

Bis zum Wochenende will der neue starke Mann in Prag, Andrej Babiš, dem Präsidenten die Minister seiner Drei-Parteien-Koalition vorstellen. Doch ob der überragende Sieger der Parlamentswahl von Anfang Oktober in der Tschechischen Republik auch Ministerpräsident werden kann, was er dringend will, ist unklar. Denn dem Premierminister Babiš steht der Milliardär und Geschäftsmann Babiš im Wege.
Der tschechische Gesetzgeber hat dem Personalwechsel aus der Wirtschaft in die Politik Grenzen gesetzt. So darf ein Politiker keine Medien oder Unternehmen besitzen, die öffentliche Gelder bekommen oder Staatsaufträge ausführen. Nicht zufällig heißt das Gesetz „Lex Babiš“.
Es war 2017 beschlossen worden, als Babiš sechs Jahre nach der Gründung der politischen Bewegung ANO („Ja“) erstmals Ministerpräsident wurde. Schon damals wurde über Interessenkonflikte und unsachgemäße EU-Förderung geredet, die sein Unternehmen Agrofert in den Jahren 2014 und 2015 kassiert habe, als der Eigentümer Finanzminister war. Justizverfahren dazu laufen immer noch.
Der „tschechische Donald Trump“
Vor acht Jahren hatte er deshalb seinen Agrarkonzern Agrofert in zwei Trusts eingebracht und auf persönliche Einflussnahme verzichtet. Doch nach der Wahlniederlage 2021 wurde die Konstruktion aufgelöst und Babiš ausgerechnet im Wahljahr 2025 formell Eigner des Konzerns mit einem Umsatz von 8,8 Milliarden Euro im zuletzt bilanzierten Jahr 2023. Währenddessen tourte der von der Zeitschrift „Forbes“ als „tschechischer Donald Trump“ deklarierte Milliardär mit einem Wohnmobil durchs Land und machte Stimmung für sich. Sein auf 3,5 Milliarden Euro beziffertes Vermögen, es reichte für Rang sieben auf der Liste der reichsten Tschechen, stand ihm dabei nicht im Weg.
Babiš hat mehrfach versprochen, er werde den Interessenkonflikt zwischen politischer und wirtschaftlicher Macht lösen – aber nicht gesagt, wie. Die von Staatspräsident Petr Pavel verlangte öffentliche Erklärung darüber hat er bisher vermieden abzugeben. Pavel will Babiš deshalb nicht zum Premierminister ernennen. Das Gesetz verlangt eine Klärung bis zu 30 Tage nach der Ernennung. Pavel verlangt Klarheit vorher.
Dabei spielt wohl nicht nur die Rechtslage in Tschechien eine Rolle. Der Verfassungsrechtler Jan Kysela verweist in „Radio Prag“ auf die EU: Wenn Babiš mit der EU in einen Interessenkonflikt gerate, könne das „ein Problem für Tschechien werden, im Hinblick auf die Auszahlung von EU-Geldern“.
Die Macht des Präsidenten
Da der Staatspräsident in der Tschechischen Republik mehr Macht hat als der deutsche, wird das alles für Babiš ein Problem. Laut Artikel 68 der Verfassung wird der Premierminister „vom Präsidenten der Republik ernannt“. Die Abgeordneten stimmen später über den Regierungschef und seine Mannschaft ab.
Der Streit ist nicht der erste, den die beiden miteinander ausfechten: 2023 hatte sich der liberale, proeuropäische frühere NATO-General Pavel mit 57 Prozent der Stimmen in der Direktwahl um das Amt des Staatspräsidenten klar gegen den konservativen EU-Skeptiker Babiš durchgesetzt. Pavel kann für seine rigide Haltung nicht nur seine große Popularität, sondern auch Umfragen heranziehen. Dass er seine präsidentielle Autorität mit dem Verlangen etwas überstrapazierte, die Koalitionäre sollten ihr Regierungsprogramm in Haushaltsfragen, dem Umgang mit NGOs und den öffentlichen Medien überarbeiten, scheint dabei nicht geschadet zu haben.
Denn 70 Prozent der Tschechen stimmen dem Verlangen Pavels zu, Babiš möge vorab erklären, was mit seinem Vermögen geschehe. Mehr als die Hälfte sagt, solange das nicht geschehe, solle er nicht ernannt werden. Für den erfolgsverwöhnten Populisten Babiš, dessen politische Partner in der Vergangenheit laut tschechischen Medien mit Nazi-Parolen auftraten, ist das keine schöne Lage als abgestrafter Wahlgewinner.
Die öffentliche Debatte über seine Interessenkonflikte irritiert den ehrgeizigen Unternehmer sichtlich. Scheinbar ironisch rief er unlängst Reportern zu, sie würden ihm selbst bei seinem Tod noch einen Interessenkonflikt andichten. Dabei hatte er lange genug Zeit, sich auf die Situation vorzubereiten. Seit Jahren hatte seine ANO in allen Umfragen geführt, es wäre eine Überraschung gewesen, hätte sie die Wahl nicht gewonnen.
Friedensstiftende Auswege aus der Sackgasse, in die sich der Unternehmer und der Präsident manövriert haben, scheinen nicht in Sicht: Würde Pavel Babiš dennoch ernennen, machte er sich unglaubwürdig. Einen anderen Kandidaten als Babiš, etwa Parteivize Karel Havlíček, will ANO auch nicht auf den Schild heben. In Prag sagen viele, das gehe nicht, weil ANO passgenau auf den 71 Jahre alten Haudegen zugeschnitten sei. Andererseits war Babiš machtpolitisch immer flexibel. Warum also sollte er nicht – Option drei – sein Unternehmen an eines seiner vier Kinder verschenken? Oder lieber dann doch – Option vier – alles in einen Trust stecken und Regierungschef werden? Schließlich lässt sich nicht sagen, dass sich die Geschäfte im Babiš-Konzern ohne dessen direkte Einflussnahme schlecht entwickelt hätten.
Als Ingenieur zum Milliardär
Wie aus dem Nichts hat der in den 1970er-Jahren in Bratislava ausgebildete Wirtschaftsingenieur Babiš ein international agierendes Wirtschaftsimperium geschaffen. Über dessen kapitalistische Anfänge nach dem Zerfall des Sozialismus gibt es ebenso Unklarheiten wie über Babiš‘ Lebenslauf selbst. Als Kind eines Handelsdelegierten wuchs er in Paris und Genf auf, als junger Mann arbeitete er für das Exportunternehmen des sozialistischen Staates in Marokko.
Der Firmenlegende nach legte er den Grundstock für seinen Reichtum vor 33 Jahren, am 25. Januar 1993, als er Agrofert mit vier Mitarbeitern gründete. 30 Jahre später weist die Bilanz 2023 einen vor allem in Zentraleuropa agierenden Konzern mit 230 Beteiligungen in 20 Ländern umgerechnet 8,8 Milliarden Euro Umsatz und 232 Millionen Euro Gewinn nach Steuern aus. Aktuell werden knapp 29.000 Beschäftigte gezählt.
Agrofert beherrscht die tschechische und slowakische Landwirtschafts- und Lebensmittelindustrie, ist aber weit darüber hinaus tätig. Zum Portfolio gehören Chemie, Land- und Forstwirtschaft, Lebensmittel- und Holzverarbeitung, Landtechnik, Logistik und Transport sowie erneuerbare Energien. Aus dem Mediengeschäft hat man sich mit dem Verkauf der MAFRA-Gruppe 2024 endgültig zurückgezogen. Laut Beobachtern hatte das aber keinen Einfluss auf deren eher wohlgesinnte Berichterstattung über ANO und deren Vorsitzenden.
Auch in Deutschland unternehmerisch aktiv
Agrofert nennt sich einen führenden Investor in der Tschechischen Republik und der Slowakei sowie einen „bedeutenden Investor in Ungarn, Österreich, Frankreich und Deutschland“. In Österreich hatte der zweitgrößte Düngemittelhersteller Europas 2023 für 810 Millionen Euro die Düngemittelsparte der OMV-Borealis erworben, in Deutschland gehören Agrofert die Stickstoffwerke Piesteritz in Sachsen-Anhalt. Dieser Tage erst hat Agrofert für 290 Millionen Euro die OCI Ammonia Holding erworben, die unter anderem ein Ammoniak-Import- und -Speicherterminal in Rotterdam betreibt. Den großen Deal abzusegnen, blieb dem Konzernchef trotz aller innenpolitischer Hektik wohl genügend Zeit.
Auch ganz am Ende der landwirtschaftlichen Produktionskette ist Agrofert aktiv. Etwa auf den Produktionslinien der Wittenberger Bäckerei GmbH, wo Toastbrote, Laugengebäck und Brot, frisch und tiefgekühlt, vom Band laufen. Wer im Supermarkt zu „Golden Toast“ und „Lieken Urkorn“ greift, mehrt den Wohlstand von Babiš.
In Lüdersdorf bei Lübeck baut Agrofert eine neue Fabrik für Hamburgerbrötchen für McDonald’s & Co, wie die Zeitung „Deník N“ unlängst zu berichten wusste. 300 Millionen Burgerbrötchen sollen dort jährlich vom Band laufen. Wenn Andrej Babiš schon kleine Brötchen bäckt, dann in sehr großer Zahl.
