thieles Bemühungen, sein Erbe diskret verteilen zu können, waren trotzdem vergebens. Im Gegenteil: Der Erbstreit fand sozusagen auf offener Bühne statt. Der Unternehmer hatte die Rechnung ohne seine Witwe Nadia gemacht. Sie sollte dem Vernehmen nach etwa eine Milliarde Euro vor allem in Form von Immobilien bekommen. Ihr mit 79 Jahren verstorbener Gatte hatte sie in seinem Testament jedoch nur als Vorerbin vorgesehen, die Stiftung wollte er als Nacherbin einsetzen. Sprich: Nach ihrem Tod sollte ihr Erbteil ebenfalls in die Familienstiftung fließen. Da wollte sie wohl mehr Mitspracherecht bei der Stiftungssatzung.

Nadia Thiele wollte zudem erreichen, dass Nachlassverwalter Robin Brühmüller abgesetzt wird. Der hatte jahrelang als Steuerberater und Wirtschaftsprüfer in Diensten des Patriarchen gearbeitet. Thiele stattete ihn dann mit Generalvollmacht aus und setzte ihn als seinen künftigen Testamentsvollstrecker ein. Letztlich war von einem Honorar in dreistelliger Millionenhöhe die Rede, angelehnt an die Tabelle des Deutschen Notarvereins. Anfang 2022 beantragten ihre Anwälte wegen der Vergütungsfrage jedenfalls beim Münchner Nachlassgericht die Entlassung Brühmüllers. Richter und Gutachter mussten sich mit der Frage auseinandersetzen, ob Heinz Hermann Thiele wusste, wie viel Geld dadurch bei seinem Testamentsvollstrecker landen würde.

Dass Nadia Thiele mit einer Entlassung Brühmüllers nur dessen potenziell dreistelliges Millionenhonorar kassieren wollte, hatte sie abgestritten, wie damals zu hören war. Letztlich solle die Stiftung davon profitieren. Die Witwe hatte Brühmüller außerdem Pflichtverletzungen vorgeworfen und dass er den letzten Willen ihres Mannes eigenen finanziellen Interessen untergeordnet habe. Doch letztlich blitzte Nadia Thiele mehrmals beim Nachlassgericht ab. Ebenso bei der Staatsanwaltschaft München, welche ihrerseits die Ermittlungen wieder einstellte.

Die Übertragung der Anteile an die Familienstiftung konnte dann Ende 2024 erfolgen, nachdem Brühmüller mit Nadia Thiele einen sogenannten Vermächtniserfüllungsvertrag unterzeichnet hatte. Im Hintergrund muss es also eine Einigung gegeben haben, über die die Beteiligten aber Stillschweigen bewahren. Erst im Februar 2024 war die Thiele-Witwe mit einem Eilantrag vor dem Münchner Verwaltungsgericht gescheitert, mit dem sie die Stiftungssatzung nachträglich verhindern wollte. Im Dezember 2024 konnte die Heinz Hermann Thiele Stiftung dann unter anderem Stimmrechte von 58,99% an der Knorr-Bremse AG sowie 50,09% an der Vossloh AG übernehmen.

So ruckelig es auch beim Nachlass Thieles zuging: Bei seinem Lebenswerk war Heinz Hermann Thiele ungleich erfolgreicher.  Innerhalb weniger Jahrzehnte war es ihm gelungen, aus einem kleinen Münchner Fahrzeugzulieferer einen Weltmarktführer für Bremssysteme im Lkw- und Bahnbereich zu machen. Mit 30 000 Mitarbeitern und acht Milliarden Euro Jahresumsatz. Fast ein bisschen ironisch ist dabei der Umstand, dass Thiele seine Karriere letztlich ebenfalls Familienstreitigkeiten zu verdanken hat. Als Sachbearbeiter hatte er in der Patentabteilung des Unternehmens begonnen, als Vertriebschef vermittelte er später zwischen den Erben des Gründers. Bis er Mitte der Achtzigerjahre die Mehrheit an Knorr-Bremse übernahm.